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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
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Publiziert: 22.11.2006 06:00

2011

René Schwarzenbach

Frühling 2011. Der neu gewählte ETH-Ratspräsident hat seine zehnjährige Amtszeit mit siegesbewusstem Gesicht angetreten. Eine kleine Gesetzesänderung erlaubt es ihm, gleichzeitig auch CEO der beiden technischen Hochschulen in Lausanne und Zürich zu sein. Und Direktor des neuen Forschungsinstituts PAEI, welches aus der Asche der alten Forschungsinstitute EAWAG, EMPA, PSI und WSL hervorgegangen ist. Mit einem eher bescheidenen Jahresbudget soll das PAEI vor allem infrastrukturelle, ranking-relevante Untertanenfunktionen für die beiden Hochschulen übernehmen. Wegen ihrer völlig unverständlich auf nationale Bedürfnisse zugeschnittenen “Public Service Aktivitäten” waren die vier bisherigen Forschungsinstitute im Shanghai-Ranking - und insbesondere in dem immer wichtiger werdenden Palermo-Ranking - zunehmend zur Achillesferse des ETH-Bereichs geworden. Die durch die Aufhebung der vier Institute freigespielten Millionen erlauben es, so der neue ETH-Gewaltige, mit einem bogenüberspannenden Kompetenzklumpen “GigaNanoBioTechnoImago.Lem” der immer gnadenloser werdenden Konkurrenz aus den USA und Asien nachhaltig die Stirne zu bieten.

Dass es sich bei dem neuen Kompetenzklumpen um die Duplizierung bereits bestehender Aktivitäten im ETH-Bereich handelt, scheint den neuen Präsidenten nicht weiter zu stören: Ein bisschen nationale Konkurrenz kann ja nicht schaden. Und auf die Frage, wie er denn seine Rolle im zukünftigen ETH-Bereich sieht, verweist er lächelnd auf die Webseite von Louis XIV (1638-1715). Falls Sie jetzt versucht sind, die gleiche einfache Rechnung wie ich zu machen (2011+10) +(1789 -1715), lassen Sie es sein, Sie und ich werden 2095 eh nicht mehr erleben.

Aber jetzt aufgepasst! Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des ETH-Bereichs zu steigern, wird für die Planungsperiode 2012-2015 festgelegt, dass nur noch 10 Prozent der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel direkt als Sockelbeitrag zum Grundauftrag der verschiedenen Departemente, respektive Professuren zugewiesen werden. 90 Prozent werden aufgrund von Indikatoren verteilt, welche der ETH-Rat in Zusammenarbeit mit einem hochkarätigen internationalen Beraterteam ausgeklügelt hat. Diese Indikatoren sind: Anzahl Publikationen und Zitierungen in den vergangenen zwei Jahren, Durchschnittlicher Impaktfaktor der Zeitschriften, in welchen eine Einheit publiziert, Anzahl Preise, Anzahl Studierende, Anzahl Doktorierende, Menge an Drittmitteln. Je höher die Zahl, desto besser. Leuchtet ein, oder? Was nun? Wenn Sie ein Opportunist sind, und wenn für Sie der Zweck alle Mittel heiligt, dann beachten Sie meine folgenden Ratschläge, und das neue System wird Sie lieben. Falls Ihnen das aber alles widerstrebt, wechseln Sie möglichst schnell an eine andere Universität, an welcher Bildung und wissenschaftliche Erkenntnis noch als höchstes Gut angesehen werden.

Ratschlag 1: Falls Sie es nicht schon getan haben, begeben Sie sofort in ein Forschungsgebiet, in welchem Hunderte, noch besser Tausende am selben Thema arbeiten wie Sie. Publizieren Sie mit grosser Kadenz, auch wenn es sich inhaltlich nur um Fussnoten handelt. Auch diese zählen und werden von der Meute zitiert. Meiden Sie mit allen Mitteln, ihrer Zeit zu weit voraus zu sein, das System wird Sie sonst gnadenlos ignorieren und verhungern lassen.

Ratschlag 2: Gründen Sie zusammen mit renommierten KollegInnen eine neue wissenschaftliche Zeitschrift. Am besten mit einem klingenden Namen wie “The Science of Nature” oder “The Nature of Science”. Erreichen Sie schnell einen hohen Impaktfaktor, indem Sie die Zeitschrift zweimal pro Monat jeweils mit nur einem Beitrag von Ihnen oder einem Ihrer KollegInnen erscheinen lassen. Stellen Sie sicher, dass jede neue Publikation alle vorhergegangenen zitiert. Nach zwei Jahren erreichen Sie dann einen Impaktfaktor, der Sie bereits in der gleichen Liga wie “Science” und “Nature” spielen lässt. Jetzt können Sie die Anzahl Beiträge pro Nummer erhöhen, wobei es sich auszahlt, die Zeitschrift nur einem erlauchten Kreis von AutorInnen zugänglich zu machen . Das lässt sich ja, wie berühmte Beispiele zeigen, mit einem entsprechenden Reviewsystem einfach bewerkstelligen.

Ratschlag 3: Nominieren Sie unermüdlich massgebende KollegInnen für Preise und Ehrendoktorate, man wird sich zu gegebener Zeit wohlwollend an Sie erinnern.

Ratschlag 4: Führen Sie intensive Interviews in den Mittelschulen. Versuchen Sie auch diejenigen MaturandInnen für Ihren Studiengang zu gewinnen, welche gar nicht Ihr Fach und schon gar nicht an der ETH studieren wollten. Unterstützen Sie solche Studierende, indem Sie ihnen auch während Prüfungen online Zugriff auf “www.das.dargebotene.hirn.ch” ermöglichen.

Ratschlag 5: Folgen Sie Ratschlag 1 und setzen Sie eine möglichst grosse Anzahl Doktorierende auf das selbe Thema an. Verlagern Sie, falls nötig, Ihre Forschung in ein Billiglohnland.

Ratschlag 6: Werden Sie sich klar darüber, dass der Nationalfonds und andere hochkarätige Geldgeber Ihnen nur sehr beschränkt Drittmittel zur Verfügung stellen können. Legen Sie deshalb jede Scheu ab, sich wissenschaftlich zu prostituieren. Vergessen Sie nicht, jeder Franken und jeder Euro zählt, egal woher er stammt.

Ratschlag 7: Vergeuden Sie keine Zeit mit “Public Service Aktivitäten”, das ist indikatorfeindlich und schadet Ihrem akademischen Ansehen.


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René Schwarzenbach, Vorsteher des Departements Umweltwissenschaften, ist derzeit 'ETH Life'-Kolumnist.

Falls Sie jetzt den Kopf schütteln, kann ich Sie beruhigen. Das Ganze ist pure Fiktion. Wir schreiben ja schliesslich 2006 und nicht 2011.

Trotzdem. Kürzlich ist ein Kollege aus einem anderen Departement zu mir gekommen, und hat mir mit überlegenem Lächeln mitgeteilt, dass in seinem Departement eine Zitierung dreimal weniger kostet als in meinem! Und dass die Schulleitung das bei den kommenden Budgetgesprächen sicherlich thematisieren wird. Ich bin zuversichtlich, dass jetzt sowohl die SL wie auch Sie sich die Augen reiben. Sollte aber wider jeglichen gesunden Menschenverstand die Hochschulkultur in Zukunft dermassen degenerieren, dass sich alles nur noch ums Rating und Ranking dreht, und dass Erfolg nur noch unter Einsatz von gentechnisch veränderten ProfessorInnen und Doktorierenden möglich ist, welche in mit obskuren Drittmitteln finanzierten Forschungsställen mit hoher Frequenz kostengünstige Zitierungen produzieren, dann pfeife ich auf das ganze System und hoffentlich pfeift die gesamte ETH mit mir. Und ich wünschte mir dann, dass dieses Pfeifkonzert so laut ist, dass es bis weit über den ETH-Rat hinaus nicht überhört werden kann.

Wussten Sie, dass es eine ETH-Vision 2011 gibt? Diese wurde in den späten 90erJahren durch die Planungskommission der ETH geträumt. Ich hatte das Privileg, damals Mitglied dieser Kommission zu sein. Aber wie das halt so ist mit Visionen, irgendwann gehen sie wieder verloren, an der ETH spätestens bei einem Schulleitungswechsel. 2011 werde ich übrigens auch meine Abschiedsvorlesung halten dürfen. Ich hoffe, ich werde dann nicht nur von den guten alten Zeiten sprechen, da das so ganz und gar nicht meinem Naturell entspricht. Einen Französischkurs habe ich aber dennoch bereits dieses Wintersemester belegt, für alle Fälle ……


Zur Person

Scheinbar verschlossene Türen aufzustossen, das behagt ihm: Der ETH-Umweltchemiker René Schwarzenbach arbeitet in einem Forschungsbereich, der erst Ende der 1960er-Jahre entstand. René Schwarzenbach beschäftigt sich mit der Verteilung, dem Schicksal und den Effekten von organischen Schadstoffen in der Umwelt. Als promovierter Chemiker Mitte der 70er-Jahre durch Zufall zum Thema gelangt, nahm er bald prägenden Einfluss darauf. Er kam über das Ozeanforschungsinstitut Woods Hole, Massachusetts zum Wasserforschungsinstitut Eawag und wurde dort schliesslich Direktionsmitglied (was er bis 2005 blieb). 1989 erhielt Schwarzenbach eine Professur für Umweltchemie im damals gerade erst gegründeten ETH-Departement Umweltnaturwissenschaften. Und er sorgte dafür, dass das neue Gebiet auch für die Lehre fruchtbar wurde: 1993 brachte er gemeinsam mit Philip Gschwend (MIT) und ETH-Professor Dieter Imboden das Lehrbuch „Environmental Organic Chemistry“ heraus. Besonders die zweite, stark erweiterte Auflage von 2003 sei das Standardwerk zu diesem Thema, heisst es immer wieder.

Die aktuellste Herausforderung, die René Schwarzenbach angepackt hat, ist die Leitung des Schulbereichs für Erde, Umwelt und Natürliche Ressourcen (S-ENETH), eines für die ETH neuartigen Verbunds dreier Departemente: Agrar- und Lebensmittelwissenschaften, Erdwissenschaften und Umweltwissenschaften. „Diese Kooperation eröffnet den Beteiligten inhaltlich wie institutionell ganz neue Möglichkeiten“, sagt Schwarzenbach. „Vieles von dem, was wir heute machen können, wäre ohne S-ENETH undenkbar oder zumindest äusserst schwierig zu realisieren.“






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