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Rubrik: News
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Publiziert: 29.11.2005 06:00

Ja zum Gentech-Moratorium
Volk einig, Wissenschaft gespalten

Das Volk hat zur Anwendung von gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren in der Landwirtschaft Position bezogen. Die Wissenschaft ist auch nach dem Abstimmungssonntag gespalten. Zum Beispiel darüber, ob die fünf Jahre Anbauverbot mehr oder weniger Forschung bringen werden.

Von Peter Rüegg und Felix Würsten

Nicht alle Wissenschaftler haben im Abstimmungskampf am gleichen Strick gezogen. (1) Zu den Siegern des Urnengangs vom vergangenen Wochenende gehört Cesare Gessler vom Institut für Pflanzenwissenschaften der ETH. Er hat sich vor der Abstimmung vehement für das Moratorium eingesetzt.

„Das Resultat ist nicht so wichtig, sondern dessen Interpretation“, sagt Gessler am Montag auf Anfrage von "ETH Life". Das Ja zum Moratorium heisse für ihn, dass das Volk klar gegen heutige Gentech-Produkte wie Herbizidresistenzen oder Bt-Mais sei. Die Annahme des vorläufigen Anbau-Verbots sei aber kein Verdikt gegen die Technologie als solche.

Der Fehler, den die Forscher vor der Abstimmung gemacht hätten, sei stets derselbe: die Wir-haben-alles-im-Griff-Haltung. „Das Volk glaubt das einfach nicht mehr“, sagt der streitbare ETH-Forscher. Jetzt müsse man unverzüglich mit denen das Gespräch suchen, die Gentech in der heutigen Form ablehnen. Zusammen müsse man nach Produkten suchen, welche die Konsumenten und Bauern akzeptieren könnten. Forschung und Entwicklung solcher Produkte solle nun in den Vordergrund gestellt werden. Mit den Gegner-Fraktionen, die diese Technologie aber generell verbieten möchten, will auch Gessler nicht diskutieren. „Greenpeace ist mit ihrer absoluten Verbotshaltung auf der Verliererstrasse“, sagt er.

Unterschlagene Fakten bestimmten Abstimmungskampf

Schwer enttäuscht über das Abstimmungsresultat ist dagegen Wilhelm Gruissem, ebenfalls Professor am Institut für Pflanzenwissenschaften und engagierter Verfechter der grünen Gentechnologie. Das Resultat habe ihn deprimiert, besonders die Ablehnung der Forschungskantone Basel-Stadt und Zürich. „Wir Wissenschaftler haben den Fehler gemacht, dass wir ehrlich Fakten vorgelegt haben und nicht einfach nur mit Halbwahrheiten argumentierten“, meint er. Diese Fakten seien jedoch schwierig zu vermitteln, wenn die Konsumenten keinen direkten Nutzen sehen würden. „Weniger Pestizid-Einsatz ist im Laden nicht direkt greifbar“, so Gruissem.

Etwas gefasster gibt sich Peter Stamp, Leiter der Gruppe für Pflanzenbau am Institut für Pflanzenwissenschaften. „Dieses Resultat war absehbar“, sagt er. Frustrierend seien nicht die deutliche Zustimmung zum Moratorium, sondern die Argumente, mit denen die Initianten den Abstimmungskampf geführt hätten. Die Befürworter des Anbau-Verbots hätten die ganze Zeit den Eindruck erweckt, dass sich niemand mit Gentech-Sicherheitsforschung beschäftigen würde. Dabei sei sein Institut an einem grossen europäischen Projekt beteiligt, welches genau diese Risikoforschung betreibe. Nur habe dies keiner der Gentech-Gegner zur Kenntnis nehmen wollen.


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Freisetzungsversuche für wissenschaftliche Zwecke wie hier in Lindau sind auch nach Annahme der Gentech-Initiative noch möglich. gross

Unglückliche Vermischung

Für Thomas Bernauer, Professor für Politikwissenschaft an der ETH Zürich ist die Niederlage nicht überraschend. "Die Umfragen haben bereits seit längerem gezeigt, dass es für die Gegner der Initiative eng wird. Auch in meinem persönlichen Umfeld habe ich immer wieder festgestellt, dass Leute, die an sich technologiefreundlich sind, die Gentechnik in der Landwirtschaft kritisch beurteilen." Die Einschätzung von Gessler, dass nicht die Technologie, sondern die Produkte abgelehnt werden, kann Bernauer nachvollziehen. "In der Diskussion gab es jedoch eine unglückliche Vermischung zwischen Technologie und Anwendung."

Für die Wissenschaft sei dieser Volksentscheid eher unerfreulich, aber er bedeute nicht das Ende der Gentechnologie in der Landwirtschaft, relativiert Bernauer das Abstimmungsresultat. Wichtig sei nun, dass das Moratorium nicht zu einem Denkstopp führe, sondern für eine kreative Denkpause genutzt werde. Ein wichtiges Element könnte dabei das beantragte Nationale Forschungsprogramm "Nutzen und Risiken gentechnisch veränderter Organismen" sein, über das der Bundesrat demnächst befinden wird. "Dann wird sich auch zeigen, welche Interessen die Befürworter der Initiative wirklich verfolgen", meint Bernauer.


Alle Kantone für Moratorium

Das fünfjährige Gentech-Moratorium wurde am Sonntag von der Schweizer Stimmbevölkerung mit über 55,7 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen. Alle 26 Stände nahmen das Volksbegehren an. Damit entschieden sich die Stimmberechtigten gegen den Bundesrat, das Parlament und die bürgerlichen Bundesratsparteien SVP, FDP und CVP. Besonders gut kam die Initiative in der Romandie an. Im Kanton Jura wurde sie mit 75,9 Prozent angenommen. Selbst im Hochschulkanton Zürich sagten 50,5 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Ja zur Moratoriums-Initiative.




Fussnoten:
(1) Siehe dazu "ETH Life"-Berichte "Forschung befürchtet Abbau": www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/gentechpodium.html und "Moratorium als Mogelpackung": www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/gensuissemorat.html



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