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Stanley Cavell zum Film „O brother, where art thou?" Cinésophie |
(cm) „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“. Dieses berühmte Diktum stammt von Ludwig Wittgenstein und mahnt insbesondere Philosophen zur Vorsicht. Doch es gibt auch ein Thema, worüber Philosophen kaum sprechen: Filme. Eigentlich erstaunlich, da die Ästhetik zu deren Geschäft gehört. Einer, der jedoch gerne und anregend über Filme spricht ist der Wittgenstein-Kenner Stanley Cavell (1). Der amerikanische Philosoph der Harvard University lieferte dafür ein entsprechendes Beispiel, als er diesen Montag im bis auf den letzten Platz gefüllten Seminarraum des Zentrums "Geschichte des Wissens" der Universität Zürich und der ETH Zürich über den Film „O brother, where art thou?" referierte (2)(3). Wichtige Referenz: Gullivers Reisen Eigentlich habe er das Werk von Ethan and Joel Coen beim ersten Mal nicht gemocht, begann Cavell. Er habe gedacht, die Brüder seien „over the top“. Trotzdem habe ihn der Film fasziniert. Denn er ist voller Referenzen. Da gibt es einmal die vordergründigen zu Homers Odyssee und dem Film Sullivans Travel von Preston Sturges von 1941, in dem ein Filmregisseur namens Sullivan den Film „O brother, where art thou?“ realisieren möchte. Wichtiger als diese Bezüge sind aber für Cavell die zu Gullivers Reisen von Jonathan Swift. Die Suche Gullivers sei für ihn aufschlussreicher für die Figuren der Coen-Brüder. Doch nicht nur Literatur und Film werden aufgegriffen. Cavell machte darauf aufmerksam, dass die Massenelektrifizierung, wie sie in Amerika unter dem Präsidenten Franklin D. Roosevelt stattfand, ein Thema ist. Der Film zeige auf, dass diese einerseits zu Fortschritt aber andererseits auch zu Armut führe. Ein weiteres Gegensatzpaar, das zur Sprache und ins Bild kommt, ist das Vergangene und das Moderne. Musik und Verführung Kunstvoll sind Bilder wie die Kühe auf dem Dach, die an Jean Cocteaus "Le boef sur le toit“ erinnern. Oder geradezu atemberaubend, so Cavell, setzten die Coen Brüder die Musik ein. Diese wirke sich, so Cavell, aber moralisch-politische ambivalent aus: Befreiend bei den liberalen, "gemischtrassigen" Helden und politisch gefährlich beim Ku-Klux-Clan. Es gehe in "O brother, where art thou?" um die Entstehung der country-music in den amerikanischen Südstaaten, die ihre "rechte" Seite aufweise, aber auch eine Weiterentwicklung bei Leuten wie Joan Baez und Bob Dylan im politisch linken Lager erfahre. Der Harvard-Philosoph arbeitete noch weitere Aspekte von „O brother, where art thou?“ heraus und nahm auch Bezug zum saloppen Umgang von Ethan and Joel Coen mit ihren Vorlagen. Dies könnte man als Frage interpretieren, ob überhaupt eine genaue Lektüre von Kunstwerken nötig ist. Cavell fügte zum Schluss an, dass er selber keinen Anspruch auf eine allgemeingültige Interpretation von „O brother, where art thou?“ erhebe. Denn Interpretationen würden dazu dienen, Gegeninterpretationen zu inspirieren. Darüber kann man sicher sprechen – am besten wahrscheinlich in der Form der „Cinésophie“ von Cavell. |
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