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Rubrik: News Flaschenhals Gotthard "Entscheidend ist der Trödelfaktor" |
Published: 12.04.2001 06:00 Modified: 14.04.2001 12:01 |
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Die Zugsentgleisung auf der Gotthardstrecke just vor dem Osterwochenende hat das Verkehrsproblem auf der Schweizer Nord-Süd-Achse zusätzlich verschärft. In diesem Jahr birgt die schleichende Aufhebung des Nachtfahrverbots für Lastwagen erheblichen politischen Zündstoff. ETH-Informatiker Kai Nagel hat Stausituationen analysiert und gibt ETH Life Auskunft über Prognostizierbarkeit und Möglichkeiten der Vermeidung des Verkehrskollapses. Interview: Norbert Staub (mailto:norbert.staub@sl.ethz.ch) War das Verkehrschaos auf der Nord-Süd-Achse voraussehbar? Wenn ja, warum hat man nicht früher darauf reagiert?Am Gotthard selber war am Mittwoch vor Ostern überhaupt kein Chaos. Die gut vorbereitete Polizei rechnete mit Stau ab 11 Uhr, aber selbst gegen 16 Uhr war die Situation eher entspannt (ca. 30 Min Wartezeit). Solche Vorhersagen sind extrem schwierig. Trotz Warnungen ändert sich über viele Jahre nichts, und plötzlich verbessert sich die Situation sprunghaft. Menschliches Verhalten ist halt selbst statistisch nur schwer vorhersagbar. Bessere Chancen haben wir zum Beispiel im Berufsverkehr, wo Menschen über viele Monate oder Jahre hinweg Gewohnheiten entwickeln. Dann ist gegen den Osterstau also kein Kraut gewachsen?Solche Situationen wie der Osterverkehr am Gotthard sind in der Tat instabil: Wenn der Verkehr einmal zusammenbricht, also zum Stillstand kommt, dann erholt er sich im Allgemeinen während des Tages nicht mehr. Dies liegt eben am "Trödelfaktor", also daran, dass Menschen normalerweise etwas zögerlich anfahren. Je später dieser Zusammenbruch auftritt, desto weniger Probleme gibt es. Ganz anders die Situation in Chiasso, hier handelt es sich um eine Situation, die das ganze Jahr hindurch problematisch ist. Gibt es, ausgehend von Ihrer Forschung, Möglichkeiten, solchen Situationen vorzubeugen?Alle grösseren baulichen Lösungen helfen einem Teil der Bevölkerung, während sie einem anderen schaden. Ein zweiter Tunnel am Gotthard etwa würde den Urlaubern helfen, aber den Anwohnern der Transitstrecke, zum Beispiel in Luzern und in Uri, weitere Probleme bereiten. Hier muss die Gesellschaft einen Interessenausgleich finden; eine Lösung gibt es meines Erachtens nicht. Aber wir können Werkzeuge bereitstellen, damit dieser Interessenausgleich auf der Realität beruht. Was für Werkzeuge wären das?Wir können aber versuchen, besser zu informieren (siehe www.verkehrsdaten.ch, in der Schweiz eher in den Anfängen); wir müssen Menschen Zeit geben, damit sie sich an andere Alternativen gewöhnen (z.B. die Bahn nehmen, oder eine Radtour auf den Hausberg machen); und wir können die Alternativen attraktiver machen (beispielsweise die Bahn beschleunigen und/oder bequemer machen).
Wir können auch versuchen, die Situation insgesamt besser vorhersagbar zu machen, z.B. durch Steuerungen, die die instabilen Situationen vermeiden. Wie ist die diesbezügliche Situation in anderen Ländern, etwa den USA?Über Thanksgiving gibt es in den USA an den Flughäfen keine Parkplätze mehr, und die Flughäfen sind überfüllt. Die Amerikaner sind allerdings weiter, so bezüglich der Information übers Internet. Im Raum Zürich gibt es weitere neuralgische Punkte: etwa den Bareggtunnel und den Schöneichtunnel. Bei letzterem ist der Stau erfolgreich verhindert worden, bei ersterem nicht. Können Sie sagen, wie es dazu kam?Wissenschaftliche Untersuchungen dazu sind mir nicht bekannt. Ich habe aber schon häufiger gesehen, dass Menschen bei "schleichenden Verstopfungen'" weniger reagieren als bei plötzlichen Veränderungen, insbesondere wenn bei letzteren gut informiert wird.
References:
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