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Rubrik: Montags-Porträts
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Publiziert: 08.01.2001 06:00

Weitgereister Geologe
ETH ahoi!

Der ETH-Geologe Flavio Anselmetti leitet für zwei Monate ein Bohrprojekt im Pazifik - auf dem weltweit einzigartigen Forschungsschiff "Joides Resolution". Das ist ungewöhnlich: das kleine Binnenland Schweiz ist nur zu einem Bruchteil am internationalen "Ocean Drilling Program" (ODP) beteiligt.

Von Norbert Staub

Nein, ein von Wind und Wetter gegerbter Abenteurer à la Jacques Cousteau ist er nicht, und schon gar kein Hans-Albers-Typ mit stets auf den Horizont gerichtetem Blick. Dennoch hat Flavio Anselmetti, seit 1997 Oberassistent am Geologischen Institut, wohl mehr von der Welt gesehen als die meisten ETH-Forscher seines Alters. In Basel machte der Riehener seinerzeit sein Diplom, im Rahmen einer an der ETH angetretenen Doktorandenstelle verschlug es ihn für fünf Jahre nach Miami. Forschungsreisen zur See, immer im Zusammenhang mit der Untersuchung von Meeresablagerungen aus vergangenen Zeitaltern, führten Falvio Anselmetti unter anderem auf die Bahamas und nach Australien. "Seetüchtig bin ich dadurch nicht geworden", bedauert er, "ich schlage mich immer wieder mit der Seekrankkeit herum".

ETH-Geologe Flavio Anselmetti
Immer auf dem Sprung: der ETH-Geologe Flavio Anselmetti

Der Klimageschichte auf der Spur

Jetzt bricht Anselmetti erneut auf - und hofft auf ruhige Gewässer. Im Rahmen des weltweiten "Ocean Drilling Program" wird im Marion-Plateau zwischen dem australischen Great Barrier Reef und der Pazifikinsel Guam ab jetzt bis März mit dem Forschungsschiff "Joides Resolution" ein Bohrprogramm durchgeführt. Die Analysen der um die 500 Meter langen Bohrkerne sollen Aussagen über Schwankungen des Meeresspiegels ermöglichen, und damit über Klimaveränderungen im sogenannten Miozän - das war vor zehn Millionen Jahren. Was interessiert uns heute, welche Kapriolen Meeresspiegel und Klima vor Urzeiten schlugen? Der Geologe meint: "Der Klimawandel ist in aller Munde, vor allem seine äusseren, sprich menschlich generierten Ursachen. Wir wollen anhand des im Lauf der Zeit abgelagerten Kalksteins die natürliche Umweltveränderung besser verstehen." Zur Diskussion stehen Pegelschwankungen von bis zu 200 Metern. "Wir hoffen", so Anselmetti, "dass dieses Grundlagenwissen auch in die aktuelle Diskussion einfliessen kann."

Joides Resolution Bohrturm
Der Schein trügt: Nicht Öl, sondern Gestein wird gefördert

Im Notfall auch Seelenmasseur

Flavio Anselmetti ist nicht zum ersten Mal auf der "Joides Resolution" mit dabei, aber erstmals in leitender Funktion. Nicht alltäglich ist, dass Forscher aus dem kleinen Binnenland Schweiz federführend sind bei einem so prestigeträchtigen ozeanographischen Projekt. Vor fünf Jahren wurde das von der Geologin Alexandra Isern (sie promovierte 1994 an der ETH) designte Bohrprojekt als eines unter vielen eingereicht. Zahlreiche Gremien auf der ODP-Basis in den USA prüften es auf Herz und Nieren, schliesslich bekam es grünes Licht. "Wir haben unser Projekt mit eingehenden Voruntersuchungen abgestützt. Das überzeugte", sagt Anselmetti. Noch ein dritter ETHler ist an Bord: Staff Scientist Peter Blum, der heute beim ODP-Stützpunkt an der Texas A&M University arbeitet.


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Das Forschungsschiff "Joides Resolution"
Die "Joides Resolution": Wissenschaft auf hoher See.

Zu Anselmettis Aufgaben gehörte auch, das 25-köpfige Forscherteam auszuwählen. "Eine knifflige Sache", sagt er,"die Plätze sind heiss begehrt. Es galt, einen Kompromiss zu finden zwischen der Länderparität und den fachlichen sowie menschlichen Ansprüchen, die das Projekt stellt." Spannungen sind normal bei Leuten, die einander in der Regel nicht kennen und während Wochen auf engstem Raum leben. "Bei Bedarf müssen wir Leitungspersonen auch psychologische Probleme lösen." Dass jemand psychisch kapitulierte, sei erst einmal in all den Jahren vorgekommen.

Australien, Pazifik - wer würde sein Zürcher Labor nicht mit einem Forschungsschiff tauschen wollen? Hat Anselmetti Schnorchel und Taucherbrille im Gepäck? "Schön wär's. Das Great Barrier Reef erahnen wir vielleicht von weitem. Meine Zeit werde ich vor dem Computer verbringen; und mit der Koordination der Leute."

Gearbeitet wird rund um die Uhr in 12-Stunden-Schichten, und das sieben Tage pro Woche. Kein Wunder, bei Bohrkosten von 10 Millionen Franken. "Wir arbeiten wie in einer Fabrik", so Anselmetti, "die pausenlos geförderten Bohrkerne müssen sofort gesichtet und beschrieben werden." Die Ausbeute für die Zürich? Die ETH kann sich auf etwa vier Kilometer wertvolles Bohrkern-Material für weiterführende Studien freuen.

Abwechslung bietet die "Joides Resolution" bis auf einen Video- und einen Kraftraum kaum: die spärliche Freizeit wird meist schlafend in der 2- bis 4-Personen-Kabine verbracht. Die "Steel Beach" beim Helikopterlandeplatz auf Deck ist, so Anselmetti, "bei der Sonneneinstrahlung des australischen Sommers nicht zu empfehlen". Alkohol gibt's keinen auf dem Schiff - Wirklich? "Offiziell nicht", kommt es zurück. Für die für die dringend nötige gute Laune an Bord sorgt die laut Anselmetti "ausgezeichnete" Küche. Sie ist in portugiesischer Hand.

Unvermeidliche "Taufe"

Welches Buch hat Flavio Anselmetti mit an Bord? "Mehrere. Gespannt bin ich auf 'Die Tücken des Maultiers', einen Bericht des Deutschen Kaufmanns Hermann Eberhard Löhnis, der um 1850 das Amazonasgebiet bereiste. Dort geht es auch um den alten Brauch der 'Taufe' beim erstmaligen Überqueren des Äquators - genau das steht mir bei dieser Reise bevor." Was heisst das konkret? "Geteert und gefedert das Deck schrubben zum Beispiel - aber da muss man durch."

Wir wünschen ihm, dass er die Taufe wohlbehalten übersteht. Auch aus eigenem Interesse: denn wir freuen uns, dass Flavio Anselmetti in den kommenden Wochen regelmässig seine "Logbucheinträge" von der "Joides Resolution" an ETH Life übermittelt. Unseren Leserinnen und Lesern wird so Einblick geboten in den Verlauf eines aussergewöhnlichen Forschungsprojekts unter ETH-Ägiden.


Ocean Drilling Program

Das "Ocean Drilling Program" (ODP) zählt weltweit zu den aufwendigsten erdwissenschaftlichen Forschungsprojekten. 22 Länder finanzieren die ursprünglich für Ölbohrungen gebaute "Joides Resolution". Das 143 Meter lange, mit modernster Technik vollgestopfte Schiff kreuzt permanent seit 15 Jahren auf den Weltmeeren, mit über 100 Mann Besatzung und im Dienst der Wissenschaft. Sein Merkmal ist der über 60 Meter hohe Bohrturm, der Meeresboden-Bohrungen von bis zu vier Kilometern Tiefe möglich macht - weltweit einzigartig. Die Schweiz beteiligt sich an dem schwergewichtig von der amerikanischen "National Science Foundation" getragenen Unternehmen über ein europäisches Konsortium.



Weitere Informationen über das "Ocean Drilling Program":

www-odp.tamu.edu/




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