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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 21.01.2003 06:00

Der lange Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft
Die Weichen werden schon heute gestellt

Wenn die Schweiz das Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft innerhalb von 50 Jahren erreichen will, müssen bereits heute entsprechende Anstrengungen unternommen werden. Im Rahmen eines grossen Forschungsprogramms soll nun gezeigt werden, wo die Prioritäten im Bereich Forschung und Entwicklung gesetzt werden müssen, damit das Vorhaben ein Erfolg wird.

Von Felix Würsten

"Wer erinnert sich noch an die 2000-Watt-Gesellschaft?", fragte Dieter Imboden, geistiger Vater der visionären Idee, vor gut einem Jahr in einer ETH-Life Kolumne (1). Nun, das Konzept einer Wohlstandsgesellschaft, die ihre Bedürfnisse mit wesentlich weniger Energie deckt als heute, ist zwar im Alltagsgespräch nicht mehr so präsent wie auch schon. Doch in Vergessenheit geraten ist die Vision deswegen noch lange nicht. So hat Ende Dezember eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Eberhard Jochem, Professor am Centre for Energy Policy and Economics (CEPE) der ETH Zürich (2), die Vorstudie zum gross angelegten Forschungsprogramm "Steps towards a 2000 Watt-Society" abgeschlossen.

Anstrengungen auf drei Ebenen

Was braucht es, so fragten sich die Forscher, damit aus der Schweiz in den nächsten 50 Jahren eine 2000-Watt-Gesellschaft wird? Wenn man die heutige Energiebilanz mit derjenigen der fiktiven 2000-Watt-Gesellschaft im Jahr 2050 vergleicht, so heisst dies eine Verminderung des Pro-Kopf-Bedarfs an Primärenergie um zwei Drittel bei gleichzeitiger Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 80%.

Somit wird klar, dass es Anstrengungen auf drei Ebenen braucht. Erstens muss die Umwandlung der Primärenergie in Endenergie (zum Beispiel von Rohhöl zu Heizöl) und die Umwandlung von Endenergie in nutzbare Energie (von Heizöl zu Wärme) effizienter gestaltet werden. Zweitens muss der effektive Bedarf an nutzbarer Energie (Wärme, Licht, Bewegungsenergie) reduziert werden, etwa indem Häuser so konstruiert werden, dass sie nur noch einen minimalen Energiebedarf aufweisen. Und drittens muss schliesslich konsequent versucht werden, die Funktionalität der verschiedenen Güter mit möglichst wenig Energie und Material zu erreichen. Das Ziel wäre also zum Beispiel, mit wesentlich weniger Material genauso sichere und komfortable Autos zu bauen wie heute.

2000-Watt-Gesellschaft erfordert einen kompletten Wandel der Infrastruktur - insbesondere auch im Verkehrsbereich. gross

Mit einzelnen technischen Verbesserungen ist es allerdings nicht getan. "Es braucht einen völligen Wandel der Infrastruktur", ist Jochem überzeugt. "Und dieser lässt sich nur über den Investitionszyklus bewerkstelligen." Entscheidend ist also nicht, ob in fünfzig Jahren die entsprechenden Technologien zur Verfügung stehen, sondern ob bei der Erneuerung die Weichen rechzeitig in Richtung 2000-Watt-Gesellschaft gestellt werden.

Die Uhr läuft bereits

Häuser beispielsweise werden im Durchschnitt alle fünfzig Jahre renoviert. Es wäre also im Hinblick auf das ambitionierte Ziel geboten, schon heute bei der Sanierung konsequent den Niedrigenergiehaus-Standard anzustreben. Bei den Haushaltgeräten hingegen ist der Erneuerungszyklus viel kürzer. Hier stehen noch mindestens zwei Gerätegenerationen zur Verfügung, um die nötige Effizienz zu erreichen.

Etwas komplizierter präsentiert sich die Situation bei grösseren Anlagen und Maschinen. Die Triebwerke von Fugzeugen etwa werden etwa alle 20 Jahre ausgewechselt. Will man im Jahr 2050 den angestrebten Standard erreichen, müssen die entsprechenden Triebwerke also in zwei bis drei Jahrzehnten zur Verfügung stehen. Die Flugzeuge selber bleiben jedoch rund 40 Jahre im Einsatz. Die für die 2000-Watt-Gesellschaft benötigten Maschinen müsste man daher bereits in etwa 10 Jahren in Betrieb nehmen können. Um ein Flugzeug zu entwickeln, braucht es jedoch mindestens 12 bis 15 Jahre. Die Flieger für die 2000-Watt-Gesellschaft müssten also bereit in der Entwicklung stehen. "Es ist sehr fraglich, ob in diesem Bereich die angestrebte Energieeffizienz bis im Jahr 2050 realisiert werden kann", meint Jochem.


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Damit das ambitionierte Energieziel in 50 Jahren erreicht werden kann, müsste bereits heute bei Sanierungen konsequent der Niedrigenergiehaus-Standard angestrebt werden. gross

Neue Dienstleistungen

Eine Schlüsselrolle beim Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft kommt der Investitions- bzw. Kaufentscheidung zu. "Energiesparsame Geräte erfordern häufig höhere Investitionen, weisen aber tiefere Betriebskosten auf", erklärt Jochem. Aus ökonomischer Sicht wären zahlreiche energiesparsame Geräte bereits heute rentabel, weil sie über den gesamten Lebenszyklus hinweg günstiger zu stehen kommen. Viele Kunden und Investoren stützen sich bei ihren Entscheidungen nicht auf Lebenskosten-Analysen, sondern schauen nur auf die Investitionssumme und entscheiden sich dann für Lösungen, die ökologisch und ökonomisch gesehen nicht optimal sind.

"Die 2000-Watt-Gesellschaft erfordert deshalb die Entwicklung von ganz neuen Dienstleistungen", ist Jochem überzeugt. Wie das im konkreten Fall aussehen könnte, erläutert der Forscher an einem Beispiel, das in Deutschland schon recht verbreitet ist. Der Hausbesitzer kauft keinen Heizkessel mehr, sondern schliesst mit einem "Wärmehändler" einen Vertrag ab, der ihm eine warme Stube garantiert. Der Händler installiert dann im Keller des Hauses auf eigene Rechnung eine Anlage und sorgt für deren Unterhalt. Da er über bessere technische und wirtschaftliche Kenntnisse und andere finanzielle Möglichkeiten verfügt als der Hausbesitzer, kann er eine Anlage installieren, deren Anschaffung sich schneller ausbezahlt. "Das Ziel muss sein, dieses Contractor-Prinzip auch in anderen Bereichen anzuwenden", empfiehlt Jochem und hofft dabei auf neue Unternehmer.

Ungewisse Akzeptanz bei den Kunden

Unklar ist, ob die Kunden in privaten Haushalten solche innovativen Dienstleistungen auch akzeptieren. Die Forscher haben die Gesellschaft anhand der beiden Kriterien Einkommen und Werthaltung in zehn Gruppen unterteilt und versucht abzuschätzen, wie diese Gruppen neue Dienstleistungen aufnehmen werden.

Besonders offen gegenüber neuen Konzepten ist das "liberal-intellektuelle Milieu", das über ein hohes Einkommen verfügt und sich nicht am ressourcen-intensiven Konsum orientiert. Das "konservativ-technokratische Milieu" - einkommensstark und besitzorientiert - und das einkommensschwache "hedonistische Milieu", das sich über Konsum definiert, werden hingegen nur schwer für neue Angebote zu begeistern sein, vermuten die Forscher. Zur dritten Kategorie von gesellschaftlichen Gruppen gehören schliesslich das "modern-bürgerliche" und das "wachstumsorientierte Milieu". Diese Gruppen können nur mit spezifischen Angeboten und entsprechendem Marketing angesprochen werden.

Weites Feld für Forschung

Für den Bereich Forschung und Entwicklung öffnet sich mit der Vision der 2000-Watt-Gesellschaft ein weites Feld, das hat die Vorstudie klar bestätigt. Die Gruppe um Jochem hat auch bereits angedeutet, wo für Schweizer Forschungsinstitutionen und Firmen Möglichkeiten bestehen, marktfähige Güter und Dienstleistungen zu entwickeln. Die Wissenschaftler möchten nun, zusammen mit weiteren Partnern, im Rahmen eines grösseren Forschungsprogramms die in der Vorstudie erarbeiteten Themenfelder weiter vertiefen. Jochem hofft, dass dadurch die Forschung und Entwicklung in der Schweiz beflügelt werden kann und Unternehmen zur Entwicklung von neuen Dienstleistungen angeregt werden.


Fussnoten:
(1) Vergleiche "ETH Life"-Artikel "Nachhaltigkeit: Und die ETH?": www.ethlife.ethz.ch/articles/kolumne/imboden5.html
(2) Homepage des Centre for Energy Policy and Economics (CEPE): www.cepe.ethz.ch/



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