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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 16.09.2004 06:00

Volksabstimmung vom 26. September
Was genau ist Grundversorgung?

Am übernächsten Wochenende stimmt die Schweiz über die Postinitiative ab. Während die Initianten einen weiteren Abbau der Postdienstleistungen verhindern möchten, befürchten die Gegner, auf Kosten der Steuerzahler würden Strukturen zementiert. Ein ETH-Forscher, der die Folgen der Liberalisierung für das Berggebiet untersucht, nimmt zur Vorlage Stellung.

Von Felix Würsten

Droht der Schweiz ein Ausverkauf der Heimat? Oder werden unter dem Schlagwort "service public" einfach nur althergebrachte Strukturen künstlich am Leben erhalten? Soviel steht fest: Der Abstimmungskampf zur Postinitiative (1), über die Volk und Stände am übernächsten Wochenende abstimmen werden, wird von emotionalen Bildern dominiert - vielleicht auch nur, weil sich das bestehende Gesetz und die Initiative inhaltlich kaum unterscheiden.

Positive und negative Wahrnehmung

Dass die Post in den letzten Jahren laufend Poststellen geschlossen und ihr Angebot gekürzt hat, löst in der Bevölkerung Ängste aus. Gerade in den Randregionen drohe ein Abbau der Dienstleistungen, wird deshalb von den Befürwortern der Initiative argumentiert. Doch ist diese Entwicklung für diese Gebiete wirklich so dramatisch? Christof Abegg, Doktorand am Institut für Raum- u. Landschaftsentwicklung (2) der ETH Zürich, hat sich im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP48 "Landschaften und Lebensräume der Alpen" (3) mit dieser Frage auseinander gesetzt. Im Rahmen eines Teilprojektes untersuchte er unter der Leitung von Alain Thierstein, wie sich die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Berggebiet auswirkt. (4)

Abegg hat dazu die schriftlichen Antworten von über Tausend Unternehmen in den Kantonen Wallis, Uri und Graubünden ausgewertet. Diese wurden von den Forschern befragt, wie sie die Entwicklung in den Bereichen Stromversorgung, öffentlicher Regionalverkehr, Post und Telekom einschätzen. "Es zeigte sich, dass die Befragten häufig nicht klar zwischen ökonomischen und politischen-individuellen Argumenten unterscheiden." Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird die Liberalisierung - gerade von Grossunternehmen - mehrheitlich positiv wahrgenommen, führt sie doch tendenziell zu sinkenden Preisen und neuen Angeboten. Aus individueller oder politischer Sicht hingegen stehen viele Befragte einem möglichen Abbau der bestehenden Leistungen aber skeptisch gegenüber.

Exemplarisch lässt sich dies beim öffentlichen Verkehr zeigen. Dieser hat für die Unternehmen in den Randregionen kaum eine Bedeutung, werden die geschäftlichen Transporte doch vorwiegend mit dem Auto durchgeführt. Als Einwohner der Talschaft haben die Unternehmer aber durchaus ein Interesse, dass es ein funktionierendes Bus- oder Bahnangebot gibt. "Die individuelle Sicht hat dabei umso mehr Gewicht, je peripherer die Betroffenen leben."

Bedeutung überschätzt?

Abegg konnte in seiner Studie drei Gruppen von Unternehmern unterscheiden: die "Liberalisierungsskeptiker" (40 Prozent) stehen der Liberalisierung grundsätzlich kritisch gegenüber; die "Marktbefürworter" (30 Prozent) sehen vor allem die Vorteile der Marktöffnung, während die "Gestaltungsoptimisten" einen guteidgenössischen Ausgleich zwischen ökonomischen und politischen Aspekten anstreben.


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Ein Bild aus vergangenen Tagen: Die Poststelle Goldswil bei Interlaken wurde am per Ende August aufgehoben. Bild: Die Schweizerische Post gross

Die Bedeutung der öffentlichen Dienstleistungen für die Randregionen werde in der aktuellen Diskussion überschätzt, findet Abegg. "Als wir mit unserer Untersuchung begannen, hatte man den Eindruck, bei der Liberalisierung gehe es um Sein oder Nicht-Sein der peripheren Gebiete schlechthin. Die bisherige Entwicklung hat diese Befürchtungen für weite Teile des Alpenraums zumindest aus Sicht der Unternehmen nicht bestätigt." Allerdings, räumt er ein, stehe man heute auch erst am Anfang der Marktöffnung. "Jede einzelne Veränderung ist für sich genommen nicht entscheidend. Aber über alle Bereiche hinweg gesehen könnte sich das für die Randregionen längerfristig durchaus zu einem negativen Effekt summieren. Gerade deshalb braucht es eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Problems."

Schrumpfender Markt

Was die Liberalisierung im Postbereich so schwierig macht ist die Tatsache, dass es sich hier um einen schrumpfenden Markt handelt, der längst nicht mehr die gleiche Dynamik aufweist wie etwa der Telekombereich. Deshalb möchte die Post auch nicht nur in den abgelegenen Gebieten, sondern auch in städtischen Regionen Poststellen schliessen. Zudem machen die Privatkunden nur 20 Prozent des Umsatzes der Post aus – mit rückläufiger Tendenz. Gerade dieses Segment steht in der Abstimmungsdiskussion jedoch im Vordergrund, etwa wenn über den Briefträger berichtet wird, der für die älteren Kunden einen wichtigen sozialen Kontakt darstellt.

Abegg ist überzeugt, dass das Abstimmungsresultat im konkreten Alltag keine grossen Konsequenzen haben wird. "Eigentlich sind sich alle einig, dass es eine flächendeckende Grundversorgung geben muss. Die Frage ist nur, was darunter genau zu verstehen ist." Viele meinen, das was wir heute haben, sei die Grundversorgung, die unbedingt garantiert werden müsse. Doch in vielen Bereichen leisten die Anbieter öffentlicher Dienstleistungen heute weit mehr als das Gesetz eigentlich vorschreibt. "Neben der Festlegung der Gundversorgung müssen die Angebote auch flexibel an die regionalen Bedürfnisse angepasst werden können. Es macht jedoch keinen Sinn, einfach stur an der heutigen Vollversorgung festzuhalten.


Fussnoten:
(1) Informationen zur Postinitative: UVEK-Dossier zur Postinitative: www.uvek.admin.ch/dokumentation/serpub/00728/index.html , Homepage der Befürworter: www.postfueralle.ch/ , Homepage der Gegner: www.poststeuer-nein.ch/
(2) Homepage des Instituts: www.nsl.ethz.ch/IRL/raumordnung/index.html
(3) Homepage des NFP48: www.nfp48.ch/
(4) Siehe dazu ETH-Life-Artikel "Wettbewerb im Berggebiet" www.ethlife.ethz.ch/articles/Randregion.html



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