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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 30.10.2001 06:00

Expansin - ein Eiweiss, das die Blattform kontrolliert
Blätter ausser Form

Die Formen von Planzen und ihren Blättern werden durch verschiedene Faktoren bestimmt. ETH-Forscher zeigen, dass das Eiweiss Expansin eine wichtige Rolle dabei spielt.

Christoph Meier

Um gut in Form zu sein, braucht es strenge Kontrolle. Das gilt auch für Pflanzen. Jetzt im Herbst, wenn die Blätter fallen und überall herumliegen, fällt die Formenvielfalt wieder besonders auf. Wie diese aber entsteht und wie Blätter zum Spriessen kommen, ist ein noch nicht wirklich verstandener Prozess. Ein Kandidat für die Kontrolle desselben ist das Eiweiss Expansin. Von diesem in der Pflanzenwelt weit verbreiteten Protein weiss man, dass es die Dehnbarkeit der Zellwand moduliert. Dadurch hat Expansin einen Einfluss auf die Ausgestaltung, Gewebebildung und Fruchtreifung der Pflanzen. Die Gruppe um Andrew Fleming von Institut für Pflanzenwissenschaften der ETH zeigte nun in einer neuen Studie (1), dass das Eiweiss auch die Blattbildung auslösen und die Blattform verändern kann.

Künstliche Aktivierung

Die Forscher führten ihre Experimente an Tabakpflanzen durch. In diese wurde ein zusätzliches Expansin-Gen eingeschleust, das durch die Beigabe des Antibiotikums Tetracyclin aktiviert werden konnte. Weshalb ein Antibiotikum? "Weil zu Beginn der Experimente das System mit Antibiotikum als Auslöser das best charakterisierte und robusteste Versuchssystem war, das zur Verfügung stand", erklärt Fleming. Tetracyclin wurde als Paste unter dem Mikroskop auf die präparierten Pflanzen aufgetragen. Im Prinzip wäre es möglich gewesen, die Wirkung von Expansin überall in der Pflanze zu untersuchen. Die Forscher beschränkten sich jedoch auf zwei Orte, wo sie den Expansineffekt in den Tabaksetzlingen untersuchen: Der eine Ort war die Flanke frisch gesprossener Blätter, der andere lag gegenüber der Stelle im Bildungsgewebe, wo natürlicherweise das nächste Blatt entsteht.

Verkehrte Blattwelt

Die Provokation war erfolgreich: es entstanden neue Blätter am "falschen" Ort. Als die Forschenden später die Struktur und Morphologie der künstlich hervorgerufenen Blätter untersuchten, zeigten diese keine Unterschiede zu normalen Blättern. Diese künstlich Blattbildung hatte auch zur Folge, dass die gesamte nachfolgende Blattanordnung umgekehrt wurde. Sprossen bei einer Tabakpflanze die Blätter nacheinander im Gegenuhrzeigersinn, so entstanden die Blätter, die auf das künstlich hervorgerufene folgten, im Uhrzeigersinn.

expansin fleming
Expansin bringt nicht nur Blätter aus der Form, sondern bewirkt auch eine Umkehrung der Blattanordnung. War bis zum Blatt P1 die Anordnung im Gegenuhrzeigersinn, verlief sie nach dem künstlich hervorgerufenen Blatt I2 im Uhrzeigersinn. (Bild: Andrew Fleming) gross


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fleming expansin
Expansin am Blattrand führt zu Beulen (rechts ein Kontrollblatt, ohne künstlich aktiviertes Expansin. Bild: Andrew Fleming) gross

Angesprochen darauf, wieso nur rund 20 Prozent der behandelten Pflanzen reagierten, antwortet Fleming: "Unsere Technik ist bezüglich der räumlichen Auflösung beschränkt. Da aber die für die Blattspriessung verantwortlichen Zellen nur auf einem kleinen Raum vorkommen und nur während einer kurzen Phase in der Pflanzenentwicklung induziert werden können, ist es durchaus verständlich, dass nicht alle Sprösslinge erfolgreich behandelt werden konnten." Der Biologe betont aber, dass keines der Kontrollexperimente zu einer Blattsprossung führte.

Die Flanken junger Blätter, die mit der Expansinpaste behandelt worden waren, reagierten mit einem verstärkten lokalem Wachstum. Die so entstandenen Auswüchse befanden sich jeweils nur auf der Seite, wo induziert worden war. Die Gegenseite wies eine normale Morphologie auf.

Dehnbarkeit als Schlüsselfaktor

Die Resultate lassen zusammen mit der bereits bekannten Funktion des Expansins als Zellwand-Auflockerer die Dehnbarkeit einer Zellwand als Schlüsselfaktor für die Formgebung erscheinen. Dies widerspricht der traditionellen Sicht, dass zuerst Zellteilungen und erst danach Zellvergrösserungen die Blatt- beziehungsweise Pflanzenausformung bestimmen. Die alte Ansicht wurde gemäss Fleming auch durch Experimente in Frage gestellt, die zeigten, dass durch künstlich herbeigeführte Zellteilung keine grösseren Formveränderungen eintreten. Wie weit das "Ausserform-Bringen" auch praktisch genutzt werden kann, ist noch unklar. Doch eine gezielte Vergrösserung von Pflanzenteilen wird sicher im Bereich der Nutzpflanzen auf Interesse stossen. So auch Fleming: "Wenn wir zum Beispiel die Expansinkonzentration durch klassische Züchtung oder Biotech-Methoden verändern, dann wäre eventuell eine erhöhte Wachstumsrate und eine grössere Anzahl Blätter möglich." Doch das ist nicht sein Forschungsgebiet. "Unsere Forschung wird durch die Neugierde angetrieben; praktische Anwendungen sind erst nachfolgende Schritte."


Fussnoten:
(1) PNAS-Artikel "Local expression of expansin induces the entire process of leaf development and modifies leaf shape": www.pnas.org/cgi/content/full/98/20/11812



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