ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Science Life
English Version English Version
Print-Version Drucken
Publiziert: 17.10.2003 06:00

Neuer Naturstoff entdeckt
Perfekt getäuscht

Um die Fortpflanzung zu sichern, wird in der Natur häufig getäuscht. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die Sextäuscherorchideen, welche die sie bestäubenden Wespen durch Imitation anlocken. Bei der Suche nach dem Täuschungsmechanismus im Fall einer australischen Orchideenart fand ein ETH-Forscher einen neuen Naturstoff.

Von Christoph Meier

Sex kann die Sinne verwirren. In diesem Zustand erliegt auch mancher falschen Versprechungen. Das gilt auch für die Rollwespenmännchen der Art Neozeleboria cryptoides, die sich von der australischen Orchidee Chilogottis trapeziformis durch Aussehen und Geruch verleiten lassen, die Blumen statt die Wespenweibchen aufzusuchen. Für die Pflanze ist eine erfolgreiche Täuschung überlebenswichtig, da die Wespen für ihre Bestäubung zuständig sind. Verschiedene ethologische und chemische Studien haben gezeigt, dass die spezifische Anlockung der Bestäuber von flüchtigen Stoffen der Orchideen abhängt (1). Doch was sind das für Stoffe? Florian Schiestl vom Geobotanischen Institut der ETH untersuchte mit Forscherkollegen diese Frage bei Chiloglottis. Sie stiessen dabei auf einen bisher unbekannten Naturstoff. Ihre Arbeit wird in diese Woche im Wissenschaftsmagazin „Science“ publiziert (2).

Extrakte aus Blüten und Köpfen von Wespenweibchen

Um den Duftstoff, der die Rollwespenmännchen anzieht, zu analysieren, extrahierten die Forschenden sowohl die Blütenzunge der Orchidee als auch die Köpfe der Wespenweibchen. Danach trennten sie mit Hilfe einer Gaschromatographie die Stoffe auf. Die biologische Aktivität der Substanzen wurde dann mit einem ganz speziellen Test geprüft. „In der Elektroantenno-graphischen Detektion genannten Analyse werden die Antennen der Wespenmännchen abgetrennt“, erklärt Schiestl. Die Antennen könnten dann noch rund eine Stunde lang verwendet werden, da die Riechneuronen so lange noch aktiv sind. Gemessen wird dabei die Spannungsänderung , die entsteht, wenn die Zellen eine Verbindung detektieren. Tatsächlich sprach der Test sprach bei einer Substanz an. Diese musste aufgrund der Tests bei der Wespe und der Orchidee identisch sein.

Entdeckte zusammen mit Forscher-Kollegen einen neuen Naturstoff: ETH-Biologe Florian Paul Schiestl. gross


weitermehr

Verführt: ein Rollwespenmännchen lässt sich auf einer Orchidee der Art Chilogottis trapeziformis nieder. (Bild: F. Schiestl) gross

Ein neuer Stoff: Chiloglotton

Die Forscher hatten jetzt den attraktiven Stoff, doch was er chemisch ist, dass wussten sie noch nicht. Verschiedene Spektralanalysen und der Vergleich mit chemisch synthetisierten Substanzen führten schliesslich zu 2-Ethyl-5-Propylcyclohexoan-1-,3-dion, eine Substanz die noch nie beschrieben worden ist und in keine bekannte Klasse von Naturstoffen passte. Den neuen Stoff nannten die Forscher Chiloglotton. „Der Stoff wurde erstmals in der Gattung Chiloglottis nachgewiesen“ begründet Schiestl den Grund, warum die Orchidee als Namensgeberin die Ehre erhielt. Das „on“ steht dabei für zwei Keto-Gruppen, welche die Substanz charakterisieren.

Darum wurden sie getäuscht

Chiloglotton stand aber noch ein Härtetest bevor, nämlich ob es wirklich auch Wespenmännchen anzieht. „Ein solcher Test ist sehr wichtig. Es gibt nämlich Substanzen, die zwar wahrgenommen werden, aber keine Verhaltensreaktion auslösen“, erklärt Schiestl. Darum gingen die Forscher ins Feld und boten wilden Wespenmännchen synthetisches Chiloglotton, aber auch solches aus Wespen und Orchideen an. Der Stoff, egal von welcher Quelle, zog die Wespenmännchen an. Die künstliche Substanz erwies sich dabei als gleich effizient wie seine natürlichen Konkurrenten. Damit war ein weiterer Beleg da, dass es sich in allen drei Fällen um ein und dieselbe Substanz handelt. Kein Wunder also, dass sich die Wespenmännchen täuschen liessen.

Spezialistentum und Artenbildung

Könnte es sein, dass solche perfekte Täuschungen über Duftstoffe noch bei anderen Orchideen vorkommen? Schiestl erachtet das als wahrscheinlich und glaubt, dass man dabei auch noch auf weitere neue Substanzen stossen wird. Den Biologen faszinieren bei seiner Forschung aber nicht nur die neuen Stoffe, sondern auch der Umstand, dass es zu so hoch spezialisierten Entwicklungen überhaupt kommt. Die Abhängigkeit von Chiloglottis praktisch von einem Duftstoff schränkt nämlich deren evolutionäre Flexibilität stark ein. Trotzdem kann eine solche Spezialisierung auch Vorteile haben, da so möglicherweise weniger Pollen verschwendet werden. Mag sich Schiestl mit dieser Hypothese vielleicht täuschen, so wird es ihn sicher nicht davon abhalten, weiterhin zu erforschen, wie die spezifische Anlockung funktioniert. Sind einmal mehrere nah verwandte Arten analysiert, wird man sicher besser verstehen, wie Populationen durch einen spezialisierten Bestäubungsmechanismus reproduktiv isoliert werden und somit neue Arten entstehen.


Fussnoten:
(1) Vgl. auch „ETH Life“-Bericht „Betörender Orchideenduft“: www.ethlife.ethz.ch/articles/WespenSchiestl.html
(2) Florian P. Schiestl, Rod Peakall, Jim G. Mant, Fernando Ibarra, Claudia Schulz, Stephan Franke, and Wittko Francke: "The Chemistry of Sexual Deception in an Orchid-Wasp Pollination System", Science 17. Oktober, 2003



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!