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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 07.10.2002 06:00

Software für die Bewertung der Umweltverträglichkeit von chemischen Synthesen
"Green Chemistry" - von Anfang an

Der Begriff "Nachhaltigkeit" steht in vielen Agenden. Mit der Umsetzung hapert es aber noch. Für die Chemie hat nun ein ETH-Forscher ein Computer-Programm entwickelt, das eine Quantifizierung der potentiellen Umweltbelastung ermöglicht, die sich aus einer chemischen Synthese ergeben kann.

Von Christoph Meier

93 Prozent Ausbeute im Vergleich zu 60 Prozent - der Fall scheint klar zu sein: Will man die Chemikalie "4-Methoxyacetophenon" synthetisieren, dann benötigt man normalerweise Aluminiumtrichlorid als Katalysator, wodurch eine bessere Umsetzung und damit höhere Ausbeute erzielt werden kann. Trotzdem würde der ETH-Chemiker Marco Eissen vom Laboratorium für Technische Chemie aus der Arbeitsgruppe von Professor Konrad Hungerbühler eine andere Wahl treffen. Er empfiehlt eine mit Zeolith katalysierte Reaktion, die nur zu einer Ausbeute von 60 Prozent führt. Der Grund für sein Abweichen liegt darin, dass Eissen verschiedene Alternativen zur Herstellung von 4-Methoxyacetophenon auf ihre Nachhaltigkeit hin untersucht und festgestellt hat, dass die Synthese mit Zeolith am umweltfreundlichsten und sogar kostengünstiger ist.

Neuer Blick auf die Chemie

Den Vergleich der verschiedenen Synthesewege führte der Chemiker mit Hilfe des von ihm in Zusammenarbeit mit zwei Informatikern entwickelten Computerprogramms EATOS (Environmental Assessment Tool for Organic Syntheses) (1) durch. In seinem Bereich sei das Tool bereits vor eineinhalb Jahren fertig gestellt worden, doch gratis im Internet abrufbar ist es erst seit diesem Sommer, erläutert der Chemiker. Auch diesen Sommer erschien ein entsprechender Artikel im Wissenschaftsmagazin "Chemistry - A European Journal" (2). In diesem Artikel werden anhand des oben erwähnten Beispiels die Möglichkeiten des Tool illustriert. Denn damit ein "neuer Blick auf die Chemie" möglich wird, ist es gemäss Eissen nötig, dass Chemiker beim Vergleichen verschiedener synthetischer Alternativen nicht nur auf die Ausbeute schauen. "Die Ausbeute ist bei den meisten Chemikern die zentrale Kerngrösse, doch bezieht sie das Produkt auf nur ein Edukt", schildert Eissen die Situation und fährt fort: "Dabei geraten die anderen Edukte meist ein wenig aus dem Blickfeld ebenso wie die Bildung unerwünschter Koppelprodukte und, vor allen Dingen, die Verwendung grosser Mengen an Lösungsmitteln und Hilfsstoffen."

Einfach durchzuführende Abschätzung

Mit EATOS steht nun ein Hilfsmittel zur Verfügung, mit dem jeder präparativ Tätige im Vornherein Aspekte wie Ressourcenverbrauch und Umweltverträglichkeit miteinbeziehen kann. Für eine Massenbilanzierung braucht der Anwender des Tools nur die stöchiometrische Gleichung und die Massen der eingesetzten Substanzen einzugegeben. Für die Bestimmung der potentiellen Umweltbelastung sind noch Daten zur Qualität der verwendeten Substanzen einzutragen, dass heisst vor allem zur Toxizität, Ökotoxikologie, Akkumulation und Persistenz. Diese Daten werden in einer automatisierten, transparenten Vorgehensweise in die Bewertung eingebunden. Bislang enthält die Software interne Substanzdatenbank inklusive entsprechender spezifischer Eigenschaften rund 40 Substanzen, doch im Sinne der Benutzerfreundlichkeit soll diese noch stark vergrössert werden. Durch Eingabe der Substanzpreise wird die Bestimmung der in Einzelposten aufgeschlüsselten Gesamtkosten bezogen auf ein Kilogramm hergestellten Produkts auch für komplexe Synthesesequenzen möglich - und das per Knopfdruck. Die Schwachstellenanalyse bezieht sich also nicht nur auf die Umweltverträglichkeit sondern auch auf die Kostentreiber.

Bestandteil des "neuen Organikums"

In Einsatz kommen soll das Computerprogramm in der Entwicklung von Feinchemikalien und Arzneimitteln. Überlegt sich zum Beispiel ein Forschungsleiter, mit welcher Synthese er ein Zielmolekül herstellen will, dann kann er seine verschiedenen Alternativen schon während der Planungsphase mit EATOS auf ihre Umweltverträglichkeit und Rohstoffkosten abschätzen. Dies ist insofern wichtig, da in den frühen Phasen der Entwicklung die Freiheitsgrade und damit Optimierungsmöglichkeiten noch sehr gross sind, während zu einem späteren Zeitpunkt notwendig werdende Änderungen zu hohen Kosten führen, die man möglicherweise frühzeitig hätte erkennen und vermeiden können.


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Was ist "grüner"? Augrund der Analyse von Marco Eissen erweist sich die Reaktion rechts trotz kleinerer Ausbeute als die umweltveträglichere und kostengünstigere. gross

Damit auch angehende Chemiker frühzeitig sensibilisiert werden, soll gemäss Eissen das neue Tool auch Eingang in Praktika und Lehrbücher finden. In einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Verbundprojekt wird die Software für die Bewertung der Umweltverträglichkeit von Praktikumsynthesen bereits eingesetzt. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines neuen Praktiumsbuches für die Ausbildung im Labor, das den Umweltbelangen mehr Rechnung trägt als bisherige Standardwerke wie zum Beispiel das "Organikum". Die Verwendung des Tools wurde an einigen Universitäten in den Lehrstoff integriert.

Verbesserung und Verbreitung

Im Moment beschäftigt sich Eissen damit, sein Computer-Programm, an dessen Entwicklung auch Professor Jürgen O. Metzger aus Oldenburg (Deutschland) mitgewirkt hat, zu testen und bekannter zu machen. So prüft er zum Beispiel durch Abgleich mit vertraulichen Daten aus der Industrie, welche Auswirkung die Qualität von Literaturdaten zu chemischen Synthesen auf die Bewertung haben. Denn oft werden in der Forschung nur kleine Mengen verwendet, so dass sich Mengenverhältnisse hochgerechnet auf ein Produktionsverfahren noch verändern. Mit Blick auf den Einzugsbereich der ETH führte Eissen bereits eine Untersuchung für den ETH-Chemieprofessor Erick M. Carreira durch. Mittels EATOS zeigte sich, dass eine katalytisch geführte Synthese aus dessen Forschungsarbeiten mit viel geringerem Ressourcenverbrauch einhergeht als die traditionelle Variante. Doch nicht nur organische Chemiker gehören zu der Zielgruppe von Eissen. An der am 10. und 11. Oktober in Zürich stattfindenden Tagung "Applied Biocatalysis" (3) setzt Eissen sein Tool ein, um in Zusammenarbeit mit der ETH-Arbeitsgruppe um Andreas Schmid biotechnologische Synthesen ihrer traditionellen chemischen Alternative gegenüber zu stellen.

Durch einen verbreiteten Gebrauch der Software sollte es möglich werden, gleichsam Synthesemodule zusammenzustellen und auszutauschen, die man wie Bausteine für die Bewertung ganzer Synthesesequenzen verwenden kann. Fernziel ist eine ganzheitliche und zugleich schnell durchführbare Betrachtung ausgehend vom Erdöl, beziehungsweise besser noch vom nachwachsenden Rohstoff, bis hin zur hochveredelten Chemikalie. Wie auch immer der Erfolg von EATOS sein wird, das Programm ist ein Beispiel dafür, wie die in der Agenda 21(4) geforderte verstärkte Rolle der Wissenschaft zur effizienteren Nutzung der Ressourcen und Schonung der Umwelt umgesetzt werden kann.


Fussnoten:
(1) Environmental Assessment Tool for Organic Syntheses: www.chemie.uni-oldenburg.de/oc/metzger/eatos
(2) Chem. Eur. J. 2002, 8, No.16, Marco Eissen, Jürgen O. Metzger, "Environmental Performance Metrics for Daily Use in Synthetic Chemistry": www3.interscience.wiley.com
(3) Die Fachtagung "Applied Biocatalysis" an der ETH: www.biotech.biol.ethz.ch/symposium
(4) Agenda 21: www.un.org/esa/sustdev/agenda21text.htm



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