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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 29.11.2005 06:00

Collegium: Tagung zur Rolle der Emotionen bei politischen Entscheidungsprozessen
Emotionen in der Politik

Welche Rolle spielen Emotionen bei individuellen und politischen Entscheidungen? Dieser Frage widmete sich am letzten Samstag ein Symposium des Collegium Helveticum und der Stiftung für humanwissenschaftliche Grundlagenforschung in der Semper-Sternwarte.

Lukas Denzler

Emotionen hätten in der Politik nichts verloren – zu dieser Ansicht neigen rational denkende Menschen. Doch die Realität sieht anders aus. Menschen ohne Emotionen gibt es nicht. Das gilt für Stimmbürger genauso wie für Parlamentarier und Bundesräte. Aber welche Rolle spielen Emotionen in politischen Entscheidungsprozessen wirklich? Dieser Frage war am letzten Samstag ein Symposium gewidmet, das gemeinsam vom Collegium Helveticum und der Stiftung für humanwissenschaftliche Grundlagenforschung (SHG) organisiert wurde. In ihrer kurzen Einführung wies Mirjam Helg, Geschäftsführerin der SHG und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Collegium Helveticum, unter anderem darauf hin, dass die Bedeutung der Emotionen schon lange bekannt sei. Das Problem liege viel mehr darin, wie man diese Phänomene auch wissenschaftlich fassen könne.

Emotionale Intelligenz ist gefragt

Das erste Referat wurde bezeichnenderweise denn auch nicht von einem Wissenschaftler gehalten. Peter Müller, Generalsekretär im Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten, sprach über Lust und Frust beim Politisieren. Der politische Prozess, so Müller, finde in einem Amalgam von handfesten materiellen Interessen, von weltanschaulichen, religiösen und parteipolitischen Überzeugungen statt. Wichtig seien aber auch persönliche Gefühle, Neigungen und Befindlichkeiten. Wer auf der politischen Bühne erfolgreich sein wolle, müsse nicht nur in Sachthemen sattelfest sein, sondern auch mit den Emotionen spielen können – mit den eigenen und jenen seines Publikums. „Kaum an einem anderen Ort ist Emotionale Intelligenz so gefragt wie in der Politik“, sagte Müller, der früher als leitender Beamter im Bundesamt für Justiz wirkte.

In den Augen von Müller dient der Gesetzgebungsprozess unter anderem dazu, den emotionalen Zugang zu einem Sachverhalt durch einen rationaleren zu ersetzen. Oft finde in dieser Phase eine Versachlichung der Auseinandersetzung statt. Bei der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs sowie der aktiven Sterbehilfe hätten Emotionen jedoch eine herausragende Rolle gespielt. In Bezug auf die Sterbehilfe sagte Müller, er habe noch nie eine Kommission erlebt, wo Emotionen und Misstrauen eine so grosse Rolle gespielt hätten. Schliesslich resultierte ein Patt in der Kommission, und der Bundesrat sei ziemlich ratlos gewesen. Der Nationalrat habe eine sehr ernste Debatte dazu geführt, doch Emotionen seien immer wieder durchgebrochen. Gebe es zu einer Frage jedoch nicht genügend gesichertes Wissen oder gegenteilige Befunde, so spielten die Emotionen eine entscheidende Rolle. Laut Müller gibt dann oft die herrschende Grundstimmung den Ausschlag. Die Abstimmung vom letzten Sonntag über das fünfjährige Moratorium für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft hat diese These bestätigt.

Nur am Rande äusserte sich Peter Müller über das Kollegialitätssystem. Ein emotionaler Grundkonsens sei für die Zusammenarbeit in einer Regierung nötig, meinte er. Die Zürcher Bildungsdirektorin Regine Aeppli, die als Zuhörerin im Publikum sass, sagte dazu, dass informelle Strukturen wichtig seien, um die emotionalen Spannungen, die in einer Mehrparteienregierung zwangsläufig entständen, zu bewältigen. So gingen die Mitglieder des Regierungsrates beispielsweise nach jeder Regierungsratssitzung gemeinsam zum Mittagessen.

Trittbrettfahrer wecken starke Emotionen

Ernst Fehr, Direktor des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich und Fellow am Collegium Helveticum, sprach über Fairness, Gerechtigkeit und Emotionen im menschlichen Verhalten. Laut Fehr ist es entscheidend, wie hoch die Bereitschaft ist, für Fairness und Gerechtigkeit einzutreten, wenn damit Aufwand und Kosten verbunden sind. Mit Hilfe von Experimenten könne abgeklärt werden, ob ein Dritter Strafmassnahmen ergreift, wenn eine von zwei Parteien eine Fairnessnorm verletze. Am Beispiel öffentlicher Güter zeigte Fehr auf, was dies bedeutet. Viele Menschen seien bereit, für die Bereitstellung öffentlicher Güter ihren Anteil zu leisten, solange dies andere auch tun.


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Auch in der scheinbar von rationalen Konzepten geprägten Bundespolitik brechen immer wieder die Emotionen durch: Blick in den Nationalratssaal in Bern. (Bild: Bundeshaus)

Nun gibt es aber auch Trittbrettfahrer, die profitieren, ohne selbst einen Beitrag zu leisten. Ernst Fehr: „Wir haben festgestellt, dass diejenigen, die mitmachen, sehr starke Emotionen bis hin zu blanker Wut gegenüber den Trittbrettfahrern empfinden.“ Die Frage aber bleibt: Werden Sanktionen gegen den Verstoss von Gerechtigkeitsvorstellungen ergriffen, wenn diese den Einzelnen etwas kosten? Laut Fehr begännen die Menschen dann abzuwägen und es spielten auch eigene Vorteile eine Rolle.

Was aber wird als fair oder gerecht empfunden? Bekanntlich herrschen nicht in allen Gesellschaften die gleichen Normen. „Viele Kulturen haben ähnliche Normen wie unsere Gesellschaft“, sagte Fehr. Es gebe aber auch solche, die andere Vorstellungen von Fairness hätten. Sind diese Normen genetisch oder kulturell bedingt? Fehr glaubt, dass dies ähnlich ist wie bei den Sprachen. Menschen haben die angeborene Fähigkeit, eine Sprache zu erlernen. Welche Sprache ein Kind aber lernt, hängt davon ab, wo es aufwächst. Übertragen auf Fairness und Gerechtigkeit würde das bedeuten, dass die (meisten) Menschen in der Lage sind, Verletzungen von Normen festzustellen. Was aber genau darunter verstanden wird, ist kulturell bedingt.

In den Augen von Fehr unterliegen jedoch auch bei uns Gerechtigkeits- und Fairnessvorstellungen keinen festen Regeln. Dies ermögliche der Politik, mit den Emotionen der Leute zu spielen. In der Schweiz erschienen in letzter Zeit vor Abstimmungen immer wieder Plakate, die auf die Emotionen und Ängsten der Menschen abzielten und teilweise demagogische Züge trugen. Das Spiel mit den Emotionen lohnt sich für die Parteien laut Fehr, weil für den Einzelnen eine grosse Anstrengung nötig sei, die emotionale Ebene sozusagen zu übertrumpfen. Wie die Resultate der Abstimmungen in letzter Zeit zeigten, sei diese Rechnung jedoch nicht immer aufgegangen.

Selbstüberschätzung in Konflikten

Einen Sprung auf die Makroebene der Staaten machte Lars-Erik Cederman vom Center for Comparative and International Studies (CIS) von ETH und Uni Zürich. Bei bewaffneten Konflikten überschätzen die Akteure oft ihre Stärke. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen könnte sein, dass sich Selbstüberschätzung in Konflikten tatsächlich auch auszahlt. Dies zeigt auch ein Computermodell eines virtuellen Staatensystems, welches erlaubt, verschiedene Effekte von Selbstüberschätzung zu testen. Cederman sagte, dass sich heute Selbstüberschätzung vermutlich nicht mehr lohne. Was aber nicht heisse, dass sie nicht mehr vorkomme. Laut Cedermann ist es sehr schwierig, politische Abläufe auf dieser Ebene zu analysieren: „Wir haben es da mit Menschen zu tun, die ganz komische Ideen haben.“


Collegium Helveticum und SHG

Seit einem Jahr wird das Collegium Helveticum gemeinsam von der Universität und ETH Zürich getragen. Neben den wissenschaftlichen Mitarbeitern besteht das Collegium Helveticum aus sechs Wissenschaftlern der beiden Hochschulen, die sich für fünf Jahre als „Permanent Fellows“ verpflichtet haben. Als erster Forschungsschwerpunkt wurde das Thema „Emotionen“ gewählt. Die Stiftung für humanwissenschaftliche Grundlagenforschung (SHG) fördert die Erforschung der verbindenden humanen Grundlagen der Wissenschaften, das interdisziplinäre Gespräch über jene menschlichen Haltungen und Bestrebungen, die es in einer durch Naturwissenschaft und Technik zunehmend beherrschten Welt zu stärken gilt sowie Bestrebungen, die geeignet sind, bei den Wissenschaftern das Bewusstsein ihrer humanen Verantwortung zu stärken. Aktuell steht ein Forschungsprojekt im Vordergrund, das eine interessen-, religions- und kulturunabhängige Anleitung zu sachgerechten Entscheidungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft bieten soll. (lde)






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