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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 11.03.2005 06:00

Vor einem Gletschersturz am Weisshorn
Der grüssende Gletscher

Es ist nur noch eine Frage der Zeit: Aus der Flanke eines der schönsten Berge der Alpen, des Weisshorns, wird ein Gletschersturz erfolgen. Das weiss man dank den Beobachtungen des ETH-Glaziologen Martin Funk. Der ETH-Experte zur Überwachung des Naturereignisses und seinen möglichen Folgen.

Von Christoph Meier

Für manche Bergsteiger stellt das 4506 Meter hohe Weisshorn den schönsten Gipfel der Alpen dar. Dem Berg widmete der Zermatter Schriftsteller Ernesto Perren im Jahr 2000 das Buch „Am Wege zur leuchtenden Pyramide“ (1). Darin steht: „Randa, das schmucke Dorf zu Füssen der leuchtenden Pyramide, zu dem sich die Gletscher grüssend hinabwenden, ist ein stiller Hort der echten Bergfreunde.“ Doch grüssen die Gletscher nur? Einer von ihnen, der Bisgletscher, scheint auch zu drohen. So wird ein Teil von ihm in der Nordostflanke des Weisshorns bald abbrechen, mit unbekannten Folgen.

Das Gefahrenpotenzial des Bisgletschers, der am Weisshorn zwei Hängegletscher bildet, ist seit längerem bekannt. So sind rund 20 Eissturz-Ereignisse dokumentiert, die teilweise auch Menschenleben forderten. Martin Funk, ETH-Glaziologe und Mitautor des im Jahre 2003 erschienen Buches „Inventar gefährlicher Gletscher in der Schweiz“ erachtet trotz seiner umfassenden Kenntnisse der eisigen Riesen in der Schweiz die Konstellation am Bisgletscher als einmalig (2)(3). Die grosse Höhendifferenz von rund 3000 Metern und die mögliche Gefährdung von menschlichen Siedlungen oder Einrichtungen seien doch sehr speziell.

Auf dem Hängegletscher in der Nordostflanke des Weisshorns installierten ETH-Forscher verschiedene Messgeräte. Gut erkennbar die zwei sich öffnenden Spalten. gross

Kamera gerade vor Spaltenöffnung installiert

Im Zusammenhang mit einem Überwachungskonzept für gefährliche Gletscher im Kanton Wallis wurde letztes Jahr im September eine Kamera beim Gipfel des Bishorns installiert, um die Hängegletscher am gegenüberliegenden Weisshorn besser überwachen zu können. Der Zufall wolltes es, dass bereits im Oktober erste Anzeichen eines kleinen Spaltes registriert wurden. Dieser klafft mittlerweile rund zehn Meter auseinander, und bereits öffnet sich noch ein zweiter. Es wurde klar, dass es eine Frage der Zeit ist, bis es zu einem Abbruch kommt. Das veranlasste den Kanton Wallis und die ETH-Forscher vor rund einem Monat dazu, Messsonden auf dem Gletscher zu installieren. .

Gletschergrollen für Prognose tauglich?

Bei den immer noch laufenden Messungen kommen drei Systeme zum Einsatz. So wird sowohl mittels Laser-Distanzmessungen als auch mit GPS-Geräten die Bewegung des Gletschers gemessen. Letztere, die von der Firma Geosat aus Siders stammen, sind wohl teuer, haben aber den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu den Lasermessungen wetterunabhängig funktionieren. Denn da aus einer Distanz von sechs Kilometern gemessen wird, kann eine hohe Luftfeuchtigkeit das Lasersystem bereits beeinträchtigen. Zu den erwähnten beiden Systemen kommt noch ein Geophon, das Funk vom Schweizer Erdbebendienst und dem ETH-Institut für Geophysik zur Verfügung gestellt wurde. Dieses soll Gletscherbeben registrieren. Sie wüssten, dass Gletscherstürze im Voraus einigen Lärm verursachen, der von Erschütterungen herrührt, erläutert Martin Funk. Jetzt möchte man testen, ob sich dieses Phänomen auch ausnützen lässt, um einen Abbruch vorauszusagen. Ist der Test erfolgreich, könnte vielleicht das Gletschergrollen prognostisch genutzt werden.


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Das Weisshorn im Mattertal aufgenommen vom Bishorn am 9. März. Am linken Bildrand sieht man den Hängegletscher, bei dem ein Eissturz erfolgen wird. (Bilder: ETH-Glaziologie) gross

Warten auf Beschleunigung

Doch wie sieht die Situation im Moment aus? Der ETH-Glaziologe, obwohl im Winter durch die sich rasch öffnende Spalte überrascht, erachtet die in den vergangenen Tagen gemessene Beschleunigung nicht als kritisch. Es sei nämlich wie bei Bergstürzen so, dass nicht die Geschwindigkeit – sie liegt jetzt beim sich öffnenden Gletscher bei 15 bis 20 Zentimeter pro Tag -, sondern deren rasche Änderung, also die Beschleunigung, zur Bestimmung des Abbruchzeitpunktes dient. Über den Daumen gepeilt könnte Funk sich vorstellen, dass das Eis in einem Monat abbricht. Doch exakte Zeitangaben sind im Moment noch nicht möglich.

Doch was geschieht dann? Sie würden als erstes eine nochmalige Abschätzung des abbrechenden Eisvolumens vornehmen, erläutert Funk. Zusammen mit Spezialisten des Schweizerischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung und den Verantwortlichen für Naturgefahren des Kanton Wallis könne dann die Gefahr einer Eis-Schneelawine eingeschätzt werden. Denn eine Gefahr für Randa bestehe nur, wenn der Eissturz zu einer Lawine führe. Insofern würde ein Absturz heute wegen der geringen Schneemenge in der Weisshornflanke kaum eine Bedrohung darstellen.

Dass eine gewisse Unsicherheit bleibt, ist sich aber auch Martin Funk bewusst. Das müsse man kommunizieren. Doch damit könnten er und die Walliser leben. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass der ETH-Forscher ein Restrisiko in Kauf nimmt, und kurz vor dem prognostizierten Absturz einen Teil seiner teuren Messgeräte vom Gletscher entfernen will. Gelingt das, bleibt ihm und den Bewohnern von Randa nur noch eine kurze Wartezeit, bis sie definitiv wissen, wie weit der Gletscher seinen eisigen Gruss Richtung Tal hinunterschickt.

Innenansicht der sich öffnenden Spalte am Bisgletscher. gross


Fussnoten:
(1) Luzius Kuster und Ernesto Perren: „Am Wege zur leuchtenden Pyramide. Das Weisshorn und seine 100-jährige Hütte“, Verlag: Rotten. ISBN: 3-907624-05-X
(2) ETH-Glaziologie: www.vaw.ethz.ch/research/glaciology
(3) Inventar der gefährlichen Gletscher der Schweiz: http://glaciology.ethz.ch/inventar/inventar.html



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