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Rubrik: Science Life

Risiken ungenügend untersucht
Nachlässige Nano-Industrie

Published: 16.02.2006 06:00
Modified: 16.02.2006 14:17
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Die Industrie, die bereits heute auf Nanotechnologie setzt und entsprechende Produkte in Umlauf bringt, vernachlässigt die Risiken. Das ist das Fazit einer Fallstudie der ETH.



Peter Rüegg (mailto:peter.rueegg@cc.ethz.ch)

Die Risiken der Nanotechnologie einzuschätzen, war bisher entweder Science Fiction oder eine Peilung über den Daumen. Mit einer transdisziplinären Fallstudie über Risiken und Chancen der aufstrebenden Technologie mischt sich das Institut für Mensch-Umwelt-Systeme nun mit einem systematischen Ansatz in die laufende Diskussion über Gefahren und Chancen der Nanotechnologie ein. Zum richtigen Zeitpunkt, wie es scheint. Denn die Studie deckt auf, dass die Industrie mögliche Gefahren wenig beachtet.

Toxizität in vielen Fällen nicht geklärt

Das zeigen unter anderem die Resultate aus Firmenbefragungen. Drei von vier Firmen gaben an, die Risiken der neuen Technologie und Produkte nicht abzuschätzen. Die Hälfte der Unternehmen würde es aber begrüssen, wenn ihnen dazu bessere Methoden zur Verfügung stünden.

Nur zwei von 32 Unternehmen sagten aus, tatsächlich eine Untersuchung über die Aufnahme von Nanoteilchen durch Lebewesen gemacht zu haben. Ob Produkte mit Nanopartikeln auch giftig sein können, untersuchte nur jede fünfte Firma. Die Hälfte testete die Toxizität nicht, ein knappes weiteres Viertel wusste nicht, ob Tests durchgeführt wurden.

Dies hat viel mit dem Selbstverständnis der Nanopartikel-produzierenden Industrie zu tun. Die Mehrheit von deren Vertretern geht nämlich davon aus, dass Nanoteilchen so gut wie unschädlich sind und bei der Produktion nicht in natürliche Systeme oder den menschlichen Körper übergehen können, obwohl es wissenschaftliche Studien gibt, die das Gegenteil belegen. (1)

Fast paradox erscheint es da, dass die befragten Firmen vor allem auf Eigenverantwortung setzen und keine staatliche Regulation wünschen. Die Verantwortung liegt nach Ansicht der Industrie bei den Produzenten. Industriestandards sollen beim Umgang mit Nanopartikeln genügen, um Umwelt und Mensch vor unerwünschten (Neben-)Wirkungen zu bewahren. Am ehesten wird der Ruf nach staatlicher Regulation bei der Entsorgung der Produkte laut.

Was ich nicht weiss, …

Die Haltung der Industrie steht auch in Kontrast zur Wahrnehmung von Laien. Otto Normalverbraucher schätzt das Risiko der Nanotechnologie hoch ein bei Produkten, die im wahrsten Sinn des Wortes unter die Haut gehen. Brot mit Zugabe von Nanopartikeln kommt im Vergleich mit konventionellem Brot schlecht weg. Die Konsumenten stellen ein solches Produkt auf eine ähnlich tiefe Stufe wie Brot mit gentechnisch veränderten Zutaten. Ähnlich ist die Haltung gegenüber kosmetischen Produkten wie Sonnencremen.

Verpackungen, die mit nanotechnischen Verfahren behandelt wurden, kommen dagegen besser an. Und Skier, Autolackierungen oder Fotopapiere, die aus den Labors der Nanotechniker stammen, sind für Konsumentinnen und Konsumenten durchaus akzeptabel. „Nano-Produkte schneiden schlechter ab, je näher sie beim Konsumenten sind“, folgert Studienleiter Arnim Wiek vom Institut für Mensch-Umwelt-Systeme. Damit drohe der Nanotechnologie ein ähnliches Schicksal wie der Gentechnologie. Würden Konsumierende den Nutzen der Anwendung erkennen und den Herstellern vertrauen, dann seien sie auch eher bereit, solche Produkte zu kaufen. Experten schätzen die Risiken im Übrigen geringer ein als Laien.

Textilien mit und ohne Nanobeschichtung im Test: Am rechten Lappen perlt das Schmutzwasser ab, der linke saugt sich voll (Bild: www.olma-messen.ch)

NGOs füllen Infolücke nicht

Um Vertrauen zu schaffen, braucht es allerdings mehr Information – und auch da hapert es. Zwar sind nach Ansicht der Akteure des Nano-Geschäfts die Medien, NGOs und Behörden für die Information der Bevölkerung zuständig. Diese erfüllen diese Funktion allerdings nur ungenügend. „Die NGO haben das Thema noch nicht entdeckt“, urteilt Wiek. Das Bundesamt für Gesundheit BAG und das Bundesamt für Umwelt BAFU sind nun aber derzeit daran, eine neue Informationsplattform zur Nanotechnologie aufzubauen.

Verschiedene Zukunftsszenarien

In ihrer Fallstudie haben die Studierenden und ihre Betreuer auch einen Blick in die Zukunft geworfen und fünf Szenarien für die Nanotechnologie entworfen. Diese Szenarien reichen von einer „no nano“-Zukunft über Zwischenformen bis hin zu „nano wins“. Beide Extreme werden in der Fallstudie als wenig wahrscheinlich eingestuft. Am ehesten setzen sich laut Arnim Wiek mittlere Varianten durch. In einem Fall bleibt die Technologie im Hintergrund und beschränkt sich auf die Bereiche IT und Energie oder Medizin. Im besten Fall, dem Szenario „no nano contact“, setzt sich die Nanotechnologie in vielen Bereichen des Alltags durch, nicht aber bei Lebensmitteln und anderen Produkten, die direkt auf oder im Körper enden.

An der Fallstudie haben 60 Studierende der Umweltwissenschaften und ihre Betreuer sowie 30 externe Experten gearbeitet. Fünf Gruppen haben unterschiedliche Aspekte der Nanotechnologie untersucht, darunter Zukunftsszenarien, die involvierten Akteure und wie diese untereinander verwoben sind, Risikowahrnehmung und Akzeptanz von Nanotechnologie. Betreut wurden sie von Tutoren und den beiden Projektleitern Michael Siegrist und Arnim Wiek. Dieser stellt eine weitere Fallstudie zum Thema in Aussicht.

Footnotes:
(1 Jim Giles (2004): Nanoparticles in the brain: www.nature.com/news/2004/040105/full/040105-9.html


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