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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 17.02.2006 06:00

Das neue Buch „Wissenschaft in der Krise?“
Helvetische Gentechkrise

Ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung misstraut zumindest der grünen Gentechnik. Im neuen Buch „Wissenschaft in der Krise?“ analysiert eine ETH-Forscherin, wie sich der Risikodiskurs über Gentechnik in der Schweiz und den USA entwickelte. Sie stellt fest, dass die Wissenschaft in diesem Bereich der Schweiz früh in die Defensive geriet und dass die zunehmende Verflechtung mit der Wirtschaft die öffentliche Akzeptanz einschränkt.

Christoph Meier

Gegen Ende des letzten Jahres nahm das Schweizer Stimmvolk die Initiative „für Lebensmittel aus einer gentechnikfreien Landwirtschaft“ mit 55.7 Prozent Ja-Stimmen an. Gemäss einer Vox-Analyse Anfang dieses Jahres wäre die Zustimmung noch höher ausgefallen, wenn mehr Stimmbürger den genauen Inhalt des Volksbegehrens gekannt hätten. Denn unter anderem hatten 13 Prozent der Stimmenden mit ihrem Nein ein grundsätzliches Nein zur Gentechnologie äussern wollen. Diese Skepsis von Teilen der Bevölkerung kontrastiert stark zur Haltung vieler Wissenschaftler, welche die Unbedenklichkeit der grünen Gentechnik betonen.

Die unterschiedlichen Einschätzungen werfen die Frage auf, wieso die Forschenden nicht zu überzeugen vermochten. Spiegelt sich darin ein grundsätzlicher Autoritätsverlust der Wissenschaft in diesem Forschungsbereich? Mit dieser Problematik setzt sich das kürzlich erschienene Buch „Wissenschaft in der Krise?“ auseinander (1). Verfasst hat es die Umwelt-Sozialwissenschaftlerin Monika Kurath, die am Collegium Helveticum der ETH Zürich ein Forschungsprojekt zu Risikokonzepten in den Nanowissenschaften und den Nanotechnologien verfolgt.

Für ihre Studie verglich die Wissenschaftlerin die Entwicklung des Risikodiskurses über Gentechnik zwischen der Schweiz und den USA. Dabei suchte sie nach den historischen Ereignissen, welche die Diskussion beeinflussten. Zudem interviewte sie 69 Personen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und von NGO. In den Gesprächen wurde immer wieder die Rolle der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft angesprochen sowie die von Prognosen über potenzielle Anwendungen der gentechnischen Grundlagenforschung.

USA profitiert von Asimolar

Als wichtiges historisches Ereignis im Gentechnikdiskurs in den USA macht Kurath die Konferenzen Anfang der 70er Jahre im kalifornischen Asimolar aus. Der Anstoss dazu kam aus der Wissenschaft selbst, indem Molekularbiologen die Risiken ihres Forschungsbereichs thematisierten. Obwohl die Buchautorin darauf aufmerksam macht, dass sich die US-Wissenschaft in jener Zeit durch Ereignisse wie den Atombombenabwürfen und dem Vietnamkrieg zunehmend mit der Kritik am problematischen Einsatz von wissenschaftlichen Erkenntnissen konfrontiert sah, wirkte die Selbstkritik der Biologen überzeugend und vertrauensbildend.

Anders war die Situation in der Schweiz. Hier gelang es den Gentechnikforschern nicht, die öffentliche Diskussion als erste zu besetzen, so dass sie früh in die Defensive gerieten. Es waren vielmehr die NGO, welche in der 80er Jahren als erste Reproduktions- und Fertilisationstechniken problematisierten und später ihre Kritik auf die Gentechnik ausdehnten. Dabei stellte man die Selbstregulierung der Wissenschaft immer mehr in Frage. Einen Erfolg in der ganzen Debatte konnten die Forscher aber verbuchen, als im Jahre 1998 die Genschutzinitiative mit ihren restriktiven Forderungen vom Stimmvolk abgelehnt wurde. Doch auch dieses Plebiszit für die Forschung etablierte deren Glaubwürdigkeit nicht umfassend. Insbesondere die gesuchte Nähe der Forschung zur Wirtschaft wurde in der Öffentlichkeit zunehmend negativ bewertet.

Kurath konstatiert, dass sich die Gentechnik in der Schweiz in einer Krise befindet. Dies steht im Gegensatz zur USA. Wohl durchlebte auch dort die Wissenschaft heftige Kontroversen zum Thema, die 1975 zu einem dreimonatigen Moratorium für Arbeiten mit rekombinanter DNA in Cambridge führten. Oder es gab einigen Aufruhr um die missglückte Gentherapie beim Knaben Jesse Gelsinger Ende der 90er Jahre. Doch der Protest blieb punktueller. Eventuell, so Kurath, hänge das auch mit den verschiedenen politischen Kulturen zusammen. Denn vergleichbare direktdemokratische Möglichkeiten wie in der Schweiz existieren in den USA nicht.


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Risikodiskurs durch Zukunftsszenarien bestimmt

Beidseits des Atlantiks kann man aber eine Einbusse der Wissenschaft als risikofestsetzende Instanz feststellen. Das liegt einerseits in der erwähnten, zunehmenden Wirtschaftsnähe der Wissenschaft. Andererseits aber auch darin, dass die Risikoauffassung der Bevölkerung gerade in Bezug auf die Gentechnik nicht der vieler Wissenschaftler entspricht. So bezieht sich insbesondere bei der grünen Gentechnik die Risikodiskussion häufig nicht auf Schadensmass und Eintretenswahrscheinlichkeit, sondern vielmehr auf Szenarien einer möglichen Zukunft.

Eine bedeutende Rolle spielen dabei auch die Prognosen von Wissenschaftlern. Wird eine als nicht umsetzbar erachtet, schadet das der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Kurath plädiert dafür, dass sich Forscher vorsichtiger bezüglich der Zukunft äussern sollten. Gewisse, im Buch angeführte Gesprächsausschnitte weisen auch darauf hin, dass das entsprechende Bewusstsein vorhanden ist. So meint beispielsweise ein Biochemiker: "Also Krebs sehe ich als sehr, sehr komplexes Problem, wo die Gentechnik langsam mit neuen Lösungswegen voranschreiten wird." Ein anderer äussert aber auch sein Dilemma mit der Zurückhaltung: „In dieser Atmosphäre, wo der Teufel an die Wand gemalt wird, muss man mit kräftigen Argumenten dagegenhalten. Da kann man nicht sagen, uns interessieren die Lebensumstände eines Fadenwurms.“

Im teilweise etwas zäh geschriebenen, aber dichten Buch empfiehlt Monika Kurath zum Schluss nicht nur die Loskoppelung der Wissensbildung von Prognosen bei der Mittelvergabe, sondern schlägt auch die Bildung unabhängiger Instanzen vor, welche die Zusammenarbeit der Wirtschaft mit der Wissenschaft auf Interessenskonflikte hin untersuchen. Die Forscherin würde auch vermehrt wissensvermittelnde und -produzierende Zentren begrüssen wie den Cambridge Genetics Knowledge Park in Grossbritannien. Denn erinnert sich die Wissenschaft nicht ihrer sozialen Funktion, dann wird zunehmend nicht die Gesellschaft an ihr, sondern sie an der Gesellschaft leiden.


Fussnoten:
(1) Kurath, Monika „Wissenschaft in der Krise? Risikodiskurse über Gentechnik im transatlantischen Vergleich“, 2005. 296 S. 14 Abb. Br. CHF 42.00 / EUR 28.00, ISBN 3-0340-0737-X



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