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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 08.04.2003 06:00

Verhaltensbiologie
Singen für die Weibchen

Die Nachtigall singt nicht nur während des Tages, der Vogel ruft auch in der Nacht. Letzteres tun aber nicht alle, wie Valentin Amrhein von der Universität Basel, Pius Korner von der ETH Zürich und Marc Naguib von der Universität Bielefeld festgestellt haben: Nachtigallmännchen, die eine Partnerin erobert haben, verstummen wenn es dunkel wird.

Von Michael Breu

Der Vogel ist unscheinbar. 16 Zentimeter ist er lang, das Gefieder ist braun, der Schwanz rotbraun, die Kehle weiss. Aber der Gesang! Schon Konrad Gesner berichtete im Jahr 1555: „Und damit niemand daran zweifle, dass solches aus der Kunst komme“. Nicht nur der Naturforscher liess sich inspirieren, gleich mehrere Komponisten griffen den Gesang von Luscinia megarhynchos in ihrer Musik auf: Ludwig van Beethoven in der sechsten Sinfonie, Johann Strauss mit der „Nachtigall-Polka“ oder Igor Strawinsky mit dem „Lied der Nachtigall“. – Die Nachtigall, „kleiner Vogel mit gewaltiger Stimme“, wie der Naturschutzbund Deutschland den „Vogel des Jahres 1995“ beschreibt. Die Schweizerische Vogelwarte in Sempach ist zurückhaltender (1): „Nachtigallen leben im Verborgenen, und sie machen sich in der Regel nur durch ihren klangvollen Gesang bemerkbar“, heisst es etwa im Buch „Vögel in der Schweiz“ von Marcel Burkhardt und Hans Schmid (2).

Weibchen und Männchen singen am Tag

Der klangvolle Gesang ist das Forschungsgebiet von Valentin Amrhein von der Universität Basel und Marc Naguib von der Universität Bielefeld. Die beiden Forscher untersuchen seit mehreren Jahren das Verhalten der Nachtigallen und legen dabei einen Schwerpunkt auf die Kommunikation der Vögel. Nun berichten die beiden Ornithologen zusammen mit Pius Korner von der ETH Zürich – der Biologe kennt Amrhein aus seiner Studienzeit in Basel – im international anerkannten Fachmagazin „Animal Behaviour“ über den Gesang der Nachtigall (3).

Valentin Amrhein (sitzend) bringt einer Nachtigall als Kennzeichnung einen farbigen Ring an. gross

„Nicht alle Nachtigallen singen nachts“, berichten die drei Autoren. Während des Tages trillern sowohl die Männchen als auch die Weibchen ihre 260 unterschiedlichen Strophen, die meist nach einigen Sekunden in den bekannten „Nachtigallenschlag“ übergehen. Doch während der Nacht ist ein Teil der Vögel still. „Während der Nacht singen nur die Nachtigallmännchen, die noch keine Partnerin haben“, berichten die Forscher. Amrhein, Korner und Naguib haben während drei Jahren in der Petite Camargue Alsacienne, etwa zehn Kilometer nördlich von Basel, rund 30 Nachtigallen beobachtet und ihren Gesang genauer untersucht. „Die Resultate ihrer Untersuchung liefern die ersten Hinweise darauf, dass der Nachtgesang zum Anlocken eines Weibchens dient“, schreiben sie in „Animal Behaviour“, dem Magazin der Association for the Study of Animal Behaviour.

„Die Nachtigallmännchen kommen von ihren Winterdomizil im Süden früher zurück als die Weibchen“, erklärt Pius


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Nachtigall mit Telemetrie-Sender auf dem Rücken. Der Sender dient der individuellen Erkennung und wird dem Vogel ins Gefieder geklebt. Nach zwei bis drei Wochen fällt er ab. gross

Korner. Nach der Ankunft besetzen die Männchen sofort ein Revier und beginnen während der Nacht zu singen – das war bei 16 von 18 später verpaarten Nachtigallmännchen der Fall. „Alle beobachteten Männchen stoppten jedoch den Gesang, sobald sie eine Partnerin fanden“, sagt Korner, „nur die 12 Bachelors, die Junggesellen, trillerten weiter.“ Kurz vor der Eiablage wurde es nochmals laut: Während etwa drei Nächten sangen nun auch die erfolgreichen Männchen wieder. Danach waren sie plötzlich wieder still.

Werbung zu einem Seitensprung?

Weshalb diese zweite Phase mit Nachtgesang? haben sich Valentin Amrhein, Pius Korner und Marc Naguib gefragt und drei Thesen aufgestellt: Möglich ist, dass die Männchen singen um Nachbars Weibchen für Seitensprünge anzulocken, für „extrapair copulations“, wie es im Fachwort heisst. Oder aber die Männchen singen, um Nachbarn abzuschrecken (die ebenfalls um Seitensprünge werben). Möglich wäre auch, dass der Gesang des Männchens das eigene Weibchen beeindrucken und zu grösserem „Reproduktions-Aufwand“ anregen soll; Weibchen könnten zum Beispiel mehr oder bessere Eier legen, je häufiger ihre Männchen singen.

Genetische Untersuchung soll folgen

Fest steht: „Der nächtliche Gesang am Anfang der Saison lockt die Weibchen an“, sagt Pius Korner. Weshalb die Männchen während der Eiablage nochmals singen, sei nicht restlos geklärt – vermutlich sei es sowohl von intra- als auch von intersexueller Bedeutung, sei also gleichzeitig ein Animation für das Weibchen als auch eine Warnung an mögliche Konkurrenten. In einem weiteren Schritt soll nun der Nachwuchs genetisch untersucht werden. Damit lässt sich feststellen, ob es während der zweiten nächtlichen Gesangsphase der erfolgreichen Männchen tatsächlich zum Seitensprung gekommen ist.


Potenziell gefährdet

Die Nachtigall ist ein sperlingsgrosser Singvogel, der in der Schweiz häufiger vorkommt, als man im Allgemeinen annimmt. Besonders häufig ist die Nachtigall im Tessin, im Wallis und in der Genferseeregion. In Auenwäldern mit viel Unterholz und in dichtem Ufergebüsch fühlt sich der Singvogel wohl, heisst es im Buch „Vögel in der Schweiz“ von Marcel Burkhardt und Hans Schmid. In der Schweiz wird der Bestand auf 2000 bis 2500 Paare geschätzt; in der Roten Liste der bedrohten Arten ist er als „potenziell gefährdet“ deklariert.

Nachtigallen sind Langstrecken-Zugvögel und verbringen die Winter in der afrikanischen Savanne. Ab Anfang April kehren die Männchen zurück, die Weibchen folgen Mitte April. Die Weibchen legen vier bis fünf Eier (am Morgen zwischen 8 und 11 Uhr), die Brutdauer beträgt zwei Wochen.




Fussnoten:
(1) Schweizerische Vogelwarte: www.vogelwarte.ch
(2) Marcel Burkhardt, Hans Schmid: „Vögel in der Schweiz“, Verlag Schweizerische Vogelwarte, Sempach 2001
(3) Valentin Amrhein, Pius Korner, Marc Naguib: „Nocturnal and diurnal singing activity in the nightingale: Correlations with mating status and breeding cycle”, Animal Behaviour, 2002, 64, 939-944: http://www.sciencedirect.com/science



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