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Rubrik: Science Life
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Publiziert: 26.11.2004 06:01

Studie zur Bedeutung der Rekombination
Warum Sex? Ein ungelöstes Rätsel

Dass es Sex gibt, ist klar. Doch wieso er sich entwickelt hat, ist immer noch ein evolutionsbiologisches Problem, obwohl verschiedene Theorien dazu existieren. Einem ETH-Forscher ist es nun gelungen, eine der favorisierten Theorien zu widerlegen. Er konnte zeigen, dass Erklärungsmodelle, die auf der sogenannten negativen Epistasis beruhen, nicht als Erklärung für die Entstehung der Rekombination beziehungsweise der sexuellen Fortpflanzung in Frage kommen. Die Arbeit, die auf Daten von HI-Viren basiert, erscheint diesen Freitag im Wissenschaftsmagazin „Science“.

Von Christoph Meier

„What Use is Sex?“ nannte John Maynard Smith einen seiner Artikel. Darin bezeichnete der Biologe die Entstehung der geschlechtlichen Fortpflanzung als das grosse ungelöste Rätsel der Evolution. Obwohl der Artikel bereits 1971 erschien und Smith dieses Jahr leider gestorben ist, harrt das von ihm benannte Problem immer noch einer Lösung. Das bedeutet wiederum nicht, dass es keine Hypothesen zur Entstehung von Sexualität gibt. Doch diese konnten aufgrund mangelnder konkreter Experimente weder verifiziert noch falsifiziert werden.

Wechselspiel der Gene als Key-Player?

Eine der meist genannten Theorien zur Evolution der Rekombination stützt sich auf das Phänomen der negativen Epistase. Bei diesem geht es darum, dass zwei verschiedene Orte im Genom aufeinander einwirken, wobei die Wechselwirkung nicht einfach aus den Einzelwirkungen abgeleitet werden kann. So ist beispielsweise im Falle der negativen Epistase die Fitnesseinbusse, die entsteht, wenn zwei nachteilige Mutationen auftreten, grösser als die, die von den beiden Einzelmutationen her zu erwarten wäre. Im Gegensatz dazu bedeutet positive Epistase, dass zwei Veränderungen sich weniger drastisch auswirken, als aufgrund der Einzeleffekte prognostiziert würde.

Untersucht mit Hilfe von mathematischen Modellen die Entstehung der Rekombination: Sebastian Bonhoeffer, ETH-Professor für Theoretische Biologie. gross

Mathematische Modelle haben nun gezeigt, dass sexuelle Fortpflanzung vorteilhaft ist, wenn zwei schädliche Mutationen zusammen einen unerwartet grossen Schaden bewirken. Die gleichen Überlegungen gelten auch, wenn zwei vorteilhafte, also Fitness fördernde Mutationen zusammen einen proportional zu kleinen Fitnessgewinn bewirken. In beiden Fällen spricht man von negativer Epistase, weil die entsprechende mathematische Formel ein Minuszeichen aufweist. Kann man nun in lebenden Organismen zeigen, dass negative Epistase auftritt, dann hätte man einen konkreten Hinweis darauf, wieso Sex entstanden ist.

Mit HI-Viren die sexuelle Fortpflanzung erforschen

Genau eine solche Untersuchung startete Sebastian Bonhoeffer(1). Obwohl ETH-Professor für theoretische Biologie analysierte der Forscher das Vorkommen epistatischer Effekte anhand von Daten konkreter HI-Viren. Die Wahl fiel auf diesen Organismus, da HI-Viren ein doppeltes Genom besitzen.


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Anhand von HI-Viren konnte der ETH-Forscher Sebastian Bonhoeffer eine Theorie zur Entstehung von sexueller Fortpflanzung widerlegen.

Kommt es zu einem Mehrfachbefall einer Wirtszelle, was häufig geschieht, mischen sich die verschiedenen HIV-Genome. Die Krankheitserreger stellen also ein einfaches Modell für Rekombination dar. Ein weiterer Grund für die Wahl liegt darin, dass zu HI-Viren genügend Daten vorhanden sind. So erhielt Bonhoeffer von einer kalifornischen Firma Sequenz- und Fitnessdaten von rund 10'000 Viren.

Aus diesem Datenwust galt es jetzt herauszulesen, welche Form von Epistase bei HI-Viren vorkommt. Bonhoeffer konnte in seiner Studie, die diesen Freitag im Wissenschaftsmagazin „Science“ erscheint, zeigen (2), dass man bei HI-Viren im Durchschnitt eine positive Epistase findet. Obwohl die Fitnesswerte stark variieren, sind diese Resultate gemäss dem Forscher eine starke Evidenz dafür, dass die Epistase kaum als die treibende Kraft hinter der Entstehung der sexuellen Fortpflanzung in Frage kommt, da sonst eine negative Epistase hätte auftreten müssen.

Weitere Widerlegungen nötig

Nun, was könnte denn sonst die Sexualität auf die Bühne der Evolution gerufen haben? Bonhoeffer gibt zu, dass seine HIV-Ergebnisse vielleicht nicht ohne weiteres auf die Sexualität bei höheren Organismen übertragen werden können. Denn möglicherweise sei die Verdopplung der Erbanlage in HI-Viren nur ein Reparaturmechanismus, etwas was bei höheren Organismen als alleiniger Grund für die Rekombination praktisch ausgeschlossen werden könne. Doch auch bei HI-Viren spricht die hohe Rekombinationsrate gegen das Reparaturargument.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, die Epistase als Ursache für die sexuelle Fortpflanzung noch nicht ganz zu verbannen. So könnte es sein, dass es je nach Umwelt zu verschiedenen Formen der Epistase kommt – etwas was Bonhoeffer noch nicht untersuchte. Entsprechende Analysen bei HI-Viren sind aber bereits geplant. Zudem überlegt der ETH-Forscher bei Hefe zu untersuchen, ob sich eine negative Epistase bei Organismen mit zwei inaktivierten Genen, so genannten doppelten Knockouts, finden lässt. Auch hier laufen schon Gespräche.

Doch, was ist, wenn bei all diesen Versuchen keine negative Epistase auftritt? Dann habe man die Epistase endgültig als Rekombinationsursache widerlegt, meint Bonhoeffer, der durchblicken lässt, dass ihn ein solcher Befund nicht überraschen würde. Welche Theorie er dann möglicherweise zu Fall bringen will, lässt der Wissenschaftler noch offen. John Maynards Smith Frage nach dem Nutzen der Sexualität wird somit zwar etwas eingeschränkter aber nichtsdestoweniger noch eine Zeit lang noch offen bleiben.


Literaturhinweise:
Weiterer "ETH Life"-Berichte zur Forschung von Sebastian Bonhoeffer über HI-Viren "Mit Mathematik gegen AIDS" und "Häufig "falsch" rekombiniert"

Fussnoten:
(1) Forschungsprojekte der Gruppe für theoretische Biologie: www.eco.ethz.ch/research/research_tb.html
(2) Bonhoeffer S. et al: "Evidence for Positive Epistasis in HIV-1", Science, Vol. 306



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