|
Rubrik: Science Life |
Print-Version
|
Spagat zwischen Religionsfreiheit und Tierschutz Schächten erlauben? |
Bei der Debatte um das Schächtverbot werden die Argumente von Seiten des Tierschutzes und der Religionsgemeinschaften in die Waagschale gelegt. - Welche Argumente wiegen schwerer? Von Marion Morgner Im Moment wird in der Schweiz das Vernehmlassungsverfahren für eine Gesamtrevision des Tierschutzgesetzes von 1978 ausgewertet. Zur Diskussion gestellt ist auch das Schächtverbot - ein äusserst sensibler Bereich, wo der heutige Tierschutz und religiöse Vorschriften kollidieren. Für Muslime gehört das Schächten von Opfertieren zum islamischen Opferfest. Auch das Fleisch zum täglichen Verzehr muss geschächtet sein. Das sogenannte Halal-Fleisch ist rein im Sinne der Speisevorschriften. Auch im Judentum wird das Schächten vorgeschrieben. Geschächtetes Fleisch wird hier koscher genannt. Das Fleisch nicht-geschächteter Tiere ist für Strenggläubige beider Religionen tabu. Grund für das Schächtgebot im Judentum und Islam ist, dass das Blut als Sitz der Seele angesehen wird. So heisst es beispielsweise im 5. Buch Mose (12:23): "Doch beherrsche dich und geniesse kein Blut, denn Blut ist Lebenskraft, und du sollst nicht zusammen mit dem Fleisch die Lebenskraft verzehren." Um dem Tier unnötige Qualen zu ersparen, gibt es in beiden Religionen strenge Regeln, die beim Schächten zu beachten sind. Bei Juden darf nur ein ausgebildeter Schächter die Schlachtung vornehmen. Keine Alternative für Strenggläubige Bisher wurde geschächtetes Fleisch in die Schweiz importiert. Das jährliche Kontingent, das jedoch nicht ausgeschöpft wird, ist für Koscherfleisch 295 Tonnen Rind- und zehn Tonnen Schaffleisch, für Halalfleisch ist es 200 Tonnen Rind- und 20 Tonnen Schaffleisch. Zusammen macht das weniger als 0,5 Prozent des Schweizer Gesamtkonsums an Fleisch aus. "Viele Schweizer Muslime leben im Alltag sicher nicht so strikt nach den islamischen Vorschriften", ist die Einschätzung von Hartmut Fähndrich, Lehrbeauftragter für Islamwissenschaften an der ETH, "doch für strenggläubige Muslime gibt es keine Alternative zu Halalfleisch."
Was passiert beim Schächten? Beim Schächten wird das Rind, das Schaf oder die Ziege erst auf den Rücken gewendet, dann werden mit einem tiefen Schnitt die beiden zum Kopf führenden Hauptarterien sowie die Luft- und die Speiseröhre durchtrennt. Anschliessend lässt man das Tier ausbluten. Der Schweizer Tierschutz (STS) sagt: "Schächten ist und bleibt Tierquälerei", weil das Tier nach dem Schnitt noch Schmerzen empfindet. Ein Vertreter des jüdischen Glaubens, Rabbi Pinchas Paul Biberfeld sagt (1): "Das Schächtgebot ist ein biblisches, also göttliches Gebot. Jeder Angriff dagegen ist ein Sakrileg", und weist darauf hin, dass das Gebot vor 3000 Jahren am Berge Sinai gegeben wurde. Auch Hartmut Fähndrich betont: "Das Schächten ist für die Muslime nicht einfach ein Schlachten, das der Ernährung dient, sondern es hat auch einen besonderen rituellen Wert". Die zentrale Frage für Fähndrich ist bei der Diskussion jedoch nicht, ob Schächten generell erlaubt oder verboten werden sollte, sondern ob jeder sein eigener Schlachter sein darf. "Ich bin gegen das private Schächten zuhause, wie es in Herkunftsländern der muslimischen Emigranten praktiziert wird, denn die Muslime leben hier in einem anderen Kulturkreis und sollten sich daher auf einen Kompromiss einlassen. Ich plädiere dafür, dass es spezielle Schlachthäuser gibt, welche die Schlachtung vornehmen, denn der Tierschutz ist eine Errungenschaft unserer Gesellschaft und das sollte von den Muslimen akzeptiert werden". Betäubung oder nicht? Ein Streitpunkt bei der Diskussion um das Schächten ist die Frage der Betäubung vor dem Schnitt. Viele Muslime und Juden beharren darauf, dass eine Betäubung der Tiere vor dem Schnitt mit ihren Religionsvorschriften nicht vereinbar sei und berufen sich auf den Koran bzw. auf die Bibel. Doch die Interpretation dieser zitierten Stellen ist umstritten. Der Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Basel Dr. Israel Meir Levinger betont in einem Artikel über die jüdische Schlachtmethode (2) , dass weder in der Bibel noch im Talmud ein eindeutiges Verbot der Betäubung zu finden sei. Dennoch füge eine Betäubung dem Tier Verletzungen zu, die es trefa (unrein) machen, da es nicht exakt nach den Schächtvorschriften behandelt worden sei. Verbleibt in dem Tier mehr Blut, wenn es zuvor betäubt wurde? Der Zoologe Markus Stauffacher, Leiter der Arbeitsgruppe Ethologie-Tierhaltung-Tierschutz an der Professur für Physiologie und Tierhaltung der ETH, winkt ab: "Es gibt Befunde, die zeigen, dass beim Schächten nach rituellem Brauch gleich viel Blut im Tier verbleibt wie bei der traditionellen Schlachtung".
|
Tierschützer fordern eine Betäubung vor dem Schächtschnitt, weil das Tier sonst bei vollem Bewusstsein Qualen erleide. Auch Stauffacher bekräftigt diese Einschätzung: "Aus heutiger wissenschaftlicher Sicht ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Schafe und Ziegen etwa 15 Sekunden und Rindvieh 25 bis 35 Sekunden nach dem Schnitt noch Schmerzen empfinden können, sehr gross. So gross, dass ich eine vorherige Betäubung für notwendig halte". Vertreter von Islam und Judentum unterstreichen häufig, dass es wissenschaftliche Aussagen gebe, dass die Tiere sofort nach dem Schnitt bewusstlos würden und daher keinen Schmerz mehr empfinden würden. "Die Publikationen, auf die sich hier berufen wird, stammen aus den achtziger Jahren, als man methodisch noch nicht so weit war wie heute", erklärt Stauffacher, "doch heute ist diese Aussage nicht mehr haltbar". Zudem, sagt Stauffacher, sei das Drehen des Tieres auf den Rücken vor dem Halsschnitt aus Tierschutzsicht sehr belastend. Bei herkömmlichen Schlachtmethoden werden Säugetiere grundsätzlich im Stehen getötet. Suche nach Kompromissen Markus Stauffacher ist jedoch der Ansicht, dass der Tierschutz nicht an der Landesgrenze aufhören sollte: "Wenn wir akzeptieren, geschächtetes Fleisch zu importieren, sollten wir konsequenterweise und auch im Sinne des Tierschutzes anstreben, dass die Tiere in der Schweiz unter kontrollierten Bedingungen geschlachtet werden." In bestimmten Schlachthöfen, die auf das Schächten spezialisiert sind, könne er eine rituelle Schlachtung nach vorheriger Betäubung akzeptieren. Doch was ist an Einschränkungen für Muslime oder Juden zumutbar und was nicht? - Eine Grundsatzfrage. Bei manchen Muslimen beginnen die Vorschriften bei der Kleidung, insbesondere der Frauenkleidung, gehen über die Speisevorschriften bis hin zur Beerdigung. Hartmut Fähndrich weist darauf hin, dass es beispielsweise auch die Diskussion gab, ob es für Muslime zumutbar ist, auf Friedhöfen begraben zu werden, wo auch Nicht-Muslime begraben sind und die Toten nicht in einem Tuch und nach Mekka ausgerichtet beerdigt werden können. Paragraphen und Güterabwägung Doch zurück zum Gesetz. Aus juristischer Sicht ist das Tierschutzgesetz auf dem Prinzip der Güterabwägung aufgebaut. Jede Tätigkeit, die dem Tier Schmerzen, Leiden oder grosse Angst zufügt, wird daran gemessen, ob sie gerechtfertigt werden kann (Art. 2 Abs 3 TSchG). Diese Rechtfertigung spiegelt die Einstellung der Bevölkerung zum Tier. Die Glaubens- und Kultusfreiheit, die im Artikel 15 der Bundesverfassung (SR10) verankert ist, kann beschränkt werden, doch auch hier muss die Beschränkung verhältnismässig sein. Doch was ist nun verhältnismässig? Die Gesellschaft muss entscheiden, wie sie die Argumente gewichtet.
|
||||||||||||
Literaturhinweise:
Fussnoten:
Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen. |