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Publiziert: 08.11.2006 06:00

Sonderkolumne von ETH-Philosophieprofessor Michael Hampe
Perversionen der wissenschaftlichen Welt

Wissenschaftler verstehen sich als "Freunde der Wahrheit". Doch die Erkenntnis als eigentlicher Zweck ihres Strebens wird zunehmend gefährdet durch das dauernde Schielen auf Rendite und rankings, meint Michael Hampe, ETH-Professor für Philosophie. In einer Sonderkolumne für ETH Life zieht er Parallelen zu der Entwicklung des Kapitalismus.

Michale Hampe

Jüngst sprach ich – in Volkswirtschaft wenig bewandert - mit einem Kollegen, der viele Jahre in einem Unternehmen leitend tätig gewesen war und jetzt an der ETH arbeitet, über den Unterschied kapitalistischen Wirtschaftens im 19. Jahrhundert und heute. „Zu Zeiten von Marx,“ meinte er, „fand zwar Kapitalakkumulation stand, doch war sie nicht absichtlicher Zweck des Wirtschaftens. Deshalb meinte Marx einen verborgenen Zweck zu entlarven, der hinter dem Rücken der Kapitaleigner und Arbeiter wirkt. Absichtlicher Zweck war die Warenherstellung. Heute ist diese zu einem blossen Mittel der Kapitalakkumulation geworden. Was ehemals verborgen wirkendes Ziel war, ist jetzt offen verkündete Hauptabsicht geworden, weswegen Waren im Wirtschaften nur noch eine zweitrangige Rolle spielen,“ meinte er.

Diese Überlegung brachte uns auf die gegenwärtige Situation der Wissenschaft. Ihr Ziel ist, Erkenntnisse in der Forschung zu gewinnen und sie in die Lehre zu tragen sowie andere dazu zu befähigen, das ebenso oder besser zu tun. Nebenher wird der Erfolg dieser Tätigkeit bewertet und muss mit Geld gefördert werden. Imgrunde ist er aber Selbstzweck. Zu erkennen, wie sich Dinge wirklich verhalten und anderen das beizubringen, macht, wenn es gelingt, solche Freude, dass es nicht getan wird, um anderes zu erreichen. Denn auch wenn Wissenschaftler mit Forschung und Lehre Geld verdienen, so ist ihre Arbeit doch keine, die einfach durch eine andere, die eben so viel oder mehr „einbrächte“ eintauschbar wäre, eben weil Wahrheit als ein Wert an sich betrachtet wird. Wer herausbekommen hat, wie etwas beschaffen ist und dies anderen deutlich machen kann, ist am Ziel.

Als Nebenbeschäftigung müssen, damit noch mehr junge Leute in den Genuss dieser selbstzweckhaften Tätigkeit kommen, Drittmittel beschafft werden. Gelegentlich stellt man sich einem Beurteilungsgremium, um zu erfahren, ob man seine Sache so gut macht, wie es geht. So jedenfalls die ideale Situation in der Wissenschaft. Eine gute wissenschaftliche Institution sollte versuchen, dieses Ideal zu verwirklichen.

Tatsächlich haben sich die Verhältnisse jedoch wie beim Wirtschaften umgekehrt, sind Mittel und Nebentätigkeiten zu Zwecken und Hauptangelegenheiten geworden. Erfolg liegt nicht in der Erkenntnis, ihrer Vermittlung und raffinierten, die menschlichen Verhältnisse verbessernden technischen Anwendung, sondern in der Beschaffung von Drittmitteln und dem Erreichen guter Evaluationsergebnisse und hoher rankings. Erkenntnis soll sich jetzt vor allem als wirtschaftlicher Standortfaktor legitimieren. Wenn ein Gemeinwesen Geld in Erkenntnisprozesse hineinsteckt, ist es bei Erkenntnisgewinn noch nicht am Ziel, sondern will, dass mehr Geld als hineingesteckt worden ist, auch wieder herauskommt. Erkenntnis soll sich rentieren.

Personen, die an diese Ordnung der Dinge glauben, mit ganzem Herzen nach Ausstattungsmitteln und hohen ranking-Positionen streben, sind nicht vor allem an Erwerb und Vermittlung von Erkenntnis interessiert. Forschung und Lehre wird für sie Mittel zu einem anderen Zweck. Wenn der Zweck auch anders erreicht werden kann, als durch Erkenntnisse, warum nicht?, werden sie fragen. Sobald wissenschaftliche Artikel nicht mehr geschrieben werden, um über Forschungsergebnisse zu berichten, sondern Forschungsergebnisse erzeugt werden, um in peer reviewed journals impact factors zu erzielen, die das ranking verbessern, haben dagegen diejenigen, die sich als „Freunde der Wahrheit“ verstehen, das Gefühl, in einer verkehrten Welt, in Perversionen, zu existieren.


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Erfolg liegt nicht in der Erkenntnis, sondern in der Beschaffung von Drittmitteln und dem Erreichen guter Evaluationsergebnisse und hoher rankings, bemängelt Michael Hampe, ETH-Professor für Philosophie.

Sie werden versuchen, aus so funktionierenden Institutionen abzuwandern. So wie die ernsthaft an Erkenntnis Interessierten im 17. Jahrhundert nichts mehr mit den Universitäten am Hut hatten, sondern wissenschaftliche Gesellschaften gründeten, um der Korruption und den Streben nach Pfründen an den damaligen Hochschulen zu entgehen.

In der Antike galt Geiz als Form der Unkultiviertheit, Freigiebigkeit als Tugend. Geizige verwechseln Geld als Mittel mit Zwecken, die mit ihm erreicht werden könnten und verhindern dadurch die Verwirklichung der schönen Dinge, die mit Geld realisierbar sind, indem sie es zurückhalten. Für Geizige ist Geld letzter Zweck geworden. Ihr Leben wird dadurch inhaltslos, weil in ihm keine konkreten Ziele mehr angestrebt werden. Deshalb werden Geizige nach Aristoteles unglücklich.

Analog ist es in der Wissenschaft. Für Geistesgeizige sind rankings und Drittmittel die ehemals Mittel und nebensächliche Kontrollmechanismen von Erkenntnisprozessen waren, Selbstzweck geworden. Auf diese Weise dekultiviert sich das wissenschaftliche Leben und seine Institutionen. „Alle, mit denen ich spreche,“ sagte mein Kollege, „finden, dass dieses rankings und das ewige Schielen auf externe Beurteilungen unsinnig und schädlich ist, aber niemand tut etwas dagegen. Wie kommt das?“ Ich wusste auch keine Antwort.

Die Philosophin Weyma Lübbe meinte im letzten Semester bei einem Vortrag hier in Zürich, dass Wissenschaftler, als abhängig Beschäftigte, wohl zögerlicher sind, ihr Berufethos mit Zivilcourage und wenn nötig mit Aggression gegenüber vorgesetzten Behörden zu verteidigen als andere Berufstände, wie Ärzte oder Architekten, die auf Gaben staatlicher Hände weniger angewiesen sind.

Wie immer das sei: Vielleicht besteht der erste Schritt darin, einzusehen, dass niemand in der Wissenschaftspolitik einem unabänderlichen Schicksal unterliegt. Niemand ist gezwungen, die Frage: „Bringt uns das unter die Top Ten?“ wichtig zu nehmen. Statt zu überlegen, wie man darauf reagiert, kann man sagen: „Darum geht es nicht. Hören wir auf, durch zweit- und drittrangigen Betrachtungen Forschung und Lehre zu stören.“ „Aber dann werden die Politiker der Wissenschaft weniger Geld geben!“ rufen Hasenfüsse. Langfristig wird niemand für Wissenschaft bezahlen, der es vor allem um Geld, rankings und impact-factors und nicht mehr in erster Linie um Erkenntnis geht.




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