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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 14.05.2003 05:59

Eidgenössische Abstimmungen über die Kernenergie-Initiativen
"Die rationelle Stromnutzung wird unterschätzt"

Am nächsten Sonntag stimmt das Schweizervolk über die beiden Kernenergie-Initiativen "MoratoriumPlus" und "Strom ohne Atom" ab (s. Kasten). Im Vorfeld der Abstimmung haben sich auch Massimo Filippini und Eberhard Jochem zu Wort gemeldet (1). Die beiden Direktoren des Centre for Energy Policy and Economics (CEPE) an der ETH Zürich plädieren dafür, die Initiative "MoratoriumPlus" anzunehmen. Im folgenden Gespräch erläutert Eberhard Jochem diese Position.

Von Felix Würsten

Herr Jochem, Sie empfehlen dem Stimmvolk, die Initiative "MoratoriumPlus" anzunehmen. Warum?

Die Initiative "MoratoriumPlus" belässt genügend Zeit, um über die Optionen der zukünftigen Energiepolitik zu diskutieren. Der schnelle Ausstieg hingegen, wie er mit der Initiative "Strom ohne Atom" angestrebt wird, wirft eine Reihe von Problemen auf. Man müsste die Umstellung der Energieversorgung sehr stark forcieren.

Wäre ein schneller Ausstieg überhaupt machbar?

Technisch wäre er machbar, keine Frage, weil in Europa zur Zeit bei der Stromerzeugung Überkapazitäten bestehen. Die bestehenden Unternehmen in Europa sähen es natürlich gerne, wenn diese Überkapazitäten unerwartet schnell verschwinden würden.

Und was geschieht, wenn das Volk die Initiativen ablehnt?

Eine Ablehnung bedeutet ja nicht, dass nun neue Investitionen in die Nutzung der Kernenergie anstehen. Man würde in den kommenden Jahren zunächst einfach nichts tun, um Optionen zu eröffnen. Die Annahme der Moratoriums-Initiative würde hingegen das Bewusstsein schärfen, dass nach Optionen gesucht werden muss, egal wofür man sich schliesslich entscheidet.

Denken Sie, dass sich bei einer Annahme dieser Initiative die verhärteten Fronten in der Energiepolitik wirklich aufweichen werden?

Die Stromwirtschaft müsste ja damit rechnen, dass das Moratorium verlängert wird. Sie müsste also über Alternativen nachdenken. Wenn man alles offen lässt, werden Wirtschaft und Politik hingegen weniger Aktivität entwickeln, um den spezifischen Stromverbrauch zu senken. Dieser könnte nämlich massiv reduziert werden, wenn man sich dem nur mit etwas mehr Ernst widmen würde.

Genau da hapert es doch.

In Zeiten preisgünstigen Stroms hat man ja auch kaum Anlass, über Effizienz nachzudenken. Man kümmert sich auch nicht um die Rentabilität von energiesparenden Massnahmen. Die Betriebe sind immer wieder überrascht, wie rentabel die stromsparenden Massnahmen sind, die wir ihnen empfehlen. Hocheffiziente Elektromotoren etwa sind sehr rentabel, wenn die Jahresnutzung 3000 bis 4000 Stunden übersteigt. Das ist in der Regel auch grossen Firmen nicht bekannt.

Warum denn nicht?

Weil davon nicht gesprochen wird. Es wird immer nur über Kernenergie geredet und über billigen Strom, aber nicht, wo die rentablen Einsparpotentiale liegen und wie man die Energiekosten senken kann.

Die Stromproduzenten wollen in einem liberalisierten Markt schliesslich auch möglichst viel Strom verkaufen.

Sie haben sicherlich ein begrenztes Interesse an effizienter Stromnutzung. Allerdings beobachtet man in liberalisierten Märkten, dass die Stromproduzenten versuchen, ihre Kunden langfristig an sich zu binden. Sie verkaufen den Firmen keine Energie mehr, sondern stellen Dienstleistungen zur Verfügung, etwa Wärme, Kälte oder Druckluft, und das vertraglich geregelt über eine Zeit von beispielsweise sechs bis zehn Jahren. Die Energieproduzenten haben in solchen Märkten durchaus Interesse an effizienten Lösungen.

Sie sagen in Ihrer Stellungnahme, die Investoren bevorzugten zunehmend Anlagen mit geringen Kapitalkosten und kurzen Laufzeiten. Ist die Atomenergie nicht ohnehin ein Auslaufmodell?

Nein. Wenn die öffentliche Akzeptanz da wäre, neue Anlagen garantiert 40 Jahre genutzt werden könnten und der Staat weiterhin bereit ist, diese Werke insofern zu subventionieren, als er die Verantwortung für eventuell unversicherte Schäden übernimmt, wäre die Kernenergie kein Auslaufmodell.

So argumentieren auch die Gegner der Initiativen: In zwanzig, dreissig Jahren könnte sich die Einstellung der Bevölkerung geändert haben.

Drei Gründe sprechen vor allem gegen die Kernenergie: das maximal mögliche Schadensmass, die extrem langen Zerfallszeiten einiger Radionukleide bei der Endlagerung sowie die Proliferation von nukleartechnischem Know-how und Material an Terroristen. Für alle drei Bereiche gibt es theoretisch Lösungen. Erweisen sie sich als machbar und praktikabel, könnte sich die Akzeptanz der Bevölkerung ändern.

Argumentiert wird auch, der Ausstieg aus der Atomenergie führe zu höheren CO2-Emissionen.

Wenn man Atomstrom durch Strom aus Kraftwerken ersetzt, die mit fossiler Energie betrieben werden, müssen die zusätzlichen CO2-Emissionen unbedingt kompensiert werden. Eine viel versprechende Möglichkeit ist meiner Ansicht nach, bei Grossanlagen das CO2 abzutrennen und anschliessend unterirdisch zu speichern.


Eberhard Jochem. gross

Das Bundesamt für Energie hat berechnet, dass es bei Annahme der Initiativen mittelfristig eine "Versorgungslücke" gibt. Diese müsste im wesentlichen durch Stromsparen, WKK-Anlagen und neue Stromimporte gedeckt werden. Die neuen regenerativen Energien können hingegen maximal sechs Prozent der Lücke decken. Werden diese Energieformen nicht masslos überschätzt?

Ich glaube vor allem, dass die rationelle Stromnutzung unterschätzt wird, obwohl sie meist kostengünstiger ist. Aber: neue Energieformen lassen sich politisch und medial gut verkaufen. Energieeffizienz hingegen ist viel komplizierter und lässt sich nur sehr schwer vermitteln. Es gibt auch keine Lobby, die sich dafür einsetzt. Die kostenintensiven Lösungen werden also propagiert, die kostengünstigen hingegen nicht. Dadurch entsteht eine falsche Erwartungshaltung.

Müsste man energieeffiziente Technologien nicht vermehrt staatlich fördern?

Das Schweizer Parlament muss sich genau überlegen, ob es wirklich die finanziellen Mittel für die Energieforschung und die Unterstützung von Demonstrationsobjekten kürzen will, wie dies im Moment geschieht. Ich halte das für eine völlige Fehlentwicklung. Rationelle Energienutzung hat vor allem mit neuen Technologien und Innovationen zu tun. Wenn man für die Schweiz wirtschaftliches Wachstum und gesicherte Arbeitsplätze will, dann muss man Innovationspolitik betreiben, und ein Teil davon fällt in die Sparte effiziente Energienutzung.

Ist die Ausbildung an unseren Hochschulen genügend, zum Beispiel bei den Architekten, die einen grossen Einfluss auf den Energieverbrauch der Häuser haben?

Ich kann mir da kein grundsätzliches Urteil erlauben. Ich beobachte aber, dass sich die meisten Architekten immer noch in erster Linie als künstlerische Gestalter verstehen und nicht als jemand, der den Ressourcenverbrauch mitbestimmt. Diese Haltung finde ich antiquiert.

Liegt das Problem nicht auch bei den Investoren?

Energieeffizienz ist nicht im Bewusstsein des normalen Investors, weil das Marketing in der Regel Werte als positiv darstellt, die mit einem hohen Energieverbrauch verbunden sind. Ich könnte mir vorstellen, dass zum Beispiel ein Mensch, der mit einem zwei Tonnen schweren Off-road-Fahrzeug in der Stadt herumfährt, ein verdammt schlechtes Gewissen und ein geringes soziales Ansehen hätte, wenn das Marketing der Autoverkäufer anders wäre.

Das ist aber schwer zu erreichen.

Sehr wahrscheinlich muss diese Gesellschaft zuerst durch schwere Krisen gehen, bevor sie einsieht, dass die Übernutzung der Ressourcen ihre Kosten hat und dass die Natur zurückschlägt, wenn dies nicht beachtet wird. Vielleicht braucht es dann keine grossen Budgets mehr für das Marketing.

Ist diese Haltung nicht etwas fatalistisch?

Nein, sie beruht auf reiner Beobachtung. Ich persönlich sehe die gegenwärtige Entwicklung durchaus mit einem gewissen Optimismus. Man muss einfach am Ball bleiben.

Was heisst das konkret?

Ich versuche, auf die Forschung Einfluss zu nehmen, sie in die Richtung Ressourcen schonender Produkte, Verfahren und Konzepte zu lenken. Ich versuche, forschungspolitische und energiepolitische Entscheide mitzugestalten, zum Beispiel im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Bundesregierung oder im Senat der Helmholtz-Gemeinschaft. Und ich versuche zu verstehen, nach welchen Kriterien Firmen wirklich entscheiden und warum sie bezüglich des effizienten Umgangs mit Energie immer wieder falsche Entscheidungen treffen.

Würde die Annahme der Moratoriums-Initative helfen, Fehlentscheide zu verhindern?

Ich befürchte, dass in der Schweiz etwas Ähnliches passieren wird wie in Deutschland. Dort hat man im letzten Jahr zwar den langsamen Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Aber die Konsequenzen dieses Beschlusses – nämlich die Stromeinsparung zu intensivieren und in anderen Bereichen die CO2-Emissionen zu reduzieren, damit man mehr Strom aus Gas- und Kohlekraftwerken erzeugen kann – stehen bisher aus. Die Kurzatmigkeit des Denkens und Entscheidens in der Wirtschaft überträgt sich leider immer mehr auf die Politik.


Die beiden Initiativen

Die Initiative "MoratoriumPlus" verlangt u.a., dass der Weiterbetrieb eines AKW nach 40 Betriebsjahren dem fakultativen Referendum unterstellt wird. Der Betriebsbewilligung kann höchstens um 10 Jahre verlängert werden. Während 10 Jahren dürfen zudem keine neuen Atomenergieanlagen und nuklearen Leistungserhöhungen bei bestehenden Anlagen bewilligt werden.

Die Initiative "Strom ohne Atom" verlangt u.a. die schrittweise Stilllegung der AKW: Beznau I und II sowie Mühleberg sollen 2 Jahre nach der Abstimmung, Gösgen und Leibstadt spätestens nach 30 Betriebsjahren (also 2009 bzw. 2014) abgeschaltet werden.




Fussnoten:
(1) Die Stellungnahme auf der News-Seite des CEPE: www.cepe.ethz.ch/download/news-events/Articles/Kernenergie.pdf



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