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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 13.03.2003 06:00

Vor dem Bundesgericht
ETH zahlt für BUWAL-Fehler

Grosse Überraschung gestern vor dem Bundesgericht: Die fünf Bundesrichter entschieden einstimmig, dass das BUWAL und das UVEK durch einen Verfahrensfehler das Rechtliche Gehör von Gegnern des Freisetzungsversuches verletzt haben. Die ETH bezahlt die Zeche dieses Fehlers, indem sie dieses Jahr den gentechnisch veränderten Weizen nicht aussäen kann und die Kosten vor Bundesgericht von 8'000 Franken bezahlen muss.

Von Richard Brogle

Eigentlich hätte der ETH-Pflanzenwissenschaftler Christof Sautter, Leiter des Freisetzungsversuches in den nächsten Tagen mit der Aussaat des gentechnisch veränderten Weizens beginnen wollen. Doch daraus wir vorläufig nichts: Nach dem gestrigen Bundesgerichtsentscheid ist dieses Jahr keine Aussaat mehr möglich. Da allenfalls mit dem Ausschreibungsverfahren erneut begonnen werden muss, ist sehr fraglich, ob die Aussaat nächstes Jahr möglich sein wird. Sautter: „Mein Arbeitsgebiet ist nun für qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Schweiz nicht mehr attraktiv. In den USA müsste man für dieses Experiment zwei Seiten ausfüllen und hätte einen Entscheid in sechs Wochen.“

Das Tipi bleibt vorerst

Freude hingegen bei Umweltschutzorganisation Greenpeace. Marianne Künzle von der Gentech-Kampagne Greenpeace Schweiz ist positiv überrascht vom Entscheid. „Wir haben den Entscheid eher nicht erwartet. Aber wir freuen uns natürlich.“ Das Greenpeace-Tipi bleibt aber vorderhand in Sichtweite des Versuchsfeldes. Niels Michel, der dort eine Mahnwache hält: „Über den Etappensieg freue ich mich, aber die Sache ist noch nicht vom Tisch. Vorläufig bleibe ich noch hier.“ Ob er allerdings bis zur letztinstanzlichen Entscheidung ausharren will, weiss er jetzt noch nicht. Dies könne gut und gerne noch einige Jahre dauern.

Wichtige Frage nicht abgeklärt

Eigentlich hätte das Bundesgericht nur über eine Vorfrage entscheiden müssen: Darf Christof Sautter, Leiter des Freisetzungsversuches, und ETH-Pflanzenwissenschafter, bereits aussäen, obwohl die Versuchsbedingungen noch nicht endgültig festgesetzt wurden? Das Bundesgericht stellte aber unerwarteterweise im Gesuchs- und Beschwerdeverfahren gravierende Mängel fest, dass es die vorläufige UVEK-Bewilligung zur Aussaat aufhob. Die fünf Bundesrichter stellten einstimmig fest, dass sich weder das UVEK (Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation) noch das BUWAL (Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft) mit der Frage befasst hätten, wem im Verfahren seitens der Gegnerschaft Parteistellung zukomme. Das Bundesgericht entschied, dass das UVEK der Beschwerde der Gegner zu Unrecht die aufschiebende Wirkung entzogen hat.


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Das Bundesgericht entschied gestern, dass die ETH dieses Jahr den gentechnisch veränderten Weizen nicht aussäen darf. gross

„BUWAL hat geschlampt“

Marcus Desax, Rechtsanwalt bei der Zürcher Kanzlei Pestalozzi Lachenal Patry, welche die ETH beim Freisetzungsversuch juristisch berät: „Von der Qualität der Entscheidung bin ich sehr beeindruckt.“ In kurzer Zeit habe sich das Bundesgericht mit der Materie intensiv befasst. „Aber das BUWAL hat ein erstes Mal geschlampt, indem es sich selbstherrlich über die einhelligen Fachmeinungen hinweggesetzt hat und ein zweites Mal indem es den Opponenten des Freisetzungsversuchs das Rechtliche Gehör verweigert hat. Das BUWAL hat sich auf die von ihm selbst liederlich vorformulierte Freisetzungsverordnung abgestützt, die die Parteirechte rechtsstaatlich ungenügend regelt.“

„Qualifizierten Verfahrensmängel“

Das Bundesgericht kritisierte das BUWAL und das UVEK in ungewohnt scharfem Ton, denen es die Verantwortung für den Formfehler überband. Unter anderem sprach das Bundesgericht von „qualifizierten Verfahrensmängeln“ und „gravierenden Lücken“. Bei der Freisetzungsverordnung seien klarerweise Grundsätze des Koordinationsgesetzes ausser acht gelassen worden, die den Bundesämtern hätten bekannt sein sollen. Aber auch der siegreiche Anwalt des Anwohnerehepaars und der Umweltschutzverbände blieb nicht ungeschoren. Ein Bundesrichter warf ihm wenig sachgerechte Prozessführung und Stimmungsmache vor. Es sei verwirrlich gewesen, wer nun Parteistellung beanspruche.

Grundsatzfrage offener denn vorher

Hingegen hatte das Bundesgericht „Verständnis für einen bitteren Nachgeschmack“ der bei der ETH bleiben werde, da diese nun trotz grünem Licht aller Fachgremien den Versuch nicht durchführen könne. Als einzige der Parteien wurde ihr Vorgehen nicht beanstandet. Trotzdem muss sie als Prozessverliererin die Gerichtskosten von Fr. 5000.- übernehmen und der Gegenpartei eine Parteientschädigung von Fr. 3000.- bezahlen. Rolf Probala, Kommunikationschef der ETH Zürich: „Die ETH hat sich sehr korrekt verhalten, alle Auflagen erfüllt und bezahlt nun den Preis für Versäumnisse des BUWAL. Die ETH hätte diese Zeit und das Geld lieber in die Forschung investiert.“ Das Bundesgericht wies mehrfach darauf hin, dass die Hauptfrage – Versuch ja oder nein – mit diesem Tag noch nicht entschieden sei. Im Gegenteil, sie ist offener als vor der Verhandlung.


Literaturhinweise:
ETH-Life News vom 12. März 2003: "Entscheidender Entscheid": www.ethlife.ethz.ch/articles/news/EntscheidenderEntscheid.html
ETH-Life Bericht vom 10. März 2003: "Ortstermin in Lindau": www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/OrtsterminLindau.html
ETH-Life News vom 7. März 2003: "Greenpeace baut Misthaufen in Lindau": www.ethlife.ethz.ch/articles/news/greenpeacemiststock.html



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