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Rubrik: Tagesberichte |
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ETH-Forscher präsentieren die erste Schweizer Nährwert-Datenbank Wissen, was wir essen |
Dank einer ETH-Forscherin erhält die Schweiz als eines der letzten europäischen Länder nun endlich auch eine landesspezifische Nährwert-Datenbank. Sie dient als Standardwerk für die Ernährungsberatung, für Lebensmitteldeklarationen sowie für Medizin und Forschung. Als schweizerisches Unikat erwiesen sich speziell die Inhaltsstoffe der Milchprodukte sowie Brot- und Wurstwaren. Von Jakob Lindenmeyer "Ein Drittel aller bei uns verzehrten Lebensmittel sind nach typisch Schweizerischen Rezepten und mit landesspezifischen Zutaten produziert und finden sich darum in keiner ausländischen Lebensmittelsammlung", erklärt Sabine Jacob den Bedarf nach der neuen Datensammlung. Die 40-jährige Forscherin ist promovierte Ernährungswissenschaftlerin und arbeitet seit über zehn Jahren am ETH-Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften.
Schweizer Extrawürste Daten über lokale Nahrungsmittel wie beispielsweise den Eiweiss-Gehalt Schweizer Bratwürste oder den Stärkegehalt von Ruchbrot sucht man im Ausland vergeblich. Um diese Lücke zu schliessen untersuchte Jacob in den letzten vier Jahren 21'000 Lebensmittel, sammelte eine Million Daten und kondensierte ihre Resultate auf die 700 meistverzehrten Schweizer Nahrungsmittel. Neben der Ernährungsforschung und der Lebensmittelindustrie profitieren auch Patienten mit speziellen Diäten von der neuen Datensammlung. Stark Übergewichtige interessieren sich beispielsweise für die Gesamtenergie eines Lebensmittels, während ältere Frauen mit Osteoporose primär am Gehalt an Kalzium und Vitamin D interessiert sind. Diabetiker wiederum sind angewiesen auf eine genaue Deklaration der enthaltenen Fettsäuren und Zucker.
Schweiz verfügt über 10'000 Lebensmittel Fast zehn Jahre nach der Projektanregung präsentierte Sabine Jacob letzten Mittwoch an einem wissenschaftlichen Symposium in Bern das Endprodukt: Es sei "das erste Standardwerk über die Zusammensetzung der in der Schweiz gegessenen Lebensmittel". In der Schweiz sind insgesamt rund 10'000 Lebensmittel verfügbar. Die 200-300 häufigsten davon decken aber bereits 90 Prozent des täglichen Bedarfs ab. Es schien darum sinnvoll, aufgrund begrenzter Ressourcen die Schweizer Nährwertdatenbank vorerst auf die 700 national repräsentativen Lebensmittel zu begrenzen. Letztere wurden mittels Marktverbrauchszahlen erhoben. "Für sämtliche erfassten Lebensmittel können nun lückenlose Angaben zu insgesamt 36 Inhaltsstoffen abgerufen werden", erläutert Jacob. Darunter finden sich beispielsweise Angaben zum Gehalt an Energie, Wasser, Eiweiss, Fett, Cholesterin, Kohlenhydrate, Vitamine und Mineralstoffen sowie Nahrungsfasern.
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Geheimes Wurstrezept Das Zusammentragen der insgesamt über einer Million Datenpunkte war nicht immer einfach. "Die Hauptschwierigkeit bestand darin, an die durch die Lebensmittelindustrie geheim gehaltenen Rezepturen heranzukommen", schildert Sabine Jacob. Obwohl beispielsweise die meisten grossen Lebensmittelindustrien offizielle Sponsoren des Projekts sind, wurden die genauen Rezepte nicht bekannt gegeben. Speziell geheim waren die Rezepte für die besonders Schweiz-spezifischen Wurst- und Backwaren. "Glücklicherweise zeigte sich das Kleingewerbe weniger zugeknöpft", freut sich Jacob. "Dank den Rezepten der Metzger- und Bäckereifachschulen sowie den deklarierten Zutaten konnten wir beispielsweise den Nährwert für die durchschnittliche Schweizer Kalbsbratwurst und den Nussgipfel berechnen." Datenqualität wird immer wichtiger Eine weitere Problematik stellten differierende Werte verschiedener Quellen dar. "In solchen Fällen bevorzugten wir jeweils die glaubwürdigere Quelle", erklärt Jacob. Welche Kriterien die Datenqualität beeinflussen, das zeigte der Symposiumsbeitrag des an der technischen Entwicklung der Nährwertdatenbank beteiligten ETH-Professors Hans Hinterberger vom Institut für Wissenschaftliches Rechnen: "Im Zeitalter des Internets wird das Vertrauen in die Informationsquelle und den Ruf einer Institution immer wichtiger." Auch eine Bewertung durch unabhängige Dritte über Zertifizierungen und die saubere Beschreibung der Daten durch Metadaten wie Erhebungsmethoden fördere die Datenqualität. Die Datenqualität wird immer wichtiger. Hier liegt denn auch einer der Schwerpunkte im weiteren Ausbau der frisch fertig gestellten Schweizer Nährwertdatenbank. Doch wöchentlich kommen neue Lebensmittel auf den Markt. Zusätzlich zur Aktualisierung und Erweiterung ist für das nächste Jahr auch eine Online-Version geplant, analog zur Deutschen Nährwert-Datenbank (1). Industrie fordert mehr Staat "Das primäre Problem liegt momentan bei der Finanzierung", kommentiert Sabine Jacob den weiteren Ausbau. Am meisten Geld gab es bisher von der Lebensmittelindustrie, die das Projekt mit 300'000 Franken unterstützte. Unter anderem hoffte die Industrie auch, die Datenbank würde die zahlreichen Konsumenten-Anfragen reduzieren. Doch eine Weiterfinanzierung ist ungewiss, denn die Industrie findet, nun solle der Staat zahlen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) steuerte bisher 200'000 Franken bei und das ETH-Institut für Wissenschaftliches Rechnen finanzierte während fünf Jahren eine Assistentenstelle zur europäisch koordinierten Software-Entwicklung. Fördert der Nationalrat die Volksgesundheit? Um den staatlichen Beitrag zu erhöhen, reichte der FDP-Nationalrat und Präventivmediziner Felix Gutzwiller am 21. März dieses Jahres einen entsprechenden Vorstoss ein. (2) Die Ernährungswissenschaftlerin Sabine Jacob ist zuversichtlich: "Ich hoffe, dass der Nationalrat in der kommenden Herbstsession zum Wohl der Volksgesundheit dem Vorstoss zustimmen wird und so den Unterhalt und die Weiterentwicklung der Schweizer Nährwertdatenbank für die Zukunft sichert."
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Literaturhinweise:
Fussnoten:
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