ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
English Version English Version
Print-Version Drucken
Publiziert: 09.04.2003 06:00

Der neue Erdbebenkatalog der Schweiz
Ein kritischer Blick in vergangene Zeiten

Der Schweizerische Erdbebenkatalog listet alle nennenswerten historischen Erdbeben in der Schweiz auf. Bisher basierte dieser Katalog allerdings auf Quellen, die teilweise fehlerhaft sind. Der Schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zürich hat nun einen neuen, verbesserten Katalog veröffentlicht. Dazu wurden zahlreiche historische Quellen kritisch begutachtet.

Von Felix Würsten

Die Schweiz gilt gemeinhin nicht gerade als Land der grossen Erdbeben. Doch in historischer Zeit haben sich hierzulande verschiedene Beben ereignet, die – wenn sie heute stattfinden würden – beträchtlichen Schaden anrichten würden. Über Anzahl und Ausmass vergangener Ereignisse in den verschiedenen Regionen gibt der Erdbebenkatalog der Schweiz Auskunft. In dieser Datenbank sind sämtliche bekannten historischen Erdbeben registriert. Vor kurzem veröffentlichte der Schweizerische Erdbebendienst (SED) (1), der seinen Sitz im Hochhaus der ETH-Hönggerberg hat, eine neue Version des Katalogs. (2)

Fehlerhafte Datenbank

Der bisherige Erdbebenkatalog wurde in den siebziger Jahren erstellt, wie Donat Fäh vom SED erzählt. "Damals stützte man sich vor allem auf ältere Kompilationen, also auf Berichte von Leuten, die bereits ähnliche Listen zusammengetragen hatten." Die Crux bei diesem Vorgehen ist offensichtlich: "Wenn sich einmal ein Fehler in eine Kompilation eingeschlichen hat, wird er immer weiter getragen."

Als Ende der neunziger Jahre die Revision des Katalogs anstand, nahmen die Verantwortlichen die Gelegenheit wahr, die bisherigen Daten kritisch zu begutachten und Fehler auszumerzen. Das liess sich allerdings nur im Rahmen eines grösseren Projekts bewerkstelligen. Ideal erwies sich da, dass die Betreiber der Atomkraftwerke die Erdbebengefährdung ebenfalls neu beurteilen mussten und daher bereit waren, einen Teil des Projekts zu finanzieren. Insgesamt waren rund 20 Leute - in erster Linie Seismologen und Historiker - an der Erstellung des neuen Katalogs beteiligt.

Verteilung der historischen Erdbeben, welche Schäden verursacht haben. gross

Nur leicht zugängliche Archive ausgewertet

In einem ersten Teil des Projekts wurden die überlieferten Berichte von Erdbeben historisch neu bewertet. "Aus Kosten- und Zeitgründen konnten wir allerdings nur in den leicht zugänglichen grossen Archive ausführlich recherchieren", berichtet Fäh. "Die lokalen Dorf- und Kirchenarchive konnten nur in Ansätzen in die Untersuchung mit einbezogen werden. Dort würde man wohl noch weitere Daten entdecken." Vor allem über ältere Ereignisse im Kanton Wallis sind in den grossen Archiven relativ wenige Angaben zu finden. Ein Mangel, wie Fäh einräumt, handelt es sich dabei doch um eine der wichtigsten Erdbebenregionen der Schweiz.

Tatsächlich hat der Erdbebenkatalog durch die Arbeit der Historiker einige Korrekturen erfahren. "Wir haben festgestellt, dass es im alten Katalog viele Duplikate gab", meint Fäh. Doppelspurigkeiten gab es insbesondere bei alten Erdbeben, die wegen der Umstellung des Kalenders im 16. Jahrhundert mehrmals aufgenommen wurden. Fehler gab es auch bei der Zuordnung von Ortschaften, und teilweise sind auch Übertragungsfehler der Grund für falsche Einträge. So ist beispielsweise das Beben von Lindau im Jahre 1720 im alten Katalog als schweres Ereignis aufgeführt, weil in den Kompilationen von "zerstörten Häusern" berichtet wird. Die Historiker fanden nun jedoch heraus, dass im ursprünglichen Bericht nur von "durchgeschüttelten Häusern" die Rede ist.

Gottesdienst im Zeltlager zu Visp nach dem Erdbeben von 1855 (Zeitgenössische Darstellung) gross


weitermehr

Schulkinder bestaunen nach dem Erdbeben von Villeneuve (1946) einen Riss in der Hausmauer. gross

Schilderungen ähneln sich

So wichtig die Originaldokumente auch sind, sie müssen ebenfalls kritisch hinterfragt werden. Denn die Schilderungen sind – oft unter dem Eindruck der Ereignisse – teilweise stark übertrieben. Immer wieder findet man Formulierungen, die offensichtlich andernorts abgeschrieben wurden. Fäh erwähnt etwa eine Erzählung, die man eine gewisse Zeit lang in den Berichten immer wieder findet: "Die Chronisten hielten fest, beim entsprechenden Beben sei eine Frau mit ihrem Neugeborenen auf dem Arm zum Fenster hinausgestürzt. Offenbar war das etwas vom Schrecklichsten, was man sich vorstellen konnte."

Insgesamt wurden mehr als 600 Ereignisse historisch neu bewertet. 177 davon erreichten die Intensität VI oder höher (3), verursachten also zum Teil massive Schäden an Gebäuden. Immerhin 260 Ereignisse, die im alten Katalog aufgeführt wurden, konnten als fehlerhafte Einträge oder Duplikate identifiziert werden. Vereinzelt haben die Historiker aber auch Beben entdeckt, von denen man bisher nichts wusste.

Umrechnung auf Magnitude

In einem zweiten Schritt haben die Wissenschaftler die historischen Überlieferungen seismologisch interpretiert. Von allen Erdbeben, bei denen nennenswerte Effekte auftraten (also solche ab einer Intensität V bis VI) wurden sogenannte Intensitätsfelder bestimmt. Diese Karten zeigen auf, wo welche Schäden festgestellt wurden und wie stark das Erdbeben von Personen wahrgenommen wurde. In einem dritten Schritt schliesslich berechneten die Seismologen für die Ereignisse mit genügend Angaben über die Intenstitätsfelder die physikalischen Parameter des Erdbebens, also die Lokalität des Epizentrums, die Tiefenklasse des Erdbebenherdes sowie die Magnitude des Bebens.

Da für historische Beben keine instrumentellen Messdaten vorliegen, musste dazu eigens eine Kalibrierung erstellt werden. "Wir haben die Messdaten der grösseren Beben im 20. Jahrhundert ausgewertet und mit den beobachteten Intensitäten verglichen", erklärt Fäh. Auf Grund dieser Kalibrierung konnte dann die Magnitude der historischen Beben nach einem einheitlichen Vorgehen berechnet werden. Anhand der so berechneten Erdbebenstärken will der SED nun in der nächsten Zeit eine neue probabilistische seismische Gefährdungskarte der Schweiz fertigstellen. Der Schweizerische Nationalfonds bewilligte kürzlich ein Projekt, welches eine Fortsetzung der historischen Forschung erlauben wird.


Haben Sie ein Erdbeben verspürt?

Um historische Ereignisse besser interpretieren zu können, interessiert sich der Schweizerische Erdbebendienst auch bei heutigen Erdbeben für persönliche Beobachtungen. Meldungen können auf der Internetseite des Erdbebendienstes gemacht werden (4). Dabei ist es auch von Interesse, wenn ein Ereignis nicht verspürt wurde.




Fussnoten:
(1) Homepage des SED: www.seismo.ethz.ch/
(2) Website des Erdbebenkatalogs: http://histserver.ethz.ch/
(3) Die Wirkung eines Erdbebens an der Erdoberfläche wird mit Hilfe der sogenannten "makroseismischen Intensitätsskala" bewertet. In vielen Ländern wird eine 12stufige Intensitätsskala verwendet. Sie reicht von Stufe I: "Nicht fühlbar" bis zu Stufe XII: "Vollständig verwüstend". Stufe VI entspricht der Stärke "Leichte Gebäudeschäden".
(4) Erdbebenmeldungen unter: http://seismo.ethz.ch/networks/macroseismic/macro_lang.html



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!