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Rubrik: Tagesberichte |
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Feierliche Eröffnung Hönggerberg Lob der Ausrufezeichen |
Auf dem Campus Hönggerberg ging gestern in Anwesenheit von wissenschaftlicher und politischer Prominenz die feierliche offizielle Eröffnung der Chemie-Neubauten über die Bühne. ETH Life übertrug den Event live via Internet. Viel Lob gab es über das gelungene Grossunternehmen - aber auch Nachdenkliches zu den Nachwuchsproblemen in der Chemie. Von Norbert Staub "Jedes Gebäude ein Ausrufezeichen" - Gottfried Schatz, Präsident des Schweizer Wissenschaftsrates, fand gestern vor geschätzten 300 Zuhörenden im Auditorium G3 des neuen Chemiegebäudes das treffendste Bild für die drei Lehr- und Forschungs-"Finger", die nun das Campus-Gelände dominieren. Und gleich schob Schatz rhetorisch brillant einen interessanten Vergleich nach: nämlich die imposante Kathedrale von Granada, die seinerzeit den Machtanspruch der katholischen Rückeroberer in Spanien demonstrierte. Früher Lebensretterin, jetzt zweifelhaftes Image Als ein "überzeugtes Bekenntnis zur Chemie" interpretierte Schatz den Bau – und sie habe dies auch nötig. Vor 50 Jahren wurde sie als "die grosse Magierin" gefeiert, der alles möglich schien; dem Referenten, als kleines Kind an Diphterie erkrankt, rettete sie mit dem Wirkstoff Prontosil das Leben. Heute aber wehe ein ganz anderer Wind: die Chemie werde für Umweltverschmutzung, technologische Arroganz und Naturverachtung verantwortlich gemacht.
Ihren "Glamour-Status", so Schatz, habe die Chemie ebenfalls eingebüsst und an die Molekularbiologie abtreten müssen. Jus, Medizin, BWL und Informatik stünden bei StundienanfängerInnen ungleich höher im Kurs. Das Paradoxe daran: die Trendwende "resultiert auch aus den spektakulären Erfolgen der Chemie". Denn die Chemie von heute sei zwar allgegenwärtig, aber still und unsichtbar geworden – im Gegensatz zu früher, als Fabriken noch "rote und grüne Wolken husteten". Ohne Hochtechnologie-Chemie seien Implantate wie künstliche Augenlinsen, Gelenke oder Herzschrittmacher schlicht undenkbar.
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Ein Schritt, den die Chemie selbst machen müsse, um zukunftsfähig zu bleiben, sei die Überwindung der Grenzen innerhalb der Diszilplin selbst. In organische, anorganische und weitere Unterdisziplinen zu unterteilen, sei nicht nur sinnlos, sondern "schädlich". "Fieber des Entdeckens" Wilfred van Gunsteren, Departementsvorsteher Chemie schloss hier an, indem er betonte, dass im neuen Haus nicht "Chemie pur sang" betrieben werde. Es spiele keine Rolle, ob sich jemand als Biologe, Chemikerin, Physiker oder Werkstoffspezialistin bezeichne. Das Entscheidende für die Wissenschaft seien Vorstellungskraft und das jugendliche "Fieber des Entdeckens", so van Gunsteren.
ETH-Präsident Olaf Kübler zeigte sich beeindruckt von der "erstaunlichen Wirkung" des Gebäudes: der Campus gewinne durch die "wohlgefügte Hülle mit ihrem wandlungsfähigen Innenleben" einen "neuen Halt". Kübler dankte für "Weitsicht, Einsatz und Grossmut" vieler Personen, die daran beteiligt waren, insbesondere der Eidgenossenschaft, als deren Vertreter Charles Kleiber, Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, angereist war. Kleiber: erfolglos mitentworfen Kleiber gratulierte der ETH zu diesem "fantastischen" Bauwerk – um zu gestehen, vor dreissig Jahren anlässlich eines Wettbewerbs als Architekturstudent selbst über einem Entwurf zum Campus Hönggerberg gebrütet zu haben, ohne Erfolg allerdings. Die ETH habe mit dem Bau bewiesen, dass sie fähig sei, selber zu bauen – "wenn man ihr nur die nötige Freiheit lässt", sagte Kleiber. Das in die ETH gesetzte Vertrauen sei nicht enttäuscht worden: "Damit wird es möglich, der ETH in allen Bereichen noch mehr Autonomie abzutreten", so der Staatssekretär. Auch Kleiber verschwieg das Nachwuchsproblem der Chemie in der Schweiz nicht. Er forderte dazu auf, die föderalistischen Sonderwege aufzugeben – es gehe schlicht um die Existenz: "Wir haben die Wahl zwischen Bedeutungslosigkeit und weltweiter Anerkennung". – Eine nachdenkliche Note in einem sonst berechtigterweise durch und durch auf Freude gestimmten Anlass.
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