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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 12.01.2004 06:00

Rekordsommer 2003
Ein Vorbote der Klimazukunft

Forscher der ETH Zürich haben berechnet, dass das Klima in Mitteleuropa im Sommer zukünftig nicht nur wärmer, sondern auch unbeständiger wird. Hitzeperioden wie im letzten Jahr wären demnach in siebzig oder achtzig Jahren nichts Aussergewöhnliches mehr.

Von Felix Würsten

Es war ein Sommer, der in jeder Hinsicht alle Rekorde schlug. Über Monate hinweg wurden Mittel- und Südeuropa letztes Jahr von einer aussergewöhnlichen Hitzewelle heimgesucht. "Statistisch gesehen hätte es einen solchen Sommer eigentlich gar nicht geben dürfen", meint Christoph Schär, Professor am Institut für Klima und Atmosphäre der ETH Zürich (1). Doch was heute noch ein Extremfall ist, könnte in absehbarer Zeit zum Normalfall werden. Darauf deuten jedenfalls die Modellrechnungen hin, die Schär und seine Mitarbeiter diese Woche in der Zeitschrift "Nature" (2) veröffentlichen.

Ausserhalb der Statistik

Die Forscher haben im Rahmen eines Projekts des Nationalen Forschungsschwerpunktes "Klima" (3) die Temperaturen des Sommers 2003 mit Messdaten der letzten 150 Jahre verglichen. "Der letzte Sommer liegt weit ausserhalb dessen, was man je registriert hat. Auch das Jahr 1947, das bisher als aussergewöhnliches Rekordjahr galt, wurde übertroffen", erklärt Schär. Basierend auf den vorhandenen Daten hat Schär berechnet, dass sich unter der Annahme eines konstanten Klimas eine solche Hitzeperiode höchstens alle 10'000 Jahre erreignen sollte. "Natürlich ist das eine fiktive Zahl", relativiert er. "Aber sie zeigt doch, wie aussergewöhnlich die Situation war."

Der letzte Sommer, so ist der Forscher überzeugt, ist ein deutliches Zeichen, dass sich das Klimaregime verändert. "Seit 1975 beobachten wir auf der Nordhalbkugel eine prononcierte Klimaerwärmung. Wenn sich die Durchschnitts-Temperaturen erhöhen, dann vergrössert sich die Wahrscheinlichkeit eines heissen Sommers überproportional." Bestätigt wird diese Interpretation durch Simulationen, die seine Gruppe mit einem hoch auflösenden regionalen Klimamodell gemacht hat. "Nimmt man ein nicht allzu optimistisches Szenario an, das von einer Verdoppelung der Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre gegenüber heutigen Werten ausgeht, werden die sommerlichen Durchschnitts-Temperaturen in Mitteleuropa am Ende dieses Jahrhunderts rund 4,6 °C höher sein als in der Referenzperiode 1961 bis 1990", meint Schär.

Unbeständigkeit nimmt zu

Zur Temperaturerhöhung kommt ein zweiter Faktor hinzu, der noch fast wichtiger ist. "Gemäss unseren Berechnungen nimmt die Standardabweichung der Sommertemperaturen in Mitteleuropa um bis zu 100 Prozent zu. Das Sommerklima wird sich also gegen das Ende des Jahrhunderts von Jahr zu Jahr stark unterscheiden", erläutert Schär. Wie entscheidend der Faktor Variabilität ist, lässt sich an einem Beispiel demonstrieren. Nimmt die Standardabweichung um 50 Prozent zu, vergrössert sich die Wahrscheinlichkeit eines Rekordsommers, wie wir ihn gerade erlebt haben, um den Faktor 150. "Wie häufig extrem heisse Sommer vorkommen, hängt also davon ab, wie wechselhaft das Klima insgesamt ist", erläutert Schär. "Und vermutlich hat die Variabilität in den letzten Jahren bereits zugenommen."

Das ausgetrocknete Flussbett der Töss am 28. August 2003. (Bild C. Schär) gross


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Vergleich der durchschnittlichen Sommertemperaturen im Zeitraum 2070-2100 mit denjenigen der Periode 1961 bis 1990: Die Modellrechnungen zeigen, dass im Mittelmeerraum der Effekt der mittleren Erwärmung dominieren wird (links). In Zentral- und Osteuropa muss hingegen mit einer kräftigen Zunahme der Unterschiede von Jahr zu Jahr gerechnet werden (rechts). gross

Völlig verschiedene Sommer

Anzeichen, dass diese Einschätzung nicht aus der Luft gegriffen ist, gibt es durchaus. Schär weist zum einen darauf hin, dass die beiden letzten Sommer völlig verschieden waren. Während im letzten Jahr weitherum Trockenheit herrschte, sorgten 2002 grosse Überschwemmungen für Schlagzeilen. Zum anderen werden die Berechnungen der Zürcher Forscher durch andere Gruppen bestätigt, die im Rahmen des europäischen Projekts "Prudence" (4) vergleichbare Modellrechnungen gemacht haben.

Die Resultate zeigen auch, dass nicht überall in Europa die Variabilität gleich stark zunehmen wird. "In Spanien rechnen wir zwar mit einem starken Anstieg der Durchschnitts-Temperaturen. Die Standardabweichung dürfte sich aber nur geringfügig verändern. Das heisst, das Klima wird dort trotz der starken Erwärmung etwa gleich stabil sein wie heute."

Bodenfeuchte als Schlüsselfaktor

Dass die Variabilität in Mitteleuropa derart stark zunehmen wird, lässt sich physikalisch begründen. "Der Schlüsselfaktor in diesem System ist der Wassergehalt des Bodens", erklärt Schär. "Im Sommer wird in unseren Breiten üblicherweise ein grosser Teil der Strahlungsenergie in Verdunstung umgesetzt. Wenn jedoch der Untergrund ausgetrocknet ist, wird die Verdunstung unterdrückt, und die Luft heizt sich deshalb viel stärker auf. Genau das haben wir in Mitteleuropa im letzten Jahr beobachtet. In Spanien hingegen ist der Boden schon unter den heutigen Bedingungen im Sommer fast immer ausgetrocknet. Deshalb ist dort auch nicht mit einer Zunahme der Variabilität zu rechnen."

Ein derart unsicheres Klimaregime, wie es Schär nun entwirft, dürfte Mitteleuropa vor grosse Schwierigkeiten stellen. "An ein wärmeres, aber konstantes Klima kann man sich im Prinzip anpassen", meint er. "Man kann zum Beispiel andere Kulturpflanzen anbauen, die in einem wärmeren Umfeld besser gedeihen. Wenn aber das Klima von Jahr zu Jahr sprunghaft ändert, ist eine Anpassung an die neuen Verhältnisse viel schwieriger zu bewerkstelligen."


"Es braucht eine langfristige Politik"

Eine markante globale Klimaerwärmung, darin sind sich die meisten Experten einig, lässt sich nur mit einer drastischen Reduktion der Treibhausgas-Emissionen verhindern. Ein erster, wenn auch bescheidener Schritt in diese Richtung stellt das Kyoto-Protokoll dar. Mehrere Mitglieder des European Climate Forums (5), darunter auch Alexander Wokaun von der ETH Zürich und dem PSI in Villigen, haben nun kürzlich in der Zeitschrift "Science" (6) eine Klimapolitik gefordert, die sich an längerfristigen Zielen orientiert.

In den nächsten hundert Jahren, so schreiben die Forscher, müssen die globalen Pro-Kopf-Emissionen auf einen Bruchteil des heutigen Werts gesenkt werden. Ein Übergang in eine emissionsfreie Wirtschaft sei durchaus machbar. Das Ziel lasse sich aber kurzfristig nicht erreichen, weil der Energiesektor lange Investitionszyklen aufweise. Ein solcher Strukturwandel würde das globale Wirtschaftswachstum zwar leicht verzögern. Dies sei aber angesichts der Risiken der Klimaerwärmung ein vertretbarer Preis.




Fussnoten:
(1) Homepage des Instituts: www.iac.ethz.ch/
(2) Schär, et.al.: The role of increasing temperature variability in European summer heatwaves. Nature, Vol 427, No 6971 (2004). Eine Online-Version des Artikels ist auf Nature-Online abrufbar: http://dx.doi.org/10.1038/nature02300
(3) Homepage des NFS Klima: www.nccr-climate.unibe.ch/
(4) Homepage des Projkets: http://prudence.dmi.dk/
(5) Homepage des European Climate Forum: www.european-climate-forum.net/
(6) Hasselmann et.al.: The Challenge of Long-term Climate Change. Science, Vol. 302, Nr. 5652, 12. Dezember 2003.



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