ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 17.11.2004 06:00

Hochwasserschutz und Flussrevitalisierung unter einen Hut bringen
Höchste Zeit, zu handeln

Überschwemmungen haben in den letzten Jahrzehnten enorme Schäden verursacht. Mit der Bemerkung, es sei höchste Zeit zu handeln, eröffnete Armin Peter von der EAWAG kürzlich an der ETH Zürich das Symposium "Hochwasserschutz und Flussrevitalisierung: Synergien für Mensch und Natur". Wasserbauer suchen jetzt nach nachhaltigen und kostengünstigen Lösungen, die neben der Sicherheit auch den Naturschutz berücksichtigen.

Von Bärbel Zierl

"Schweizer Flüsse und Bäche erstrecken sich über 61'000 Kilometer. Etwa 37 Prozent davon - 22'500 Kilometer - sind allerdings in einem schlechten Zustand. Höchste Zeit zu handeln", eröffnete Armin Peter von der EAWAG (1) das Symposium "Hochwasserschutz und Flussrevitalisierung: Synergien für Mensch und Natur". Organisiert wurde das Symposium, das letzten Samstag an der ETH Zürich stattfand, vom Rhone-Thur-Projekt (2). Von EAWAG, WSL (3), ETH Zürich und EPF Lausanne gemeinsam getragen, hat das Projekt zum Ziel, Synergien zwischen Wissenschaft und Praxis zu schaffen, also die Zusammenarbeit von Ökologen und Wasserbauern zu verstärken.

Schäden in Milliardenhöhe

Über zwei Jahrhunderte wurden Flüsse begradigt, kanalisiert und eingedolt, um die Menschheit und ihr Kulturland vor Hochwasser zu schützen. Doch Statistiken des Bundesamtes für Wasser und Geologie (BWG) belegen, dass trotz aller Anstrengungen die Hochwasserschäden in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen sind. "Innerhalb von 30 Jahren haben Überschwemmungen in der Schweiz Schäden in einer Höhe von neun Milliarden Franken verursacht, davon sechs Milliarden seit 1987", erklärt Hans-Peter Willi vom BWG (4). Ausserdem gingen artenreiche Lebensräume verloren und Flussläufe verarmten.

Der konservative Hochwasserschutz hat ausgedient. Heute ist das Zauberwort im Hochwasserschutz Nachhaltigkeit. Sowohl Ökologie und Ökonomie als auch soziale Aspekte sollen berücksichtigt werden. "Und dies lässt sich nur realisieren, wenn den Flüssen wieder mehr Raum zugestanden wird", so Willi. Beispiele aus der Schweiz und Österreich zeigen: Dort wo Flüsse nicht mehr in enge Kanäle gezwängt werden, sondern sich frei durch die Landschaft schlängeln dürfen, werden Hochwasserspitzen gekappt, erhalten Flora und Fauna ihre angestammten Lebensräume zurück und gewinnen auch Menschen wieder ein wertvolles Stück Natur. Nicht zuletzt sei ein naturnaher Hochwasserschutz häufig relativ kostengünstig.

WSL-Wissenschafterin Sigrun Rohde diskutiert mit dem Publikum, inwieweit Flussaufweitungen als Revitalisierungsmassnahme sinnvoll sind.

Wasserbauer werden Moderatoren

Die Umsetzung dieser Forderungen stellt die Wasserbauer allerdings häufig vor erhebliche Probleme. Das Konfliktpotential bei Flussrevitalisierungen ist hoch. Regierungsrat Hans Peter Ruprecht, Vorsteher des Departments für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau, verdeutlicht dies anhand der Geschichte der zweiten Thurkorrektion. 14 Jahre lang diskutierten Kanton, Bund, Umweltverbände und Anwohner, bis sie sich 1993 auf ein Projekt einigen konnten. "Heute aber ist die Akzeptanz da und alle geniessen die neue Situation."


weitermehr

Die revitalisierte Thur im Schäffäuli bei Niederneunforn: Sie darf sich ihren Lauf wieder selber suchen. (Foto: EAWAG) gross

Die vielerorts beobachteten Konflikte führten in den letzten Jahren zu einem Umdenken im Planungsprozess. Markus Hostmann von der EAWAG sagt: "Sollen Flüsse erfolgreich revitalisiert werden, müssen Wasserbauer die betroffenen Behörden, Landwirte, Förster, Umweltverbände und Anwohner frühzeitig in den Entscheidungsprozess einbeziehen, Ziele und Projektvarianten transparent darstellen." Urs Geiser vom Geographischen Institut der Uni Zürich (5) bringt es auf den Punkt: "Wasserbauer werden zu Moderatoren. Sie müssen zwischen Wasserbaugesetz und sieben Millionen Schweizer Wasserbauexperten vermitteln."

Ökologische Erfolgskontrollen

Können sogenannte naturnahe Hochwasserschutzprojekte Flusslandschaften tatsächlich ökologisch aufwerten? Hans-Erwin Minor, Professor an der VAW (6), betont: "Für die Arbeit in der Praxis, wo Entscheidungen über die Wahl der Methode getroffen werden müssen, ist es notwendig, die Massnahmen aus ökologischer Sicht bewerten zu können. Wir benötigen Aussagen darüber, was ökologisch wertvoll ist." Dafür wären ökologische Erfolgskontrollen erforderlich. Diese fehlen bisher allerdings fast vollständig, da es oft an finanziellen Mitteln und konkrete Anleitungen mangelt.

Die Verantwortlichen des Rhone-Thur-Projekts haben sich deswegen zum Ziel gesetzt, ein Anwenderhandbuch herauszugeben. Es soll Praktikern mit einer Liste einfacher Indikatoren wie Uferlänge, Fischdichte oder Anzahl Erholungssuchende eine Anleitung zur ökologischen Erfolgskontrolle in die Hand geben. "Erfolgskontrollen sind unerlässlich, soll zum Beispiel die Effizienz eingesetzter Mittel überprüft werden", erklärt Armin Peter. "Zudem lassen sich aus der Reaktion der Ökosysteme wichtige Lehren für die Zukunft ziehen."

Schneller, besser, ökologischer

Einen ersten Schritt in Richtung Erfolgskontrolle ist Sigrun Rohde von der WSL gegangen. Sie untersuchte, inwieweit Aufweitungen des Flussbettes als Revitalisierungsmassnahme sinnvoll sind. Sie kommt zu dem Schluss, dass "der ökologische Erfolg von Aufweitungen vor allem von deren Grösse, der Nähe zu naturnahen Bereichen und dem Geschiebehaushalt abhängt". Bisher seien viele Aufweitungen zu klein oder zu wenig vernetzt, um naturnahe Flusslandschaften schaffen zu können.

Nicht nur zu klein, sondern auch zu langsam sind die bisherigen Revitalisierungsprojekte für Andreas Knutti vom WWF (7). "Bei dem aktuellen Tempo dauert es noch 1000 Jahre bis zumindest die nötigsten Flussabschnitte revitalisiert sind. Wir setzen uns deswegen dafür ein, dass Flüsse schneller, besser und ökologischer revitalisiert werden."


Fussnoten:
(1) Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG): www.eawag.ch/
(2) Rhone-Thur-Projekt: www.rhone-thur.eawag.ch
(3) Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft(WSL): www.wsl.ch/
(4) Bundesamt für Wasser und Geologie (BWG): www.bwg.admin.ch/
(5) Geographisches Institut der Uni Zürich: www.geo.unizh.ch/
(6) Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW): www.vaw.ethz.ch/
(7) Natur- und Umweltschutzorganisation (WWF): www.wwf.ch/de/index.cfm



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!