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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 22.05.2003 06:00

Kernkraftwerk-Sicherheit
An Sabotage-Szenarien gedacht?

Seit der Abstimmung vom 18. Mai ist klar: die Schweiz wird die KKW vorläufig nicht abstellen. Um so mehr stellt sich die Frage, wie es um die Sicherheit der KKW und anderer neuralgischer Punkte bei Sabotage-Angriffen steht. Veröffentlicht wurde bislang erst ein Bericht über die KKW-Sicherheit bei Flugzeugabstürzen. ETH-Professor Wolfgang Kröger fordert eine umfassende Sicherheitsanalyse.

Von Richard Brogle

Nach dem 11. September 2001 stellten in der Schweiz verschiedene Kreise die Frage, wie sicher Atomkraftwerke gegenüber Angriffen von Selbstmordattentätern sind. Die Sicherheitsbehörde des Bundes auf dem Gebiet der Kernenergie (HSK, Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen) kam kürzlich in einem Bericht (1) zum Schluss, dass im Falle eines Flugzeugabsturzes auf ein Kernkraftwerk (KKW) die Wahrscheinlichkeit gering sei, dass Radioaktivität austrete. Von verschiedenen Seiten wird nun bemängelt, dass nur dieses eine Szenario untersucht wurde, aber andere – angeblich mindestens so gefährliche Szenarien – ausgeklammert blieben.

Keine umfassende Sicherheitsanalyse

Einer der Kritiker ist ETH-Professor Wolfgang Kröger (2) vom Laboratorium für Sicherheitsanalytik der ETH Zürich. Er bemängelt, dass nach dem 11. September keine umfassende Sicherheitsanalyse gemacht wurde: „Es macht keinen Sinn, sich lediglich auf einzelne Fälle zu beschränken. Wir müssen nicht nur den bewusst herbeigeführten Flugzeugabsturz untersuchen, sondern auch andere Bedrohungsszenarien und Zielobjekte, beispielsweise einen Anschlag auf Staudämme und Trinkwasserversorgungseinrichtungen. „Aber es geht noch weiter“, so der ETH-Professor, „auch grosse Sportveranstaltungen könnten Ziele von Attacken unterschiedlichster Art werden.“

Verwundbare Gesellschaft

Durch den hohen Grad an Technologisierung und Vernetzung sei die Gesellschaft heute extrem verwundbar geworden. Vor kurzem sei es beispielsweise in Korea fast zu einem Börsencrash gekommen, weil jemand das Gerücht verbreitet habe, dass Bill Gates gestorben sei. Kröger: „Ich habe Bundesrat Samuel Schmid bei einem Treffen im VBS darauf hingewiesen, dass eine solche umfassende Sicherheitsanalyse oder erweiterte Risikoanalyse Schweiz, wie ich sie genannt habe, gemacht werden sollte.“ Schmid habe dem im Prinzip zugestimmt, dennoch sei es, soweit ihm bekannt, noch nicht zu einem entsprechenden Auftrag gekommen, meint Kröger.

Nationalrätin enttäuscht

Nicht nur Kröger fordert weitere Untersuchungen. Die grüne Berner Nationalrätin Franziska Teuscher (3) reichte im Oktober 2001 ein Postulat (4) ein und fragte darin den Bundesrat unter anderem: „Wie werden die Schadenswirkungen eines Terroranschlages auf die Schweizer Atomanlagen beurteilt?“ Gegenüber ETH Life meint sie heute: „Ich bin enttäuscht, dass viele Szenarien vom HSK-Bericht schlicht nicht untersucht wurden. Ich möchte beispielsweise wissen, ob die Atomkraftwerke einem Kleinflugzeug standhalten, bei dem sich eine grosse Bombe an Bord befindet und von einem Selbstmordattentäter gegen ein AKW gesteuert wird.“ Auf solche Fragen gebe der Bericht keinerlei Antwort.

Keine Flugverbotszonen um KKW

Tatsächlich bestehen um die Kernkraftwerke keine besonderen Flugbeschränkungen für den Sichtflug. Die Schweizer Kernkraftwerke befinden sich im so genannten Luftraum G (5), in dem keinerlei Einflugbewilligungen nötig sind und die weder militärisch noch zivil kontrolliert werden. Alle Flugzeuge können sich dort im Sichtflug frei bewegen. Ein Flugzeug kann sich folglich ohne weiteres den KKW nähern und es in einer Mindestflughöhe von 150 Metern über Grund - über dicht besiedelten Gebieten mit 300 Metern über Grund - überfliegen (6). Ob allerdings Flugbeschränkungen rund um KKW die Lösung sind, ist umstritten: Um genügend Vorwarnzeit für einen allfälligen Abschuss zu erhalten, müssten diese Flugverbotszonen relativ gross sein. Im ohnehin schon sehr knappen Luftraum des Schweizer Mittellandes würde diese Massnahme den Flugbetrieb behindern. Die Wahrscheinlichkeit von Zusammenstössen und Verspätungen stiege. Auch ist damit zu rechnen, dass früher oder später Piloten irrtümlich in das Gebiet einfliegen und Gefahr laufen, für ein Terror-Flugzeug gehalten zu werden.


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Das Kernkraftwerk Gösgen (Bild: KKG) gross

Die Frage, ob der wohl schlimmste denkbare Fall, der Angriff von Terroristen auf ein KKW mit militärischen Mitteln, in der Schweiz bereits untersucht wird, ist nicht einfach zu beantworten. Das UVEK (7) als zuständiges Departement hat kurz nach den Ereignissen des 11. September 2001 erklärt (8), die KKW seien von der HSK aufgefordert worden, ihre Schutzkonzepte auch für den Fall von Sabotage-Angriffen zu überprüfen. Im aktuellen HSK-Bericht werden solche Szenarien allerdings nicht näher beleuchtet: „Sicherungsmassnahmen gegen Sabotage werden im Folgenden nicht näher behandelt“, heisst es dort. Zuständig für die Frage der Sabotage seien im UVEK das Bundesamt für Energie (BFE) und dort die Abteilung Kernenergie und Recht sowie der Dienst für Analyse und Prävention im Bundesamt für Polizeiwesen im Departement von Justizministerin Metzler.

Sabotage-Szenario

Eine Nachfrage von ETH Life im EJPD ergab, dass die im HSK-Bericht als zuständig bezeichneten Stellen die Sache zum Teil anders sehen: „Es ist nicht Aufgabe des Dienstes für Analyse und Prävention, die Sicherheitsmassnahmen der KKW in Bezug auf einen Sabotageakt zu überprüfen“, hält EJPD-Pressesprecherin Daniele Bersier fest. Die Abteilung Kernenergie und Recht im Bundesamt für Energie erklärt sich zwar für zuständig, über das Problem „Sabotage“ sei aber kein eigentlicher Bericht erstellt worden. „Schon beim Bau von KKW werden mögliche Sabotageakte berücksichtigt. Es gibt verschiedene bauliche, technische und betriebliche Massnahmen wie bestimmte Wandstärken, Schleusen, Überwachungsanlagen, Alarmierungssysteme, Personal- und Materialkontrollen, bewaffnete Betriebswache. Aber wir überprüfen die Situation laufend. Mehr kann ich aus Sicherheitsgründen nicht sagen“, sagt Werner Bühlmann, Chef der Abteilung Recht und Kernenergie beim BFE.

Fachmännisch ausgerüstete Täter

In einem öffentlichen Papier (9), das der KKW-Spezialist Beat Wieland derselben Abteilung verfasst hat, ist nachzulesen, von welchen Attentätern ausgegangen werden muss: „Die von den Behörden festgelegte Gefährdungsannahme geht von gut vorbereiteten, fachmännisch ausgerüsteten Tätern aus, welche über Anlagenkenntnisse, geeignete Angriffsmittel und angriffstechnische Fähigkeiten verfügen.“ Weiter stellt er darin fest: „Verantwortlich für den sicheren Betrieb der Kernanlagen, d.h. auch für den Schutz der Anlagen vor Sabotage, sind in erster Linie die Betreiber selbst.“

Neue parlamentarische Anfrage

Das Argument der Geheimhaltung aus Sicherheitsgründen überzeugt Nationalrätin Franziska Teuscher nicht: „Warum veröffentlicht man beim Szenario des vorsätzlichen Flugzeugabsturzes, dass bei diesem keine Gefahr bestehe und warum schweigt man bei anderen Szenarien aus Sicherheitsgründen?“ Damit werde der Bevölkerung eine Scheinsicherheit vorgegaukelt. Um doch noch die Antworten auf ihre Fragen zu erhalten, hat sich Teuscher in der vergangenen Mai-Session mit einer einfachen Anfrage an den Bundesrat gewandt und ihn aufgefordert, die noch ausstehenden Antworten zu liefern. Teuscher: „Wir haben ein Recht zu erfahren, ob die AKWs terrorsicher sind – und wenn nicht, dann erst recht. Die Terroristen wissen das sowieso längst.“


Fussnoten:
(1) www.hsk.psi.ch/deutsch/files/pdf/FLA-Bericht_maerz03.pdf
(2) www.lsa.ethz.ch/lsa/faculty/chair/index.html
(3) www.parlament.ch/afs/data/d/person/d_person_359.htm
(4) www.parlament.ch/afs/data/d/gesch/2001/d_gesch_20013588.htm
(5) Verordnung über die Verkehrsregeln für Luftfahrzeuge (VVR), SR 748.121.11, Anhang 1 in Verbindung mit der ICAO-Luftfahrtkarte
(6) VVR, Art. 44 Abs. 1 lit. a und b.
(7) www.uvek.admin.ch
(8) www.uvek.admin.ch/gs_uvek/de/dokumentation/medienmitteilungen/artikel/20010921/00726/index.html
(9) www.hsk.psi.ch/deutsch/files/pdf/PR_Wieland_dt_3-4-03.pdf



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