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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 09.11.2001 06:00

Swissair-Krise im Spiegel der Arbeitspsychologie
"Ein Kampf zwischen Basel und Zürich"

Das Swissair-Debakel wird die Schweiz noch lange beschäftigen, schätzt der renommierte ETH-Arbeitspsychologe Ivars Udris. Den Machern der neuen Crossair legt er nahe, intensiv mit allen Betroffenen zu kommunizieren. Sonst werde die Fusion nicht gelingen.

Interview: Roland Schaller

Herr Udris, Sie sind nun schon seit knapp 30 Jahren in der Schweiz. Haben sie in dieser Zeit schon einmal einen Arbeitsplatzabbau vom Ausmass der Swissair-Krise erlebt?

Ivars Udris: Es gab immer wieder Krisen, beispielsweise in den achtziger Jahren. Aber einen so dramatischen Einbruch wie jetzt bei der Swissair habe ich noch nicht erlebt.

Bei der Swissair arbeiten viele hochqualifizierte, aber auch sehr einseitig qualifizierte Personen. Haben diese Leute auf dem Arbeitsmarkt überhaupt noch eine Chance?

Udris: Man muss zwischen hoher Qualifikation und Spezialisierung unterscheiden. Die internationale Arbeitslosigkeitsforschung zeigt, dass, je breiter jemand qualifiziert ist, diese Person umso leichter auch Alternativen zum früheren Job findet. Ein guter Mechaniker kann nicht nur Turbinen warten, er findet auch in anderen Gebieten eine Arbeit.

Schwierig dürfte es aber für die Piloten werden?

Udris: Ich meine das nicht abwertend, aber Piloten können nur fliegen. Sogar innerhalb des Pilotenberufs sind sie nochmals spezialisiert auf wenige Flugzeugtypen. Ein Jumbolino-Pilot kann nicht ohne weiteres einen Airbus fliegen. Für die Piloten wird es sicher schwierig. Wenn sie weiter fliegen wollen, müssen sie sehr mobil sein und unter Umständen zu einer ganz anderen Airline wechseln.

Sind die Arbeitsämter darauf überhaupt vorbereitet?

Udris: Sehr positiv finde ich, dass man sofort reagiert und eine Stellenvermittlung bei der Swissair eingerichtet hat. Aber bei einer so grossen Anzahl von Entlassungen ist es einfach schwierig, für alle einen neuen Job zu finden.

Man liest immer wieder, dass die Crossair und die Swissair zwei völlig verschiedene Betriebskulturen gehabt hätten. Kann unter diesen ungünstigen Voraussetzungen überhaupt eine motivierte neue Belegschaft geformt werden?

Udris: Verschiedene Studien zeigen, dass Fusionen häufig daran scheitern, dass sie keine neue Betriebskultur aufbauen können. Bei einer Fusion sind die psychosozialen Faktoren sehr wichtig. Damit meine ich unterschiedliche Führungsverständnisse, unterschiedliches Commitment, also Engagement für den Betrieb, unterschiedliche Vorstellungen über die Zusammenarbeit, über das Image und vieles mehr. Die UBS krankt immer noch an den unterschiedlichen Kulturen von Basler Bankverein und Zürcher Bankgesellschaft. Die Parallele ist frappant. Auch bei der Crossair wird es einen Kampf zwischen Basel und Zürich geben.

Was müsste denn getan werden, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert sind?

Udris: Kulturen kann man nicht verordnen. Kulturen brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Unverzichtbar ist eine permanente und offene Kommunikation. Wir Arbeitspsychologen sind der Meinung, dass alle betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kommunikationsprozess miteinbezogen werden müssen. Natürlich muss der Betrieb neu organisiert werden, aber das reicht nicht aus. Auf der Seite der Angestellten braucht es aber auch die Einsicht, dass andere Konzepte funktionieren können.


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ivars udris
"Fusionen scheitern häufig daran, dass sie keine neue Betriebskultur aufbauen können", sagt ETH-Arbeitspsychologe Ivars Udris zum notwendigen Zusammenwachsen von Crossair und Swissair. gross

Welche Rolle spielt das Management in einem solchen Prozess?

Udris: Vor allem das mittlere Management ist gefordert. Sie müssen die Kommunikation organisieren, sei es in persönlichen Gesprächen, sei es in Workshops. In der Arbeitspsychologie nennen wir das kurze Rückkoppelungsschlaufen. Damit ist gemeint, dass man nicht einfach etwas verordnen und dann nach einem halben Jahr schauen kann, wie es läuft. "Kurze Rückkoppelungsschlaufen" bedeutet wöchentliche oder gar tägliche Gesprächsrunden. Das ist sehr aufwändig. Aber ohne diese Investition, das wage ich zu behaupten, wird es nicht funktionieren.

Vor allem die Piloten, aber auch die anderen Angestellten der Swissair müssen in der Crossair zum Teil empfindliche Lohneinbussen hinnehmen. Ist damit die Motivation nicht schon zu Beginn weg?

Udris: Allerdings hatten die Swissair-Piloten Löhne, wie es sie so sonst nirgends gab. Auch ETH-Professoren können da nur staunen. Ich finde es traurig, wenn Leute, die vorher 200'000 Franken oder noch mehr verdient haben, und nun vielleicht noch 150'000 Franken verdienen, plötzlich von einer Motivationskrise reden. Man darf das Ganze nicht nur auf die Lohnfrage reduzieren. Der Lohn, zumindest in diesen Grössenordnungen, ist nicht das entscheidende, wenn man seinen Job liebt und wenig Alternativen hat.

Die Swissair-Krise macht vielen Leuten Angst. Ist diese Angst berechtigt?

Udris: Die Schweiz ist zur Zeit ziemlich gebeutelt. International beunruhigen die Terroranschläge und der Krieg in Afghanistan. In der Schweiz kommt das Swissair-Debakel, das Attentat in Zug und nun noch die Katastrophe im Gotthard dazu. Dass viele Leute beunruhigt und verängstigt sind, kann ich zumindest sehr gut nachvollziehen.


Experte zum Komplex 'Arbeit und Gesundheit'

Ivars Udris ist Titularprofessor am Institut für Arbeitspsychologie (1), das beim Departement Betriebs- und Produktionswissenschaften angesiedelt ist. Er betreut den Schwerpunkt Arbeit und Gesundheit. Ausserdem amtet er als Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeits- und Organisationspsychologie(2). Udris ist 60 Jahre alt und stammt ursprünglich aus Lettland. In die Schweiz und ans Institut für Arbeitspsychologie kam er 1972, ursprünglich nur für ein Forschungsprojekt. "Daraus sind nun 29 Jahre geworden", sagt Udris, "und es gefällt mir hier immer noch." Zur Zeit arbeitet er unter anderem an einem Forschungsprojekt über die Wirkung von "Downsizing-Prozessen" auf die Motivationslage des verbliebenen Personals - ein Projekt, das viele Parallelen zur aktuellen Swissair-Krise aufweist.




Fussnoten:
(1) Homepage siehe unter: www.ifap.bepr.ethz.ch: Institut für Arbeitspsychologie der ETH Zürich
(2) www.sgaop.ch: Schweizerische Gesellschaft für Arbeits- und Organisationspsychologie



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