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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 19.11.2001 06:00

Tagung Kommunikationsrecht
Schlammschlacht oder wichtige Information?

Wie weit geht das Recht der Medien auf Informationen aus dem Privatbereich? Bei dieser Frage kreuzten kürzlich Journalisten, Bundesrichter und Rechtsprofessoren an einer Tagung die Klingen, die von einem ETH-Rechtsprofessor mitorganisiert wurde. Besonders umstritten war die Verurteilung eines Journalisten wegen Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung.

Von Richard Brogle

Ja - auch an der ETH gibt es Lehrstühle für Recht. Natürlich - sie sind nie so zahlreich wie an der Uni und beschränken sich auf Rechtsgebiete, die in irgend einer Form einen Bezug zur Technik haben. Zum Beispiel - der Lehrstuhl für Technologie- und Informationsrecht mit Professor Reto Hilty und Oberassistent Mathis Berger. Beide haben kürzlich im Rahmen des "Schweizer Forums für Kommunikationsrecht" eine Veranstaltung organisiert, die der Frage nachging, wie weit das Recht der Medien auf Informationen aus dem Privatbereich geht.

Bereits zu Anfang der Veranstaltung stand der Bundesgerichtsentscheid (1) gegen einen Journalisten im Kreuzfeuer der Kritik. Was war geschehen? Ein Journalist des "Blick" hatte bei der Staatsanwaltschaft Zürich angerufen und verlangte einen Staatsanwalt. Eine Verwaltungsassistentin teilte dem Journalisten mit, dass zu dieser Zeit alle Staatsanwälte abwesend seien. Der Reporter faxte der Verwaltungsassistentin eine Liste mit Namen von Personen, die - wie er sagte - in den letzten Tagen im Zusammenhang mit dem Fraumünster-Postraub festgenommen worden seien und bat die Assistentin nachzuschauen, ob diese Personen allenfalls vorbestraft seien.

Recht
Bundesrichter Martin Schubarth verteidigte mit viel Herzblut den Bundesgerichtsentscheid. gross

Nach gut drei Stunden faxte die Assistentin die mit den gewünschten Auskünften versehene Liste dem Journalisten zurück. Da gemäss Strafgesetzbuch keine Auszüge aus dem Strafregister an Private abgegeben werden dürfen, stufte das Bundesgericht das Verhalten des Journalisten als Anstiftung zu einer Amtsgeheimnisverletzung ein. In der Folge kam es in der Presse zu einem eigentlichen Aufschrei. Vielen Medienschaffenden ging es viel zu weit, das bereits das Stellen einer Frage als Anstiftung zu einer Amtsgeheimnisverletzung betrachtet werden kann.

"Wesentliche Fakten vorenthalten"

An der Veranstaltung kreuzten nun Journalisten, Bundesrichter und Rechtsprofessoren die Klingen. Als erstes verteidigte Bundesrichter Martin Schubarth mit viel Herzblut das Urteil, an dem er als Präsident des Kassationshofes des Bundesgerichtes mitgewirkt hatte. Das Unverständnis in der Bevölkerung führte er darauf zurück, dass der Öffentlichkeit von den Medien wesentliche Fakten vorenthalten worden seien. Wichtig sei beispielsweise zu wissen, dass der Journalist gewusst habe, dass ihm der Staatsanwalt die verlangten Auskünfte nicht gegeben hätte, da dieser bereits entsprechende Angaben verweigert habe. Weiter hätte gesagt werden müssen, dass die Verwaltungsassistentin wegen dieser Auskunft ihre Stelle verloren habe. "Darüber hat die Presse auch nichts geschrieben", ereiferte sich Schubarth. Schliesslich fragte er, ob Journalisten "im Namen der Recherchierfreiheit über Leichen" gingen.


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Tagung
An der Veranstaltung kreuzten Journalisten, Bundesrichter und Rechtsprofessoren die Klingen. gross

"Schlimmer Entscheid"

Kritisiert wurde das Urteil aber nicht nur vom Medienanwalt Andreas Meili sondern auch von Rechtsprofessoren. Franz Riklin bezeichnete das Urteil als "schlimmen Entscheid" und Strafrechtsprofessor Marcel Niggli, angetreten in T-Shirt und Lederjacke, zerzauste in seinem packenden freien Referat das Urteil des Bundesgerichtes Punkt für Punkt. Während Schubarth in seinem Vortrag die Meinung äusserte, dass jeder Durchschnittsbürger wisse, dass das Strafregister in der Schweiz geheim sei, entgegnete ihm Niggli, dass immerhin die erste mit der Sache befasste Instanz diesen Geheimnischarakter verneint hätte. Niggli weiter: "Es ist nicht die Pflicht des Journalisten, darüber nachzudenken, ob der Beamte ein Geheimnis verletzt."

In der anschliessenden Erwiderung meinte Schubarth, dass ihn die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht interessiere, wenn der Gesetzgeber - wie dies im Zusammenhang mit dem Jagmetti-Fall(2) eindeutig der Fall gewesen sei - an einer bestimmten Strafnorm festhalte. Der Richter sei an eine solche Entscheidung des Gesetzgebers gebunden. Diese Meinung kommentierte der Anwalt des Blick-Journalisten, Matthias Schwaibold, nach der Veranstaltung mit folgenden Worten: "Wenn Herr Schubart die EMRK für unwichtig hält, dann ist dies unverständlich, ja falsch. Die EMRK ist geltendes Recht und muss jedenfalls bei der Anwendung des Strafgesetzbuches berücksichtigt werden."

Das Urteil schien derartig viele interessante rechtliche Aspekte zu enthalten, dass sich die Diskussion zunächst fast nur um das Urteil drehte und der ETH-Oberassistent und Gesprächsleiter Mathis Berger die Gesprächsrunde bitten musste, die generelle Fragestellung nicht aus den Augen zu verlieren.

Bundesrichter als Medienopfer

Bundesrichter Franz Nyffeler richtete nun sein Augenmerk auf die Medienopfer. Kein unbekanntes Phänomen für ihn. Er selber sei einmal angeschuldigt worden, für Richterkollegen zu hohe Entschädigungen ausbezahlt zu haben. Zwar sei er am Schluss zweimal freigesprochen worden, aber die Zeit bis zum Urteil sei schlimmer als eine wirkliche Strafe gewesen. Er habe an Schlafstörungen gelitten und habe gesellschaftliche Kontakte gemieden. Trotz dieser negativen Erfahrungen mit der Presse, unterstelle er dieser nicht a priori schlechte Gesinnung. "Aber", so Nyffeler, "es fehlt den Journalisten schlicht an Vorstellungsvermögen, wie sich ihre Arbeit auswirkt." Um solche Auswirkungen besser verarbeiten zu können, stelle Nyffeler die Gründung eines Vereins von Mediengeschädigten zur Diskussion.


Fussnoten:
(1) Der "Blick-Fall": BGE 127 IV 122.
(2) Der "Jagmetti-Fall": BGE 126 IV 236.



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