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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 04.03.2002 06:00

ETH-Professor Kurt R. Spillmann zum Schweizer Ja zur UNO
"Abschied vom Sonderfall"

Beim zweiten Anlauf nach 1986 hat's geklappt: Mit fast 55 Prozent Ja-Anteil votierten die Schweizer Stimmberechtigten am Sonntag überraschend deutlich für den Beitritt zur UNO. Allerdings: Das Ständemehr fiel mit 12 zu 11 denkbar knapp aus. Für Kurt R. Spillmann, ETH-Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung, tritt die Schweiz jetzt in eine neue Phase ihrer Aussenpolitik.

Interview: Norbert Staub

Herr Professor Spillmann, wie werten Sie persönlich das gestrige Ja des Schweizer Souveräns zum UNO-Beitritt?

Kurt R. Spillmann: Ich bin ausserordentlich froh über das Votum. Es bedeutet, dass eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer Abschied von der Sonderfall-Mentalität nehmen will. Und es zeigt, dass die Schweiz nunmehr bereit ist, ein Staat unter Staaten zu sein und sich aktiv in die Weltpolitik einzuschalten. Man hat begriffen, dass Sicherheit heute nur in Zusammenarbeit mit den Anderen zu erreichen ist.

Fast wäre die Initiative am fehlenden Ständemehr gescheitert. Betrachtet man die geografische Verteilung der Stimmenanteile, fällt der klare Ost-West-Gegensatz auf: im Osten ein geschlossenes Nein, im Westen flächendeckend Zustimmung. Ein Zeichen dafür, dass der ‚Röstigraben‘ realer denn je ist?

Spillmann: Ich glaube nein. Mehrere Deutschschweizer Kantone, etwa Zürich, Luzern und Solothurn, haben ja auch zugestimmt. Eher dürfte ein Stadt-Land-Gegensatz zum Tragen gekommen sein. Und für mich hat sich mit dieser Abstimmung erneut gezeigt, dass das Mobilisierungspotential der Rechtsparteien und der AUNS (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz) gegen eine Öffnung des Landes ihre Grenze erreicht hat - bereits bei der Abstimmung über die Bewaffnung von Schweizer Truppen im Ausland am 10. Juni 2001 zeichnete sich dies ab.

Ist davon auszugehen, dass die Schweizer Aussenpolitik ein stärkeres Gewicht bekommen wird?

Spillmann: Ich hoffe ja. Bisher war Aussenpolitik der Schweiz weitgehend Interessenvertretung von Wirtschaft, Kultur etc. und nicht volles politisches Mitwirken.


Verfechter eines modernen Sicherheitsdenkens

Kurt R. Spillmann ist ETH-Professor für Konfliktforschung und Sicherheitspolitik und Titularprofessor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich. Er leitet das CIS (Center for International Studies) in Zürich seit dessen Gründung im Jahr 1997. Zwischen 1987 und 1995 war er Vorsteher der Abteilung für Militärwissenschaften an der ETH.

Spillmann hat verschiedene Bücher und zahlreiche Aufsätze zur Amerikanischen Geschichte, Aussen- und Sicherheitspolitik, zur Schweizer Sicherheitspolitik und Konfliktforschung verfasst oder herausgegeben.

Kurt R. Spillmann ist als Experte Mitglied verschiedener nationaler Kommissionen, etwa der Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik um den ehemaligen Appenzeller Ständerat Otto Schoch. Aktuellste Publikation: Kurt R. Spillmann, Andreas Wenger, Christoph Breitenmoser, Marcel Gerber,Schweizer Sicherheitspolitik seit 1945. Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2001.




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kurt r. spillmann
"Der UNO-Beitritt bringt neuen Stil in der Schweizer Aussenpolitik" - Kurt R. Spillmann, Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse an der ETH. gross

Die Guten Dienste der Schweiz sind international aber je länger, desto weniger gefragt. Der UNO-Beitritt bedeutet auch ein Ende dieser Sparten-Politik. Es wird einen neuen Stil in der Schweizer Aussenpolitik geben.

Welches sind denn Vorteile dieser Veränderung für die Schweiz?

Spillmann: Wenn ich auf mein Fachgebiet fokussiere, heisst das: Sicherheit ist nicht bloss die Angelegenheit von Streitkräften. Sondern sie erfordert zwingend auch die Diplomatie. Für die Schweiz ist erst jetzt konstruktives Mitwirken auf beiden Ebenen möglich. Zudem: Unser Land zahlt ja bereits vier Fünftel des Betrags an UNO-Organisationen, den sie als Vollmitglied zahlen wird. – Viel Engagement ist also schon da, es kann sich künftig besser entfalten.

Hat der Entscheid eine Signalwirkung für das Verhältnis der Schweiz zur EU?

Spillmann: Ja, ich denke schon. Die AUNS hat die UNO-Vorlage als „Trojanisches Pferd“ der EU-Befürworter bezeichnet. Das hat bei einigen Skeptikern Widerhall gefunden. Der UNO-Beitritt wird diesen aber zeigen, dass die Neutralität, an welche sie sich noch klammern, auf internationaler Ebene schlicht keine Rolle mehr spielt. Die Angst, etwas zu verlieren, wird sich durch das Mitwirken in der UNO verlieren. Man wird aufgrund dieser Erfahrung auch in der Lage sein, die EU-Mitgliedschaft rationaler als vor dem EWR-Nein von 1992 zu evaluieren. Für mich ist klar: Die Schweiz bricht aus ihrer Isolation aus - nicht sofort, aber Zug um Zug.

Sie haben viele Kontakte zu ausländischen Sicherheitsexperten, Politikern und Militärs: Wie werden diese auf das Ja der Schweiz zur UNO reagieren?

Spillmann: „Endlich!“ – werden sie sagen. Aber nur die Fachleute. Der Entscheid wird keine hohen Wellen schlagen. Denn viele im Ausland sind überrascht, wenn sie hören, dass die Schweiz bis jetzt gar nicht UNO-Mitglied war.

Ist davon auszugehen, dass demnächst Schweizer Blauhelme in Krisengebiete entsandt werden?

Spillmann: Wir haben schon Schweizer Soldaten in Kosovo, die ab Herbst bewaffnet sein werden. Sicher werden jetzt vermehrt Anfragen der UNO kommen. Der Bundesrat hat aber klar gemacht, dass es kein Schweizer Militär-Engagement geben wird, wenn es dem Interesse des Landes nicht entspricht. Persönlich hoffe ich auf eine Zunahme von Schweizer Kontingenten in Krisengebieten der Welt: vergleichbare Länder wie Finnland oder Österreich sind viel präsenter. Auch damit normalisiert die Schweiz ihre Stellung gegenüber der Staatengemeinschaft.


Literaturhinweise:
Website der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse der ETH: www.fsk.ethz.ch



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