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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 29.04.2002 06:00

Harald Bugmann, ETH, zur Ost-West-Waldforschung im Ural
"Gigantisches Freiluftlabor"

Wie entwickeln sich Bäume, Böden und Kohlenstoffhaushalt, wenn sich das Klima verändert? In den seit Jahrhunderten intensiv bewirtschafteten Alpen ist diese Frage nicht einfach zu beantworten. Ein Team mit Forschenden aus Russland, Deutschland und der Schweiz geht darum in naturnahen Wäldern des Urals brennenden Fragen zur Klima- und Waldentwicklung nach.

Interview: Reinhard Lässig (1)

Herr Bugmann, seit kurzem arbeiten Sie in einem INTAS-Projekt(2) der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) mit, das sich mit Wäldern im Ural befasst. Was interessiert Sie an dieser Gebirgsregion?

Prof. Harald Bugmann: Die Forschungsgruppe Gebirgswaldökologie arbeitet vorwiegend an Problemen in Schweizer Gebirgswäldern und an Szenarien für deren zukünftige Entwicklung. Dies ist im Zusammenhang mit den globalen Klimaveränderungen sehr spannend, weil sich die ökologischen Verhältnisse und die Nutzung der Wälder im Alpenraum stark verändern. Damit wir diese Entwicklungen im internationalen Kontext richtig bewerten können, vergleichen wir unsere Arbeiten mit solchen aus anderen Gebirgsräumen. Die bewährten Kontakte der WSL zu russischen Forschenden ermöglichten mir den Einstieg in die Uralregion. Im Sommer 2001 nahm ich an einer Expedition in den Ural teil und lernte einen Teil des dendroökologischen Netzwerkes der WSL in Russland kennen.

Der Ural erstreckt sich von Kasachstan bis zum Polarmeer. Wo sind Sie tätig?

Bugmann: Für uns stehen vor allem weitgehend unberührte Wälder im Süd-, Nord- und Polar-Ural im Zentrum. Das Projektteam um Andreas Rigling (WSL), zu dem über 40 WissenschafterInnen aus der Schweiz, Deutschland und Russland gehören, will die Auswirkungen von klimatischen Veränderungen auf natürliche Prozesse in grossflächigen Waldregionen qualitativ und quantitativ beschreiben. Wir wollen zum Beispiel wissen, um wieviel Höhenmeter die Waldgrenze im Ural in den letzten hundert Jahren angestiegen ist, wie sich die Klimaerwärmung auf das Jahrringwachstum der Bäume, auf bodenphysikalische und –chemische Prozesse und auf den Wald als Kohlenstoffsenke auswirkt.

harald bugmann
ETH-Professor Harald Bugmann beim Entnehmen eines Jahrring-Bohrkernes an einer sibirischen Tanne im Süd-Ural. (Bolschoi Iremel, Bild: K. Huser)

Wie reagieren die Wälder im Ural und diejenigen in den Alpen auf steigende Temperaturen?

Bugmann: Die Verbreitungsgrenzen einzelner Pflanzen- und Tierarten steigen im Gebirge langsam an, die polaren Verbreitungsgrenzen verschieben sich nach Norden. Es gibt aber kaum vergleichbare Muster in beiden Regionen, weil sich die Temperaturen und die Niederschlagsverteilung unterschiedlich verändern. Wir erwarten, dass wir im Ural Veränderungen schneller erkennen können als in den Alpen.

Wenn sich die Waldgrenze verschiebt, wird es mehr Wald geben. Ist das nicht positiv?

Bugmann: Regional vielleicht schon. Doch bei globalen Klimaentwicklungen ist es wichtig, wie sich die Verbreitungsgrenzen weltweit verändern. Positiven Auswirkungen auf der einen Seite können negative auf der anderen gegenüberstehen. Wenn zum Beispiel in einem Bergtal die Waldgrenze ansteigt, wird es auch in tieferen Lagen wärmer. Wenn dort die Niederschlagsmenge gleich bleibt oder sogar abnimmt, könnten lockere Wälder entstehen, die den Menschen nicht ausreichend vor Naturgefahren schützen.

Was wollen Sie zum Thema der Kohlenstoffsenken im Ural herausfinden?

Bugmann: Es geht vor allem darum, wie viel Kohlenstoff (C) in Form von Biomasse und im Boden gespeichert wird. Vor allem bezüglich der unterirdischen C-Speicherung und ihrer zeitlichen Dynamik bestehen grosse Kenntnislücken.


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wald ural
Die Waldgrenze steigt im Ural seit über 100 Jahren kontinuierlich an. Wie lange wird es wohl dauern, bis die obersten Bergkuppen von Wald umgeben sind? (Nationalpark Taganai, Bild: R. Lässig/WSL)

Wir wollen aufgrund der Entwicklung der Jahrringbreiten von Bäumen im Waldgrenzbereich auf die unterirdische C-Entwicklung schliessen.

Wozu dienen Ihnen die Erkenntnisse aus urwaldartigen Beständen?

Bugmann: Europaweit gibt es immer mehr Forstleute und Waldbesitzer, die ihre Wälder natürlichen Prozessen entsprechend bewirtschaften. Sie pflanzen zum Beispiel immer weniger junge Bäume, statt dessen sollen sich die Wälder selber verjüngen. Um solche Prozesse besser verstehen zu können, brauchen wir Kenntnisse über die Entwicklungsdynamik in naturnahen Systemen. Nur so können wir Hypothesen über Veränderungen aufstellen. Es ist in den Alpen sehr schwierig, grossflächig und langfristig wirkende Veränderungen zu untersuchen, weil die Nutzungsintensität des Menschen die natürlichen Entwicklungen überlagert.

Welchen Nutzen erwarten die Forschenden hüben und drüben von dem INTAS-Projekt?

Bugmann: Gemeinsam wollen wir klimatische, biologische und bodenbildende Prozesse in ihrer Kombination besser verstehen lernen. Für die Forschenden von ETH und WSL sind die grossflächigen Wälder im Ural ein gigantisches Freiluftlabor, in dem wir Daten gewinnen und Methoden testen können. Unsere russischen KollegInnen aus Jekaterinburg und Krasnoyarsk kommen durch uns in neue Netzwerke und lernen zum Beispiel westliche Forschungsmethoden kennen. Ein solches Projekt bremst auch den "brain drain", also die Abwanderung von russischen WissenschafterInnen in lukrativere Jobs oder sogar ins Ausland.

Was kann der Westen gegen den "brain drain" unternehmen?

Bugmann: Wir müssen unbedingt vermeiden, dass Geldmittel in falschen Kanälen enden. Mit klar definierten Kooperationen zwischen Individuen und Forschungsinstituten, die zum Beispiel von INTAS oder dem Schweizerischen Nationalfonds finanziert werden, lässt sich etwas bewegen, wenn auch oft nur punktuell. In Osteuropa gibt es viele gute und motivierte WissenschafterInnen, die mit einem interessanten Forschungsthema und einer gesicherten Finanzierung bei der Stange bleiben würden. Aus meinen Kontakten zur WSL weiss ich, dass in den vergangenen 14 Jahren der Zusammenarbeit nur wenige russische Forschende abgesprungen oder gar ausgewandert sind. Für mich ist dieser "Bottom-up"-Prozess sehr vielversprechend.


Zur Person

"Ich bin an die ETH gekommen, weil ich meine Arbeit stärker regionalen waldbezogenen Problemen widmen wollte", sagt Harald Bugmann, seit 1999 Assistenzprofessor für Gebirgswaldökologie am Departement für Forstwissenschaften. Im Gegensatz zu seiner bisherigen, eher global ausgerichteten Wald- und Klimaforschung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und an der Universität von Colorado in Boulder befassen sich die meisten Arbeiten in der von ihm geleiteten Forschungsgruppe (www.fowi.ethz.ch/pgw/) mit Strukturen und Funktionen von Waldökosystemen in den Alpen. Als Leiter der "Mountain Research Initiative" (www.mri.unibe.ch), die ihren Sitz in Bern hat und von ETH und WSL mit finanziert wird, nutzt Bugmann die Möglichkeit, Forschungsergebnisse aus den Alpen mit globalen Trends zu vergleichen.




Fussnoten:
(1) Dr. Reinhard Lässig arbeitet als Forstwissenschafter und Wissenschaftsjournalist an der Eidg. Forschungsanstalt WSL in Birmensdorf.
(2) International Association for the promotion of co-operation with scientists from the New Independent States of the former Soviet Union (NIS).



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