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Rubrik: Tagesberichte |
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Doktorierenden-Vereinigung über den Zukunftsprozess ETH 2020 "Barrieren abbauen" |
Die Akademische Vereinigung des Mittelbaus an der ETH begrüsst die Impulse, die ETH-Präsident Hafen im Rahmen des Zukunftsprozesses ETH 2020 der Nachwuchsförderung geben will. Sie erwartet allerdings, dass auch ihre Anliegen und Bedenken einfliessen. Bei der AVETH ist der Meinungsbildung noch im Gang. Gegenüber "ETH Life" nimmt aber Co-Präsidentin Nadine Schüssler, Doktorandin am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme, schon einmal Stellung. Interview: Norbert Staub Frau Schüssler, ETH-Präsident Ernst Hafen will das Projekt einer ETH-Graduate School entschieden vorantreiben; mit einem internationalen Bewerbungsprozess und einem Ausbildungsprogramm, das Doktorierenden einen gemeinsamen Rahmen des Lernens und Forschens bietet. Wie stellt sich die AVETH zu diesem Projekt? Nadine Schüssler: Grundsätzlich begrüssen wir die Einführung von Graduate Schools an der ETH. Die Schaffung eines zentralen Bewerbungsverfahrens sowie die mögliche Finanzierung des ersten Jahres durch die ETH können zu einer gesteigerten Präsenz des ETH-Doktorats im internationalen Wettbewerb beitragen. Wir halten jedoch nichts von der geplanten Möglichkeit, ein Doktorat ohne einen betreuenden Professor im ersten Jahr zu beginnen, da dies zur Verlängerung des gesamten Doktorats oder zu Missbrauch der Anstellung des Doktoranden führt. Darüber hinaus muss die Finanzierung nach dem ersten Jahr sichergestellt sein. Wir unterstützen die Schaffung eines speziellen Bildungsangebots für Doktoranden im Rahmen der Graduate Schools. Jedoch warnen wir vor einer zu starken Verschulung des Doktorats. Die geforderte Weiterbildung sollte den bisherigen Rahmen nicht überschreiten. Ausserdem sollte es weiterhin möglich sein, einen Teil der Kreditpunkte auch durch herkömmliche Vorlesungen oder andere Aktivitäten zu erwerben, zum Beispiel durch Gremienarbeit. Die ETH-weite Angleichung der Doktorandenlöhne auf 70 Prozent und die dadurch implizierte Anhebung des Mindestlohns halten wir für sinnvoll. Eine höhere Bezahlung sollte jedoch weiterhin möglich sein. Denn bei der geplanten Lohnangleichung fehlt bisher ein Konzept zur Vergütung zusätzlicher, nicht mit der Doktorarbeit zusammenhängender Projektleistungen oder über das gewöhnliche Mass hinausgehender Lehrleistungen. Für bestehende Verträge sind wir strikt gegen eine Herabsetzung des Lohns solcher Doktoranden, die ihre Stelle bereits unter der Voraussetzung einer höheren Bezahlung angetreten haben.
Im Jahr 2020 soll es an der ETH 100 zusätzliche Professuren geben, vor allem Tenure-Track-Assistenzprofessuren. Ich nehme an, die AVETH dürfte sich über diese Perspektive freuen. Ja, darüber freuen wir uns natürlich, denn zusätzliche Tenure-Track-Assistenz-Professuren bedeuten aus unserer Sicht eine frühere Unabhängigkeit für die wissenschaftlichen Mitarbeiter bei gleichzeitig erhöhter Planungssicherheit. Allerdings sind diesbezüglich noch viele Fragen ungeklärt. Zum Beispiel: Wie sollen diese Professuren finanziert werden, insbesondere, wenn später aus den Tenure-Track-Professuren Vollprofessuren werden? Ein weiterer diskutierter Mosaikstein bei der Nachwuchförderung ist der Aufbau international ausgeschriebener „ETH Fellow Positions“ als nicht permanente, vierjährige Forschungsstellen für die eigenständige Entwicklung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Spitzenqualifikationen. – Ihr Kommentar dazu? Ursprünglich sollte es sich hier um Mitarbeiter deutlich unter 30 Jahren handeln. Das ist im hiesigen Umfeld unrealistisch und wurde bereits zurückgezogen. Auch das zweite Kriterium halten wir für nicht sinnvoll, da schon ein Vergleich innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin schwierig ist. Ganz zu schweigen von einem Vergleich zwischen verschiedenen Fachrichtungen. |
Darüber hinaus bezweifeln wir die Attraktivität solcher Stellen, wenn ein anschliessender Tenure-Track nicht möglich ist. Insbesondere herausragende Wissenschaftler werden eher Stellen an Hochschulen annehmen, an denen sie auch die Aussicht auf eine Tenure-Track-Anstellung haben. Eine Verweildauer von vier Jahren an der ETH ist zu lang, wenn die ETH nur eine Zwischenstation in der Art eines Postdocs sein soll. Sie ist aber zu kurz, um sich eine Gruppe aufzubauen und tiefer gehende wissenschaftliche Forschung zu betreiben. Am Ende können nur rund zwei Prozent der ETH-Studierenden mit einer Professur rechnen. Jenseits des Nur-Akademischen will Ernst Hafen deshalb bei Studierenden jene Fähigkeiten schulen, die es Ihnen erlauben, im Unternehmensumfeld Erfolg zu haben. Unterstützen Sie diese Haltung? Qualifikationen, die über das Akademische hinausgehen, sind für Studierende und Doktorierende gleichermassen wichtig und sollten gefördert werden. Bei den Studierenden kann dies nur geschehen, indem ihnen mehr Freiraum und Verantwortung zugestanden wird. In Frontalvorlesungen kann unternehmerisches Denken nicht vermittelt werden. Bei der Einführung alternativer Lehrmethoden müssen jedoch auch entsprechende Stellen auf der Seite der Lehrenden geschaffen werden. Diese werden in der Regel nicht von den Professoren betreut. Für Mittelbauer bedeuten sie aber eine erhebliche Mehrbelastung, die an anderer Stelle kompensiert werden muss. Welches sind im Vergleich zu heute die wichtigsten Aspekte, bei denen sich für die Assistierenden der ETH bis im Jahr 2020 etwas verändern sollte? Erstens: Bessere Führung. Professoren und Vorgesetzte müssen sich ihrer Verantwortung als Führungskräfte bewusst werden und entsprechend handeln. Dazu gehören regelmässiges Feedback und Mitarbeitergespräche, Förderung eines gesunden Arbeitsklimas und der Teamarbeit in der Gruppe sowie ein verantwortungsvoller Umgang mit Konflikten. Zweitens: Bessere Karriereplanung. Diese sollte frühzeitig und gemeinsam mit dem Vorgesetzten angegangen werden. Dabei muss insbesondere auch der nicht-akademische Karriereweg besprochen werden und die Frage, wie der Mitarbeiter dafür die nötigen Qualifikationen erwerben kann. Und drittens: Integration ausländischer Doktorierender. Diese machen bereits jetzt einen grossen Teil des Mittelbaus aus und in Zukunft wird ihr Anteil steigen. Sprachliche und kulturelle Barrieren sind nicht zu unterschätzen und sollten abgebaut werden. Nur so wird verhindert, dass gut ausgebildete Fachkräfte die Schweiz nach ihrem Doktorat wieder verlassen, weil sie hier keine neue Heimat finden konnten.
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Literaturhinweise:
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