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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 21.10.2004 06:00

Betrug von Forschenden aus juristischer Sicht
Justitia im Labor

„Wissenschaftsbetrug“ ist der Titel der Dissertation, die Marion Völger neben ihrer Tätigkeit beim ETH-Rechtsdienst und ihrem Nachdiplomstudium in Angewandter Ethik verfasste. Dabei kommt die Juristin zum Schluss, dass Wissenschaftsbetrug strafrechtlich relevant sein kann und es im Gesetz Verbesserungsmöglichkeiten gäbe. Doch sie ist entschieden der Meinung, dass die Selbstregulation der Regelfall bleiben muss.

Von Christoph Meier

„Es waren die praktischen Fälle in meinem Umfeld, die mich auf das Thema meiner Dissertation brachten“, erzählt Marion Völger. Die in der Zwischenzeit promovierte Juristin erfuhr nämlich nicht zuletzt augrund ihrer Arbeit beim ETH-Rechtsdienst immer wieder von Fällen, bei denen Wissenschaftler ein zumindest fragwürdiges Verhalten an den Tag legten. Dabei stellte sie sich natürlich die Frage, wann ein Fehlverhalten von Forschenden auch strafrechtlich relevant sei. Eine Antwort versucht sie mit der in der Zwischenzeit im Schulthess Verlag erschienen Doktorarbeit „Wissenschaftsbetrug. Strafrechtliche Aspekte – unter besonderer Berücksichtigung des Missbrauchs staatlicher Forschungsförderung„ zu geben (1).

Dazu geht Marion Völger in ihrer Dissertation folgendermassen vor: Als erstes definiert sie Wissenschaftsbetrug mit seinen verschiedenen Spielarten. Als nächstes legt sie die rechtlichen und systemischen Rahmenbedingungen der Hochschulforschung dar, wobei sie bei letzteren insbesondere auf die ethischen Aspekte des Wissenschaftssystems eingeht. Gestützt auf diese Erkenntnisse folgt im Hauptteil die Analyse der strafrechtlichen Verantwortung. Das Finale bildet ein Resümee zum vorhandenen Recht sowie mögliche Verbesserungen. Im Anhang werden auch noch einige Fälle von Wissenschaftsbetrug aufgeführt, darunter der Fall „Schön“ (2), der Bezüge zum Forschungsplatz Zürich aufweist.

Strafrecht: kein probates Mittel

Obwohl man Wissenschaftsbetrug als täuschendes Verhalten im Wissenschaftsbereich allgemein definieren kann, kommt Marion Völger zum Schluss, dass das Strafrecht nicht das probate Mittel ist, um den Missstand zu bekämpfen. Ein Grund dafür liegt darin, dass das Strafrecht andere Rechtsgüter schützt als diejenigen, welche vom Fehlverhalten der Wissenschaftler betroffen sind. Zudem findet solches Fehlverhalten häufig in einem Graubereich statt. So ist es beispielsweise nicht einfach, den Nachweis einer betrügerischen Absicht zu erbringen oder einen Vermögensschaden aufzuzeigen.

Wie schwierig es ist, wissenschaftliches Fehlverhalten als Tatbestand einer Rechtsnorm zuzuordnen kann man beim Thema „Publikationen“ erkennen. Werden falsche Daten veröffentlicht, kann das nach Artikel 146 des Strafgesetzes ein Betrug sein, wenn die Zeitschrift ein Honorar bezahlt, da hier ein Vermögensschaden vorliegt. Ansonsten greift der Paragraph nicht. Entsprechende Veröffentlichungen werden kaum als Urkundenfälschung gelten, da ein wissenschaftlicher Aufsatz im Gegensatz zu einem ärztlichen Zeugnis grundsätzlich keine Aussagen enthält, die rechtserhebliche Tatsachen beweisen.

Doch was ist mit den grossen Fälschungsskandalen wie dem Fall „Herrmann/Brach“, bei dem die Krebs-Forschenden viele Publikationen fälschten und Daten klauten? „Natürlich gibt es hier strafrechtlich relevante Tatbestände“, befindet Marion Völger. „Allerdings sanktioniert in solchen Fällen das Wissenschaftssystem vielfach so hart, indem es die Forscher ausschliesst, dass eine strafrechtliche Verfolgung teilweise keinen Sinn mehr macht.“ Bei den weniger klaren Fällen fehlt aber der Justiz in der Regel die Handhabe.


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Betrügen Forschende, sind die Sanktionsmittel von Justitia beschränkt. gross

Vertrauen, Sensibilisierung, Regeln

Um die Situation besser in den Griff zu kriegen, sollten gemäss der Juristin die Hochschulen intern Regeln aufstellen, wie sie die ETH mit der in diesem Jahr erlassenen Verfahrensordnung (3) kennt. Insofern seien die Betrügereien von Jan Hendrik Schön, der massiv Daten fälschte, ein „Glücksfall“ gewesen, auch wenn dies etwas zynisch anmuten möge, meint Völger. Da nämlich der ehemalige Betreuer von Schön an der ETH als Professor arbeitet, sei die Diskussion über Fehlverhalten von Forschenden auch hier zu einem Thema geworden. Doch auch auf der Ebene des Gesetzes erkennt Marion Völger Verbesserungspotenzial. So schlägt sie neue Gesetzesartikel vor, die einerseits dass Erschleichen und den Missbrauch von Forschungsbeiträgen erfassen, andererseits die Vergabe von Bundesgeldern an die Bedingung knüpfen, dass die Forschungsorgane gute wissenschaftliche Praxis garantieren sollen.

Vor allen regulatorischen Massnahmen kommt aber für Marion Völger etwas anderes: Die Sensibilisierung der Forschenden. „Bei den Gesprächen für meine Doktorarbeit berichteten mir Forschende immer wieder, dass sie in ihrer Ausbildung kaum mit den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis konfrontiert wurden“. Seien diese besser bekannt, würden sich auch mehr Personen beim Entdecken von Fehlverhalten melden, hofft die Juristin. Die angehenden Forschenden sollten bereits früh das Bewusstsein für das "Ethos der Wissenschaft" entwickeln können. Möglicherweise sei es aber auch so, dass zuerst ein Betrugsfall im Ausmass von „Herrmann/Brach“ die Schweiz erschüttern müsse, bis energisch genug vorgegangen wird, wie dies auch in Deutschland der Fall gewesen sei. Persönlich zieht Marion Völger ein etwas zwiespältige Fazit aus ihrer Arbeit: „Obwohl mein persönliches Vertrauen ins Wissenschaftssystem gesunken ist, bleibt das gegenseitige Vertrauen innerhalb der Scientific Community wie auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Forschung die Basis für den wissenschaftlichen Fortschritt.“


„Ethische Verantwortung in den Wissenschaften“

Diesen Donnerstag, den 21. Oktober, beginnt die Ringvorlesung „Ethische Verantwortung in den Wissenschaften“, eine gemeinsame Veranstaltung von ETH und Uni Zürich. Die Ethik-Kommission der Universität verfolgt mit dieser Ringvorlesung das Ziel, sowohl die ethische Diskussion unter den Forschenden und Lehrenden als auch die entsprechende Information und den Meinungsaustausch zwischen Universität und breiterer Öffentlichkeit zu fördern. Die Ringvorlesung ist als Diskussionsveranstaltung gedacht, bei der sich ein Fachwissenschafter und ein Ethiker die Behandlung eines «ethischen Problems» teilen und in der nachfolgenden Diskussion mit dem Publikum vertiefen.

Von der ETH nehmen als Referenten Marion Völger als ehemalige Mitarbeiterin vom Rechtsdienst, Gertrud Hirsch-Hadorn von den Umweltwissenschaften und Thomas Peter vom Institut für Atmosphäre und Klima an verschiedenen Veranstaltungen teil. (4)




Fussnoten:
(1) Völger Marion: Wissenschaftsbetrug. Strafrechtliche Aspekte - unter besonderer Berücksichtigung des Missbrauchs staatlicher Forschungsförderung. (Zürcher Studien zum Strafrecht 42). Zürich 2004. 306 S. brosch. CHF 64.00. ISBN/ISSN: 3725548129
(2) Vgl. "ETH Life"-Bericht "Falsche und fabrizierte Daten": www.ethlife.ethz.ch/articles/schoenexpertenbericht.html
(3) Vgl. „ETH Life“-Bericht „Integrität der Forschung wahren“:www.ethlife.ethz.ch/articles/fehlverhalten.html
(4) Ringvorlesung „Ethische Verantwortung in den Wissenschaften“: www.mediadesk.unizh.ch/2004/1407/KIV_HZ_WS0405.pdf



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