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Rubrik: Tagesberichte |
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Mobilkommunikation: Zwischen Wissenschaft und verzerrter Risikowahrnehmung „Wohlwollende Vernachlässigung“ |
Die Mobilkommunikation aus Sicht von Risikowahrnehmung, Medizin, Messtechnik und Ökologie war Thema zweier Workshops, die kürzlich in Zürich stattfanden. Die Forschungsstiftung Mobilkommunikation – hervorgegangen aus einer Kooperation zwischen Orange, Swisscom, Sunrise, 3G Mobile und der ETH Zürich – sowie der Klub für Wissenschaftsjournalismus luden zu den Tagungen ein. Von Michael Breu Medienschaffende sind Meinungsmacher. Ihre Produkte in den Tageszeitungen, Radio- und Fernsehsendungen prägen die Diskussion in der Gesellschaft; sie sind mitverantwortlich dafür, was wir als Risiko wahrnehmen. Auf diese überspitzte Formel bringt es der Zürcher Medienwissenschafter Michael Schanne an der Tagung des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus mit dem Titel: „Sind wir Panikmacher? Vom Umgang mit dem Risiko im Wissenschaftsjournalismus“ (1). Schanne spricht vom „Fall der wohlwollenden Vernachlässigung“, wenn er über Elektrosmog in der Medienberichterstattung referiert. Wo bleibt der Beweis? „Ich habe im Rahmen einer Studie zur Darstellung von gesundheitlichen Risiken des Mobilfunks in der journalistischen Berichterstattung immer wieder den Hinweis gefunden, dass tausende von wissenschaftlichen Studien nachgewiesen hätten, es gäbe keine gesundheitlichen Risiken und dass in der Schweiz sowieso alles viel sicherer sei als anderswo. Ich habe aber signifikante Hinweise auf den tatsächlichen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis vermisst.“ Den Mangel an solchen Beweisstücken will die Forschungsstiftung Mobilkommunikation (2) – sie wurde im Herbst 2002 von den Mobilfunkanbietern Orange, Swisscom, Sunrise und 3G Mobile sowie der ETH Zürich gegründet und ist seit Januar 2003 im Zürcher Handelsregister eingetragen – beheben und „innovative Forschungsprojekte auf dem Mobilfunksektor fördern“, wie deren Geschäftsführer Gregor Dürrenberger sagt. Gesucht: "Findige" Orientierung Dazu gehört auch eine Untersuchung über die Berichterstattung von Tageszeitungen und „Tagesschau“ von SF DRS, die Michael Schanne von der Arbeitsgruppe für Kommunikationsforschung zusammen mit dem Institut für Angewandte Medienwissenschaft der Zürcher Hochschule Winterthur durchführte. Untersucht wurden journalistische Produkte, die zwischen Januar 1995 und Dezember 2001 erschienen. „Vor 1999 fand keine relevant zu nennende Berichterstattung über die gesundheitlichen Risiken des Mobilfunks statt“, sagt Schanne. „Erst mit der Verabschiedung der 'Verordnung zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung' am 23. Dezember 1999 wurde in den Schweizer Medien vermehrt über gesundheitliche Risiken berichtet. Die Berichterstattung wurde also von der politischen Agenda bestimmt.“ Im Untersuchungszeitraum sendete die „Tagesschau“ 17 Beiträge, elf mit einer Dauer von über zwei Minuten. Und in den Tagesszeitungen erschienen an 439 Stichtagen 276 Artikel unter dem Stichwort „Elektrosmog“. Michael Schanne: „Journalistische Berichterstattung leistet bei der Darstellung der gesundheitlichen Risiken des Mobilfunks das, was sie leisten kann: Sie vermittelt eine mehr oder weniger grosse Zahl von Einzelinformationen, die korrekt wiedergegeben werden. Eine eingebettete, fundierte, über die Einzelheiten hinaus zusammenhängende und 'findige' Orientierung der Rezipienten gelingt nur bedingt.“
Oft nicht zufrieden sind die Forscher mit der Berichterstattung in den Medien. Vor allem kritisiert wird die Verknappung nach dem Motto: „ist schädlich“ oder „ist nicht schädlich“. Denn eindeutige Befunde liegen nicht vor. Das belegen die Studien von Heinz-Gregor Wieser, Leiter der Abteilung Epileptologie und EEG der Neurologischen Klinik am Zürcher Universitätsspital. „Mobiltelefone emittieren nichtionisierende Hochfrequenzstrahlung von entweder 900 MHz oder 1800 MHz. Zusätzlich zu dieser Trägerfrequenz existieren niederfrequent gepulste Signale von 217 und 8,34 Hertz sowie von 2 Hertz im Falle des so genannten DTX-Modus. Diese tiefen Frequenzkomponenten bewirken
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entsprechende niederfrequente magnetische Felder, welche durch die Batterieströme generiert werden.“ Wieser hat nun untersucht, ob diese Felder einen Einfluss auf Magnetite haben, wie sie etwa im menschlichen Hirngewebe vorkommen oder vom Bacterium magnetotacticum gebildet werden. „Die Resultate der beiden durchgeführten Studien sind insgesamt inkonsistent“, sagt Wieser. Im ersten Versuch hätten drei Experimente mit Bacterium magnetotacticum bei entsprechender Exposition eine höhere Zellmortalität gezeigt, im zweiten Versuch jedoch uneinheitliche Resultate. Fest steht einzig, dass „die magnetische Komponente von elektromagnetischen Feldern die magnetischen Moleküle im Gewebe beeinflussen kann“, sagt Wieser. Diese Kraftwirkung sei jedoch sehr klein und die biologische Bedeutung noch wenig erforscht. Erste Resultate – so der Jahresbericht der Forschungsstiftung Mobilkommunikation – liegen bei der „Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen Handy-Strahlung und Schlaf“ vor: die Hirnaktivität im Nicht-REM-Schlaf ist nach Exposition mit gepulster Strahlung deutlich höher. Doch auch hier besteht noch viel Forschungsbedarf, sagen die Wissenschafter. Hochpräzis in komplexem Umfeld Bedarf nach Forschung gibt’s auch im Bereich der Messtechnik. „Die Verhältnisse in Heim- und Büroumgebung sind häufig sehr komplex. Daher müssen Vereinfachungen gemacht werden, um wissenschaftlich klare Aussagen zu treffen“, erklärt Axel Weber von der Forschungsstiftung für Informationstechnologie und Gesellschaft (IT’IS), die an der ETH niedergelassen ist (3). Deshalb werde die hochpräzise Messung mit einer numerischen Simulation kombiniert mit dem Ziel, dass für eine definierte Umgebung ein typisches bzw. worst-case Szenario entstehe. Einfacher hat es Rolf Frischknecht, der die Ökobilanz des Mobilfunks untersucht. „Das Mobiltelefon ist aus Umweltsicht das wichtigste Element des Mobilfunknetzes. Die Herstellung des Gerätes und seiner Komponenten trägt den Hauptteil der Umweltbelastung“, sagt der studierte ETH-Bauingenieur und heutige Mitarbeiter des Beratungsunternehmens ESU-services. Seine Berechnungen zeigen, dass zehn Minuten mobil telefonieren etwa der Umweltbelastung entspricht, die ein Kilometer Autofahrt verursacht. Erstaunt - mit Erwartungen Wie gehen nun die Medienschaffenden mit dieser Fülle von Informationen um? Man ist erstaunt, wie anspruchsvoll, genau und repräsentativ die Messmethoden sind und wie viel Forschungsbedarf noch besteht, heisst es etwa am Workshop der Forschungsstiftung Mobilkommunikation. Medienschaffende erwarten von Forschern, dass sie in einer Sprache vermitteln, die auch der Nicht-Fachmann versteht.
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