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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 16.03.2001 06:00

Schulbesuch beim Kernspin-Tomographen im Rahmen der Brainweek
Blick ins Hirn

Während der "Woche des Gehirns" besichtigte eine Gymnasialklasse den Magnetresonanz-Tomographen des Instituts für Biomedizinische Technik von Uni und ETH. Die funktionale Magnetresonanz-Tomographie (fMRI, siehe Kasten) liefert Erkenntnisse über Hirnaktivitäten und machte es möglich, im Gehirn die Zentren fürs Verliebtsein, fürs richtige Zuhören oder für lustige Witze zu lokalisieren.

Von Jakob Lindenmeyer und Dora Fitzli

"Eine Maschine, wo man eine Person reinschieben kann; halt wie ein Backofen", so die Vorstellung des Schülers Andreas Meier (17) vor der fMRI-Besichtigung. Viel Konkretes erwarten die drei Schülerinnen und sechs Schüler der Klasse 5R des Mathematisch naturwissenschaftlichen Gymnasiums Oerlikon nicht - einfach dass es interessant werde. Ganz anders der 56-jährige Biologielehrer Andreas Brunnert, der die Besuchstage während der Brainweek nutzt, um seiner Gymnasialklasse mit Schwerpunkt Chemie/Biologie die Neurologie durch diesen direkten Einblick ins Gehirn näher zu bringen.

Zange
Das starke Magnetfeld zieht die Metallzange in die Röhre, sodass die Schülerin die Kette kaum noch halten kann. gross

Zu Beginn heisst es für die Schülerinnen und Schüler, Kreditkarten, Handys, und metallische Gegenstände in Schliessfächern abzulegen. Die starken Magnetfelder der Tomographen würden sämtliche auf Magnetstreifen und Chips gespeicherten Informationen löschen. Bei eingeschaltetem Magnetfeld lässt sich eine Metallzange kaum noch halten (siehe Bild oben), so stark zieht das Magnetfeld metallische Gegenstände in die Röhre. Nicht auszudenken, wie der Körper eines Patienten mit Metallsplitterverletzungen zerfetzt würde. Darum wird vor der MR-Untersuchung auch sorgfältig abgeklärt, ob sich keine Granatsplitter, Gewehrkugeln oder magnetische Zahnplomben im Körper des Patienten befinden. Ausschlussgrund ist auch ein Bauchdurchmesser von über 70 Zentimetern, um nicht zu riskieren, dass jemand in der Röhre stecken bleibt.

Europaweit stärkster Tomograph

Thomas Järmann und Conny Schmidt, zwei Doktorierende am Institut für Biomedizinische Technik der Universität und der ETH, führen die Klasse durch das im Umbau stehende Tomographiezentrum des Universitätsspitals. Hier sind mehrere Tomographen im Einsatz. Die einen werden für die Untersuchung von Patienten gebraucht, die anderen sind eher für die Forschung reserviert. Stolz weisen Schmidt und Järmann darauf hin, dass hier in zwei Monaten ein neuer Magnetresonanz-Tomograph mit dem europaweit stärksten Magnetfeld stehen wird.

Vor der eigentlichen Besichtigung des Tomographen erklären Järmann und Schmidt die fMRI-Technik (siehe Kasten). Die Grundzüge werden verständlich vermittelt, doch es wird auch bald klar, dass die Röhre doch nicht so einfach ist wie ein Fotoapparat.

Die MR-Tomographie wird seit 15 Jahren klinisch angewendet. Bis heute sind noch keine Langzeitschäden bekannt. Persönlich ist Järmann überzeugt, dass die MR-Strahlung für das Gewebe unschädlich ist: "Die eingestrahlten Energien sind zu gering." Allerdings ist er sich dem Wandel der Erkenntnis bewusst: "Vor 500 Jahren hätten sie jeden als Ketzer verbrannt, der behauptete, man werde je auf den Mond fliegen."

Schülerin in der Röhre

Für die Demonstration der Funktionsweise des Magnetresonanz-Tomographen erklärt sich die mutige Julia Studer (18) bereit, in die Röhre zu steigen (siehe Bild rechts). "Jetzt haben wir endlich den Beweis, dass Julia ein Hirn hat", kommentiert frech ein Mitschüler, nachdem seine Klassenkollegin in die MR-Röhre geschoben wurde und der erste Hirnschnitt auf dem Bildschirm erscheint. Julia liegt etwa 20 Minuten in der Röhre. Zuerst werden anatomische Bilder ihres Gehirns aufgenommen. Dann folgt der eigentliche Hirnaktivitätstest. Sie bekommt in kurzen und regelmässigen Abständen ein Schachbrettbild zu sehen, dazwischen ist es dunkel. Somit ist Julias Arbeit getan und die aufwändige Auswertung der riesigen Bilderflut kann beginnen.

Bilderflut überfordert

In 20 Minuten Untersuchungszeit werden mit dem MR-Tomographen über 10'000 Bilder aufgenommen. "Mit der statistischen Analyse sind die Rechner des Tomographen zur Zeit leistungsmässig noch überfordert", erklärt Järmann die Problematik. Darum hat er separat eine eindrückliche Rechnerflotte mit gigabytestarkem Arbeitsspeicher aufgebaut, um die Datenflut zu bewältigen. Die Klasse wartet gespannt. Dann erscheinen in Regionen im hinteren Grosshirn rote Punkte - dort liegt also Julias Seh-Zentrum.

Rückgriff auf Bewährtes


Die funktionale Magnetresonanz-Tomographie (fMRI)

fMRI (vom Englischen functional Magnetic Resonance Imaging) ist eine Aufnahmetechnik, die Hirnaktivitäten misst und lokalisiert, ohne invasiv ins Gehirn einzugreifen. Ein vier Tonnen schwerer Tomograph (siehe Bild rechts) erzeugt ein starkes Magnetfeld. Durch beobachten der lokalen Sauerstoffkonzentration im Blut kann der Energieverbrauch einer Hirnregion berechnet werden, was deren Aktivität entspricht. Dadurch können spezifisch die Hirnbereiche fürs Sehen, fürs Hören, fürs Sprechen oder eben auch fürs Verlieben untersucht werden.

In der medizinischen Praxis wird fMRI hauptsächlich in der Planung neurochirurgischer Eingriffe sowie bei deren Therapiekontrolle eingesetzt. Vereinzelt wird das Gerät auch zur Diagnose von Schlaganfällen oder bei Epilepsieerkrankungen angewendet. Im Vergleich zu anderen Methoden, mit der man die Hirnaktivität misst, bietet diese Art der Untersuchung viele Vorteile, beispielsweise eine gute räumliche Auflösung. Die Bedeutung von fMRI für die Medizin wächst kontinuierlich.

Vielen Medizinern ist die Darstellungsform von Röntgenbildern sehr vertraut. "Darum werden die meisten anatomischen Magnetresonanz-Bilder im selben Format und mit ähnlicher Schwarz-Weiss-Skala dargestellt, obwohl das Verfahren nichts mit der Röntgentechnik gemein hat", erklärt Järmann das Paradox der Ähnlichkeit zu Röntgenbildern.

fMRI-Aktivationsbilder hingegen werden farbig dargestellt, um mehr Informationen unterbringen zu können. Über ein anatomisches Schwarz-Weiss-Bild werden die aktivierten Areale mit einer "Heissfarben"-Skala von rot bis gelb eingefärbt. (Siehe Bilder oben rechts)

Weitere Informationen zu fMRI finden sich unter: [1]




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Kopf
Links: Anatomisches Magnetresonanz-Bild: Fotorealistischer Einblick ins Gehirn. Rechts: fMRI-Bild: Durch Zungenbewegungen aktivierte Hirnregion. Details durch Draufklicken. gross

Verblüffendes aus der fMRI-Forschung

Wiederholt sorgte die fMRI-Forschung in den letzten Jahren für Schlagzeilen in der Tagespresse. Durch raffinierte fMRI-Experimente können immer mehr Situationen aus dem Alltag mit spezifischen Hirnaktivitäten assoziiert werden. Dies führt teilweise zu verblüffenden Erkenntnissen. Der Aufbau der Experimente ist allerdings nicht immer so einfach wie nachträglich an drei Beispielen erläutert. "Das Gehirn lässt sich auch mit fMRI nicht einfach per Knopfdruck seine Geheimnisse entlocken", erklärt Järmann. "Vor allem wenn es sich um komplizierte Funktionen wie Sprache oder Gedächtnis handelt."

Bald Liebestest per fMRI?

"Schweizer Hirnforscher beweist: Liebe macht dumm", titelte das Boulevardblatt "Blick" vor einer Woche in vier Zentimeter grossen Lettern zuoberst auf der Frontseite. Den in der Tomographenröhre liegenden frischverliebten Probanden wurde ein Bild des Partners gezeigt. Mittels fMRI konnten darauf vier sogenannte "Liebesregionen" mit besonders starker Hirnaktivität lokalisiert werden. Erstaunlicherweise beobachtete man bei Kokain-Konsum in denselben Hirnregionen ebenfalls eine erhöhte Aktivität. Im Gegenzug gingen in den "Depressions-Regionen" des Hirns die Aktivitäten zurück, was den "Blick" zu folgender Schlussfolgerung veranlasste: "Liebe ist das beste Heilmittel gegen Depressionen".

Der Tages-Anzeiger berichtete vor drei Tagen über die Farbwahrnehmung und vor zwei Wochen von der Entdeckung des "lustigen Flecks" im Gehirn[2]. Den Versuchspersonen wurden Wortspiele und semantische Gags erzählt, wie beispielsweise: "What do engineers use for birth control? ...Their personalities." Dabei wurden mittels fMRI die aktivierten Hirnregionen untersucht. Damit sich die Probanden während den Messungen in der Röhre vor Lachen nicht zu stark schüttelten, durften die Witze nur mässig unterhaltsam sein. Dies hinderte einige "Scherzkekse" allerdings nicht daran, sich trotzdem "krumm" zu lachen und dabei tüchtig den "lustigen Fleck" im Vorderhirn zu aktivieren.

Sind Frauen fantasievoller?

Bereits Ende letzten Jahres befasste sich eine amerikanische fMRI-Forschungsgruppe mit einem Vorurteil vieler Frauen: Männer können schlecht zuhören. Den Probanden wurde ein Roman vorgelesen. Gleichzeitig wurde ihre Hirnaktivität mittels fMRI untersucht. Die Männer aktivieren beim Zuhören jeweils nur das Hör- und Sprechzentrum in der linken Hirnhälfte. Die Frauen hingegen aktivieren zusätzlich noch Regionen in der rechten Hirnhälfte, die für musikalische Darbietungen und das Verständnis räumlicher Bezüge verantwortlich sind. Womöglich entwickeln Frauen dadurch beim Zuhören mehr Fantasie als Männer, die sich eher auf das Wesentliche konzentrieren, spekulierte der Radiologe Joseph Lurito aufgrund der Studie. Nach dem Beweis der geschlechterspezifischen Verarbeitung beim Zuhören sollen Folgestudien nun Unterschiede bei der Rehabilitation von Hirntumoren oder Schlaganfällen untersuchen.

Julia
Die mutige Julia (liegend) wird von Conny Schmidt und Thomas Järmann in die Röhre geschoben. gross

Auswertung
Thomas Järmann an der Auswertung der Bilderflut aus Julias Hirn gross


fMRI-Forscher Thomas Järmann

Thomas Järmann (33) ist Doktorand am Institut für Biomedizinische Technik, einem gemeinsamen Institut von Uni und ETH Zürich. Dort arbeitet er mit Medizinern, Biochemikerinnen, Psychologinnen, Ingenieuren, Physikern und Informatikerinnen zusammen. In seiner Dissertation strebt er eine noch höhere Auflösung der fMRI-Technik an, mit dem Fernziel, definierten Nervensignalen im Gehirn folgen zu können.

Thomas Järmann kam nicht auf dem gewohnten Weg an die ETH. Er machte keine Matura, sondern absolvierte eine Lehre als Elektroniker. Darauf folgte die Ausbildung zum Elektroingenieur HTL und nach Jobs in der Industrie schliesslich noch das Physikstudium an der ETH. Er nimmt sich gerne Zeit, Schulklassen das fMRI zu erklären und ist überzeugt, dass kein Forschungsgebiet zu kompliziert sei, um es Laien verständlich zu machen.



fMRI-Forscher Järmann will mit seiner Öffentlichkeitsarbeit Vorurteilen und Ängsten in der Bevölkerung entgegenwirken: "Forschung wird nicht nur im stillen Kämmerlein betrieben",

...sondern mit einer grossen Röhre :-)

MR1
Die 2,5 Millionen Franken teure Röhre: Der Magnetresonanz-Tomograph von Uni und ETH. gross


Brainweek - Die Woche des Gehirns

Ziel der "Internationalen Woche des Gehirns" ist, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was aktuell rund ums Gehirn läuft. Dabei soll der Dialog zwischen der Forschung und dem Volk gefördert werden. Heute Abend finden um 18:30 im Raum HG E 7 Vorträge zum Thema "Schlafanfall" statt. Morgen Samstagnachmittag schliesslich beginnt ab 14:00 im Auditorium Maximum das Abschluss-Forum der Brainweek. Unter Leitung von ETH-Professor Wolfgang Langhans diskutieren Experten mit dem Publikum zum Thema "Nahrung fürs Gehirn". Dabei soll unter anderem geklärt werden, was das Gehirn an Nährstoffen braucht und ob wir uns gesundessen können. Begleitend wird in Tests demonstriert, wie die Nahrung die Wahrnehmung beeinflusst.

Detailprogramm



Literaturhinweise:
(1): Kapitel "Abbildung von Wahrnehmung und Denken" im Buch "Mit dem Auge Denken", Voldemeer Verlag, 2001: HTML oder PDF
(2): Goel, V. and Dolar, R.J.: The functional anatomy of humour. Nature Neuroscience, vol. 4, no. 3, March 2001, pp 237-238.



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