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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 18.11.2003 06:00

Jahrbuch des Collegium Helveticum
Prinzip der Fülle

„Fakt&Fiktion7.0“ heisst das neue Jahrbuch des Collegium Helveticum, das letzten Mittwoch im Kuppelraum des ETH-Hauptgebäudes mit einer multimedialen Premiere präsentiert wurde. Das gut 400seitige Werk enthält Beiträge von 84 Autoren und Autorinnen. Das enorm aufwendig gestaltete Werk versteht sich als Experiment.

Von Christoph Meier

Fakt&Fiktion7.0 – der Titel ist prägnant, und 7.0 erinnert den Lesenden einerseits an siebenstufige Schöpfungsmythen aber auch an die heute stark vom Computer geprägte Zeit. Anregungen gibt es im Buch mit diesem Titel noch viele. Einige davon resultieren sicher aus der Gestaltung. Fällt sie dem einen auf durch ihre fantastische Fülle positiv auf, findet sie ein anderer überdesignt. Sehr sorgfältig gemacht, wird der Lesende sicher eine gewisse Zeit benötigen, um den Bezug der Bilder zu den einzelnen Texten auszuloten. Es ist insofern vielleicht auch nicht richtig bei diesem Buch einfach von Lesenden zu sprechen sondern man ist mindestens so stark ein Schauender. Einen Teilnehmer an der Gesprächsrunde an der Premiere veranlasste die Buchgestaltung sogar dazu, von einem „Unbuch“ zu sprechen.

Weit gespannter Bogen

Doch was ist „Fakt&Fiktion7.0“ sonst noch? Nüchtern betrachtet sind es 105 Beiträge von 84 Autoren und Autorinnen. Ausgehend vom Forschungsprojekt „Narrativität der Wissenschaften“ des Collegium Helveticum setzten sich Wissenschaftler, Kunst-, Design- und Literaturschaffende mit dem Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität auseinander. Das geschieht anhand von Beiträgen mit Titeln wie „Über Titel“, „Matter of Life“ oder „Glück im Tank“, die der Herausgeber Matthias Michel in sieben thematisch definierte Kapitel einteilte, die mit Raum&Zeit beginnen und mit Zeit&Raum enden.

Dabei wird nicht weniger unternommen als der gross angelegte Versuch, eine ganze Welt oder vielmehr: Welten in ein Buch zu packen, eine “Ordnung der Dinge" aus verschiedensten Erzähl-Perspektiven zu begründen. Die Texte fokussieren auf die (unterschätzte) Bedeutung, die Erzähltechniken in den je dargestellten Zusammenhängen zukomme, auch und gerade in der Wissenschaft. Der Bogen der gezeigten Beispiele reicht von der Klimadebatte, den Theorien über die Entstehung des Lebens, der Debatte ums Waldsterben bis hin zu Exkursen über Titel und Kulinarisches.

Das experimentelle Jahrbuch des Collegium Helveticum: Fakt&Fiktion7.0. gross


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Die Premiere des Buches "Fakt&Fiktion7.0" erfolgte anhand einer Talkrunde und einer multimedialen Präsentation. gross

Neue Drucktechnik

Der Druck erfolgte mit einem Staccatoraster, einer Technik, die zu stabilen und reinen Farben sowie ruhigen Farbverläufen führt und störende Rasterstrukturen verhindert. Graphisch spannt ein aufgeteiltes 360°-Landschaftspanorama des Zürcher Mediengestalter Richard Feurer, der auch für die Gesamtgestaltung des Buches verantwortlich zeichnet, einen Bogen durch „Fakt&Fiktion7.0“. Dazwischen gibt es aber auch viele Seiten, wo beispielsweise eine Schlagzeile des „Blicks“ zu sehen ist, das Manuskript von Schuberts unvollendeter Sinfonie, oder Bildern aus Bergwerken. Auch hier wiederum ein sehr breites Spektrum.

Kaum Einblicke ins Buch

Was beabsichtigt und bewirkt aber ein solches Buch? Ansätze von Antworten auf diese Fragen erhoffte man sich von der Präsentation des Sammelbandes. Obwohl in der Kuppel des ETH-Hauptgebäudes auf einer Leinwand Feurers Panorama als Film erlebt werden konnte, gab die Veranstaltung kaum Aufschluss über das Buch. Gerne hätte man von der Talkrunde aber erfahren, ob beispielsweise dieses Buch eine neue Form ist, wie sich die Wissenschaft präsentieren soll oder kann. Stattdessen widmeten die Gesprächsteilnehmenden einen beträchtliche Teil ihrer Zeit einem relativ unergiebigen Disput darüber, ob Naturwissenschaftler gerne oder nur unter Zwang ihre Arbeiten der Öffentlichkeit verständlich machen. Dass für Forschungsgesuche alle Wissenschaftler gleich welcher Richtung auf „Geschichtenerzählen“ angewiesen sind, war auch nur ein dürftiger Ansatz zur Bedeutung der Narrativität insbesondere in den Naturwissenschaften.

Anspruchsvolle Fundgrube

Somit blieb nach diesem Abend unklar, ob mit „Fakt&Fikton7.0“, welches gleichzeitig das erste Buch in der Edition Collegium Helveticum darstellt, ein neues Kapitel aufgeschlagen, oder einfach ein Projekt und Jahr abgeschlossen wurde. Falls das erste der Fall sein sollte, kommen aber doch leise Zweifel auf, ob das Collegium seinem Auftrag, den Dialog der Wissenschaften mit der Öffentlichkeit zu führen, mit Büchern von solcher Komplexität gerecht wird. So ist es fraglich, ob beispielsweise ein ETH-Studierender ein Werk liest, das mit den Wörterbucheinträgen zu „fictio“ und „factum“ und dem Satz „Vorworte und Vorbemerkungen tendieren zum perspektivischen Spagat zwischen Rück- und Vorausblick, zwischen Konklusion- und Promotionsrhetorik“ beginnt. Wer sich aber von einem solchen Duktus angesprochen fühlt, für den stellt „Fakt&Fikton7.0“ wahrscheinlich eine Fundgrube dar.


Literaturhinweise:
Fakt&Fiktion7.0 Wissenschaft und Welterzählung: Die narrative Ordnung der Dinge Herausgegeben von Matthias Michel Gestaltet von Richard Feurer Edition Collegium Helveticum 1 / Chronos Preis: 58 SFr.



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