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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 06.04.2004 06:00

Wertewandel 2024: Technikfeind oder -freund?
Mehr Werbung braucht es auf jeden Fall

Vier mögliche Szenarien eines Wertewandels im Jahr 2024 stellt die Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung (1) in einer aktuellen Studie vor. Für ETH-Wissenschafter interessant: Ein aufgeschlossener, offener Umgang mit Technik ist genauso wahrscheinlich wie Misstrauen und Ablehnung. Nun werden ein intensiver Dialog über mögliche Technikfolgen und mehr Engagement für die Technikförderung gewünscht.

Von Michael Breu

„Werte drücken aus, was den Menschen wichtiger ist als anderes. Werte geben Halt und Orientierung und bestimmen in der Regel das Verhalten“, findet Georges T. Roos, studierter Philosoph und selbständiger Zukunftsforscher aus Luzern (2). „Daher ist die Frage nach dem künftigen Wertewandel ein zentraler Aspekt der Zukunftsgestaltung: Wie wird sich das Wertegefüge der Schweizerinnen und Schweizer in Zukunft entwickeln?“ Das hat sich auch die Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung, swissfuture, gefragt und eine entsprechende Untersuchung in Auftrag gegeben. Ende März wurde die Studie „Wertewandel in der Schweiz 2004-2014-2024“ an einer Tagung im SwissRe Centre for Global Dialogue in Rüschlikon vorgestellt. Grundlage der vier skizzierten Szenarien bildet der während dreissig Jahren ermittelte Datensatz „Psychologisches Klima der Schweiz“ des Marktforschungsinstituts Demoscope (3). „Den vier Szenarien liegen unterschiedliche soziodemografische, ökonomische, politische und räumliche Annahmen zu Grunde“, sagt Georges Roos. Zwei Szenarien (EgoMania und Balancing) gingen von einer günstigen Wohlstandsentwicklung aus, zwei von einer ungünstigen (Clash und Mind Control). „Aus der Analyse des Wertewandels der letzten dreissig Jahre wissen wir, dass ökonomische Kennzahlen zu den zentralen Variabeln des Wertewandels gehören.“

Offen, spielerisch und sorglos

- Das Szenario „EgoMania“ ist mit Partikularisierung und Individualisierung des Lebensstils charakterisiert. Materialismus und die persönliche Lust- und Gewinnmaximierung stünden an erster Stelle. Die Politik werde geprägt vom Abbau von Sozialleistungen und von Liberalisierung, der Konsum vom Wettlauf nach Neuem und Anderem. Gegenüber Technik und Medizin wird von einem offenen, spielerischen und sorglosen Umgang ausgegangen. Gemäss swissfuture tritt das Szenario 2024 mit einer Wahrscheinlichkeit von 35 Prozent ein, eine Light-Version von „EgoMania“ könnte in zehn Jahren bereits mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent beobachtet werden.

Technikfeind oder -freund? Zwei Szenarien geben den Wissenschaften im Jahr 2024 gute Chancen. gross

- „Clash“ charakterisiert eine konfliktgeladene Ellbogen-Gesellschaft, die von Misstrauen und Angst geprägt ist. Basic Needs stünden im Clinch mit Luxus und postmateriellen Bedürfnissen. Dies führe schlussendlich zu einer Polarisierung in zwei Blöcke. Im Bereich Technik und Medizin werden diese sichtbar: „Fatalismus gegenüber Gesundheit bei den Jungen, ständige Sorge bei den Alten“, heisst es im Bericht. Den Wissenschaften werde Misstrauen entgegengebracht, welches in einem wirtschaftsfeindlichen Klima endet. Die Light-Version des Szenarios könnte 2014 mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent eintreten. Dem Szenario wird 2024 eine Chance von 35 Prozent eingeräumt.


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Frauen sind in Technikberufen unterrepräsentiert: Zukunftsforscher hoffen auf mehr Studentinnen. Bilder: Susi Lindig gross

- Das Szenario „Balancing“ ist optimistisch. Die Schweizerinnen und Schweizer orientierten sich an umfassender Lebensqualität, seien bereit für grosse Leistungen und arbeiteten an der Selbstentfaltung. Kultur werde zum „Breitensport“, die Wirtschaft prosperiere dank Unternehmergeist. Gegenüber Technik und Medizin sei die Bevölkerung aufgeschlossen, risikobewusst und autonomieorientiert. Das Szenario könnte 2024 mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent eintreten; einer Light-Version im Jahr 2014 wird keine Chance eingeräumt.

- „Mind Control“ beschreibt eine Gesellschaft, die von Zwangssolidarität und Moralismus geprägt ist. Gegenüber Kriminalität – und auch gegenüber Ausländern – herrsche „Zero-Tolerance“. Konsum gelte als verpönt und dekadent. Gegenüber Technik und Medizin sei man innovationsfeindlich eingestellt und wolle starre Regeln durchsetzen. Das Szenario könnte 2024 mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 Prozent eintreten; 2014 hat das Szenario keine Chance.

„Wir müssen grosse Anstrengungen unternehmen“

„Entweder wir wenden uns von der Technik ab, oder wir rezipieren sie als sehr positiv“, fasst Andrea Leu, von den Engineers Shape our Future, die Resultate einer Paneldiskussion aus Sicht der Ingenieurwissenschaften zusammen. Die Frage sei, wie sich der Trend beeinflussen lasse? „Wir müssen grosse Anstrengungen unternehmen, die Technik wieder ins richtige Licht zu rücken“, findet Andreas Steiner, ETH-Maschineningenieur, Konzernleitungsvorsitzender der Belimo Holding AG und Präsident der Forschungskommission von Economiesuisse. Er beobachte eine starke Skepsis – obschon der Begriff „Technologie“ positiv belegt sei.

Neues Betätigungsfeld: Gentechnologie

„Viele Leute haben zu neuen Entwicklungen eine positive Einstellung, sofern sie einen Nutzen erwarten können“, sagt Sergio Bellucci, Leiter des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung und studierter ETH-Agronom. Ein gutes Beispiel dafür sei die Gentechnik: Medikamente aus gentechnologisch veränderten Organismen werden positiv beurteilt, die Grüne Gentechnologie negativ. Dieser Beobachtung schliesst sich auch Michael Siegrist an. Der Psychologiedozent von Universität und ETH Zürich findet: „Es gibt keine generelle Technikfeindlichkeit in unserer Gesellschaft. Aber es gibt Technologien, die polarisieren.“ Und provokativ fügt er an: „NGOs wie Greenpeace brauchen ein Betätigungsfeld. Nach der Atom- suchen sie dieses nun in der Gentechnologie.“

Einig sind sich die Experten, dass über die positiven Aspekte der Ingenieurwissenschaften vermehrt berichtet werden sollte. Auch müsse für das Studienfach geworben werden – vor allem Frauen seien in diesem Bereich unterrepräsentiert.


Literaturhinweise:
Die letztjährige Tagung der swissfuture befasste sich mit dem Thema „Risikogesellschaft wohin?“. In ETH Life vom 2. April 2003 erschien dazu der Beitrag „Mehr Wohlstand, weniger Risiko“: www.ethlife.ethz.ch/articles/riskmeet.html

Fussnoten:
(1) Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung: http://www.swissfuture.ch. Die aktuelle Studie ist für 100 Franken erhältlich und kann auf der Website bestellt werden.
(2) ROOS Büro für kulturelle Innovation, Trend-Analysen und Zukunftsgestaltung: www.kultinno.ch/
(3) Demoscope: http://www.demoscope.ch



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