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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 15.06.2001 06:00

Ständerat konnte das Gentechnikgesetz nicht verabschieden
Zankapfel Haftpflicht

Der Ständerat lehnte gestern ein Moratorium bis ins Jahr 2008 für den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ab. Dennoch werden die Schweizer Bauern in den nächsten Jahren wohl keinen gentechnisch veränderten Weizen oder Mais anbauen, da die am Mittwoch gutgeheissene Bewilligungspflicht faktisch einem Moratorium gleichkommt. Im Falle der Haftpflichtregelung wurde kein Entscheid gefällt und das Geschäft an die vorbereitende Kommission zurückgewiesen. Die Rechtsetzung wird um weitere Monate verzögert.

Von Dora Fitzli

Zu Beginn der Gen-Lex-Debatte im Ständerat präsentierte Pierre-Alain Gentil (SP, JU) den Entwurf eines einheitlichen Gentechnikgesetzes (GTG), den die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-S) in den letzten eineinhalb Jahren und 18 Sitzungen ausgearbeitet hatte (ETH Life berichtete (1)). In der Eingangsdebatte lobten alle Referentinnen und Referenten die grosse Arbeit der Kommission, sei die Materie doch äussert komplex. Deshalb sei ein spezielles Gesetz der Thematik auch angemessen und so beschloss die kleine Kammer ohne Gegenantrag auf den GTG-Entwurf der vorbereitenden Kommission einzutreten.

Ausnahmeregelungen für die Forschung

In der Detailberatung waren die Kriterien, welche für eine Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) erfüllt sein müssen, das erste Thema, das Anlass zu Diskussionen gab. Diese Kriterien bilden die gesetzliche Grundlage für ein strenges Bewilligungsverfahren, wobei für kontrollierte Freisetzungsversuche zu Forschungszwecken Ausnahmeregelungen gelten. So können theoretisch auch in Zukunft Pflanzen mit Antibiotikarestistenzmarkergenen im Freisetzungsversuch getestet und untersucht werden.


Art. 6 Schutz von Mensch, Umwelt und biologischer Vielfalt
Abs. 2

Gentechnisch veränderte Organismen dürfen nur im Versuch freigesetzt werden oder, wenn sie bestimmungsgemäss in der Umwelt verwendet werden sollen, nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie aufgrund des Standes der Wissenschaft:

a. die Population geschützter oder für das betroffene Ökosystem wichtiger Organismen nicht beeinträchtigen;

b. nicht zum unbeabsichtigten Aussterben einer Art von Organismen führen;

c. den Stoffhaushalt der Umwelt nicht schwerwiegend oder dauerhaft beeinträchtigen;

d. keine wichtigen Funktionen des betroffenen Ökosystems, insbesondere die Fruchtbarkeit des Bodens, schwerwiegend oder dauerhaft beeinträchtigen;

e. nicht zur dauerhaften Verbreitung unerwünschter Eigenschaften in anderen Organismen führen; und wenn

f. sie keine gentechnisch eingebrachten Resistenzgene gegen Antibiotika enthalten; und wenn

g. nicht in anderer Weise die Grundsätze von Absatz 1 verletzt werden.

Abs. 3

Soweit Eigenschaften nach Absatz 2 von gentechnisch veränderten Organismen zu Forschungszwecken untersucht werden sollen, können Freisetzungsversuche bewilligt werden.



Ein Minderheitsantrag, der vorsah, dass Bewilligungen verweigert werden können, wenn überwiegende öffentliche Interessen entgegen stehen, wurde abgelehnt. Man wollte nach all den sorgfältig ausformulierten Kriterien keine allgemeine Klausel eröffnen, in der wiederum alles einbezogen werden kann, ohne konkret zu werden.

UVEK wird nicht alleinige GVO-Rekursinstanz

Bei der Kennzeichnungspflicht von in Verkehr gebrachten gentechnisch veränderten Organismen oder von Produkten mit GVO-Anteilen forderte eine Minderheit der vorbereitenden Kommission die Festlegung des Schwellenwertes auf höchstens 1% für GVO-freie Produkte. Dieser Antrag wurde mit 19 zu 17 Stimmen knapp zu Gunsten des Vorschlages der Mehrheit abgelehnt, die dem Bundesrat die Kompetenz erteilt, die Schwellenwerte festzusetzen. Nach den jetzigen Regelungen liegen die Schwellenwerte bei maximal 1% GVO-Anteil für Lebensmittel und 3% für Futtermittel.

Im Gegensatz dazu konnte sich der Minderheitsantrag durchsetzen, der sich gegen eine einheitliche Rekurskommission beim Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) aussprach und stattdessen forderte, dass bei den jeweils zuständigen Rekurskommissionen (Heilmittel, Veterinärwesen, Landwirtschaft, Lebensmittel usw.) Beschwerde eingerecht werden soll (18:15).

Lückenlose Gefährdungshaftung

Insgesamt verlief die Gen-Lex-Debatte am Mittwoch sehr diszipliniert und effizient. Auch bei der gestrigen Fortsetzung sah es zu Beginn stark danach aus, als könnte der Ständerat über das Gentechnikgesetz abstimmen und es an den Nationalrat übergeben, vor allem nachdem der Mehrheitsantrag des umstrittenen und sehr strengen Haftpflichtartikels angenommen worden war. Artikel 27 sieht eine lückenlose Gefährdungshaftung vor, nach der ausschliesslich die Herstellerin im Sinne der Produktehaftpflicht für allfällige Schaden aufzukommen hätte.


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StŠnderatssaal
Der Ständerat fand keine Lösung für die Haftpflichtregelung. gross


Art. 27 Haftpflicht, Grundsätze
Abs. 1

Beim Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen haftet ein Inhaber eines Betriebes oder einer Anlage, wenn wegen einer besonderen Gefahr, die mit diesen Organismen verbunden ist, ein Schaden entsteht.

Abs. 2

In der Regel gelten als mit einer besonderen Gefahr verbunden namentlich Betriebe und Anlagen, für welche der Bundesrat für den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen eine Bewilligungspflicht einführt oder andere besondere Vorschriften erlässt (Art. 8-10, 16).

Abs. 3

Wird ein Schaden durch in Verkehr gebrachte gentechnisch veränderte Organismen verursacht, die als land- oder forstwirtschaftliche Hilfsstoffe verwendet wurden, so gilt Folgendes:

a. es haftet nur die Herstellerin im Sinne von Artikel 2 des Produktehaftpflichtgesetzes vom 18. Juni 1993, welche diese Organismen als Erste in Verkehr gebracht hat;

b. sind solche Organismen eingeführt worden, so haften die Herstellerin, welche sie im Ausland als Erste in Verkehr gebracht hat, und der Importeur solidarisch;

c. der Inhaber eines Betriebes oder einer Anlage, der solche Organismen für eigene Zwecke einführt, haftet solidarisch mit der Herstellerin; und

d. vorbehalten bleibt der Rückgriff auf Personen, die solche Organismen unsachgemäss behandelt oder sonstwie zur Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens beigetragen haben.

Abs. 4

Von der Haftpflicht wird befreit, wer beweist, dass der Schaden durch höhere Gewalt oder durch grobes Verschulden des Geschädigten oder eines Dritten verursacht worden ist.



Doch dann brachte die Bernerin FDP-Ständerätin Christine Beerli ihren Einzelantrag Art. 27bis in die Debatte ein: "Wer mit einem rechtmässig in Verkehr gebrachten Lebensmittel oder Heilmittel, das nicht als land- oder forstwirtschaftlicher Hilfsstoff verwendet wird, bestimmungsgemäss umgeht, haftet nicht nach Artikel 27." Beerli argumentierte, Hersteller von GVO-Medikamenten könnten nach Artikel 27 für Nebenwirkungen haftbar gemacht werden. Das könne aber nicht angehen, da bei herkömmlichen Medikamenten Nebenwirkungen sehr wohl in Kauf genommen würden.

Haftpflichtfrage verzögert Rechtsetzung

Darauf entbrannte im Ständerat eine heftige Diskussion, weil einige Mitglieder des Ständerates somit den gerade beschlossenen Haftpflichtartikel ausser Kraft gesetzt sahen. In den einzelnen Meinungsäusserungen wurde aber auch klar, dass verschiedene im Gesetzesentwurf verwendete Begriffe noch klärungsbedürftig sind. Zum Beispiel, was die "spezielle Gefahr" konkret ist, die mit GVO-Organismen verbunden ist. Die Begriffsdehnung und Begriffsverwirrung ging dann so weit, dass es Franz Wicki (CVP, LU) zu bunt wurde und er den Antrag stellte, das ganze Kapitel Haftpflicht an die Kommission zurückzuweisen. Der Ordnungsantrag wurde mit 24 zu 16 Stimmen angenommen. Dies erscheint einerseits positiv, da die Diskussion offensichtliche Mängel und Unklarheiten in der Haftpflichtregelung aufdeckte, andererseits wird dadurch die Gesetzgebung der Gentechnik im Ausserhumanbereich nochmals um weitere Monate verzögert.

Kein Moratorium

Letzter Streitpunkt war der Antrag von Peter Bieri (CVP, ZG) für ein Moratorium bis zum Ende 2008 für den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Organismen in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft oder im Gartenbau. Ein zweiter Absatz sah vor, dass die Bundesversammlung die Moratoriumsfrist verkürzen oder um höchstens fünf Jahre verlängern kann. Bieri betonte ausdrücklich, dass er kein Moratorium für die Forschung wolle und dass Freisetzungsversuche wichtig seien, um die vielen ungelösten Risikofragen zu klären.

Dieser Argumentation folgte aber die Mehrheit des Rates nicht. Gian-Reto Plattner (SP, BS), der lange ein Verfechter eines Moratoriums war, sprach sich gegen den Antrag Bieris aus, da die strengen Kriterien für die Freisetzung von GVO-Organismen (Art. 6; siehe Kasten) einem faktischen Moratorium gleich kämen. Christine Beerli (FDP, BE) ging noch einen Schritt weiter und bezeichnete das Moratorium als "reine Signalsache, eine Augenwischerei." - Bieris Antrag wurde schliesslich relativ knapp mit 16 zu 23 Stimmen abgelehnt. Damit ist die Moratoriumsfrage aber noch keineswegs abgeschlossen. WWF und Greenpeace haben schon mit einem Referendum gedroht und wie der Nationalrat entscheiden wird, ist auch noch offen.


Literaturhinweise:
Amtliches Bulletin, Ständeratsdebatte der Gen-Lex, resp. des Gentechnikgesetzes vom 13.6.2001: www.parlament.ch/
Amtliches Bulletin, Ständeratsdebatte der Gen-Lex, resp. des Gentechnikgesetzes vom 14.6.2001: www.parlament.ch/

Fussnoten:
(1) Gentechnikgesetz: Keine schnelle Einigung in Sicht



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