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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 22.11.2002 06:00

Die Hand im Hirn von Paraplegikern

Dass im Hirn der Körper repräsentiert wird, ist bekannt. Doch wie reagiert das zentrale Steuerungsorgan auf die Verletzung des Rückenmarks? Eine Studie mit Beteiligung einer ETH-Forscherin zeigt, dass bei Paraplegikern die Handrepräsentation reorganisiert wird.

Von Christoph Meier

Die Verletzung des Rückenmarks ist ein einschneidendes Erlebnis. Den Regionen, deren Versorgung unterhalb des Unterbruchs im Rückenmark liegt, fehlt der Kontakt zum Hirn. Nervöse Impulse aus diesen Körperteilen kommen nicht mehr im zentralen Steuerungsorgan an und dessen Befehle können nicht in die Peripherie gelangen. Doch wie geht das Hirn mit einer solchen Situation um? Werden die Hirnareale, die zum Beispiel für Steuerung des Fusses zuständig sind, umgenutzt? Forschende des Universitätsspitals Zürich und der Universitätsklinik Balgrist konnten zusammen mit der Professorin Marie-Claude Hepp-Reymond (1), Mitglied des gemeinsamen Instituts für Neuroinformatik der ETH und Uni, nun nachweisen, dass bei Paraplegikern die Repräsentation der Hand im Hirn reorganisiert wird.

Erhöhte Aktivierung bei Bewegungen der oberen Gliedmassen

Die Wissenschaftler führten die in der Fachzeitschrift "Brain" (2) publizierte Studie zusammen mit neun Paraplegikern und zwölf Kontrollpersonen durch. Mit gezielten Bewegungen der Finger, des Handgelenks, des Ellbogens und der Zunge sollte untersucht werden, ob sich das Aktivierungsmuster zwischen Rückenmarksverletzten und Personen mit unversehrtem Rückenmark unterscheidet. Die Aktivierung im Hirn bei diesen Tätigkeiten wurde mit funktioneller Magnetresonanz-Tomographie bestimmt.

Die Messungen ergaben, dass Fingerbewegungen bei Paraplegikern im Vergleich zu den Kontrollpersonen zu einer erhöhten Aktivierung im zuständigen Hirnrindenareal führen. Auf den Hirnbildern zeigte sich aber auch, dass tiefer gelegene Hirnregionen wie das Kleinhirn, die Basalganglien oder der Thalamus verstärkt reagieren. Zudem erhöhte sich die Aktivität in diesen Hirnstrukturen bei Bewegungen des Handgelenks und des Ellbogens. Keine Unterschiede zu den Kontrollpersonen ergaben Zungenbewegungen der Patienten weder in der Lokalisierung noch bei der Aktivierung. Etwas überraschend konnte auch bei Handbewegungen der Paraplegiker keine Verschiebung der Hirnrindenaktivität in die Fuss-repräsentierenden Areale festgestellt werden.

Der Fuss im Kopf

"Dieser letzte Befund ist überraschend, da andere Studien diese Verschiebung behauptet haben. Bei anderen Typen von Eingriffen, wie zum Beispiel bei Amputationen, sind solche Verschiebungen sowohl in Tierversuchen als auch bei Patienten oft beobachtet worden", kommentiert Marie-Claude Hepp-Reymond. Dass aber die für den Fuss zuständigen Hirnregionen bei Paraplegikern nicht einfach brach liegen, weiss die ETH-Forscherin von einer eigenen noch nicht publizierten Arbeit. Sie verrät, dass bei solchen Personen die Fussrepräsentation stark aktiviert wird, wenn die Patienten sich Fussbewegungen vorstellen müssen.


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Fingerbewegungen im Hirn sichtbar gemacht. Die Aktivierungsmuster sind für die Paraplegikern in der oberen Reihe und für die gesunden Versuchspersonen in der mittleren Reihe dargestellt. In der unteren Reihe ist das Ergebnis der Subtraktion, welche die Lokalisierung der verstärkten Aktivierungen bei den Paraplegikern zeigt (rechts auf den Hirnschnitten entspricht der linken Hemisphäre). (Bild: zVg) gross

Nicht nur Veränderungen in der Hirnrinde

Für Marie-Claude Hepp-Reymond ist aber das wichtigste Ergebnis der veröffentlichten Studie, dass sich die Handrepräsentationen im sogenannten primären motorischen Cortex durch die erhöhte Aktivität bei Paraplegikern von denen der Kontrollpersonen unterscheiden. "Dieser Befund wurde zum ersten Mal gemacht", sagt die Wissenschaftlerin und gesteht ein, dass er nicht ganz leicht zu erklären sei. Ein Erklärungsansatz liegt aber im bereits bekannten Phänomen, dass Nervenfasern, die nicht mehr zum Ziel gelangen, in der Nähe der Rückenmark-Durchtrennung zu sprossen beginnen. Findet diese Sprossung in einem Teil des Wirbelsäule statt, von wo aus die Hand oder generell die oberen Gliedmassen versorgt werden, so könnte es sein, dass als Reaktion darauf die Repräsentation dieser Körperteile im Hirn verstärkt wird. Diese Hypothese würde auch die Daten zur normalen Repräsentation der Zunge verständlich machen. Denn die Nerven, welche die Zunge versorgen, zweigen früher aus der Wirbelsäule ab als die für die oberen Gliedmassen.

Monakow bestätigt

Die erwähnte, verstärkte Aktivierung in tiefer gelegenen Hirnstrukturen als dem primären motorischen Cortex bei Paraplegikern ist für Hepp-Reymond ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Steuerung von Bewegungen nicht nur durch einzelne Strukturen erfolgt: "Alle Gebiete, welche vermehrte Aktivität zeigen, sind eng miteinander und speziell mit dem primären motorischen Cortex verbunden." Insgesamt demonstrieren die Daten, dass sogar eine entfernte Schädigung von Nerven dazu führen kann, dass es auf mehreren Stufen des zentralen Nervensystem zu einer Reorganisation kommen kann. Die Studie ist auch eine Verifizierung der Diaschisis-Hypothese von Konstatin Monakow zu Beginn dieses Jahrhunderts, die besagt, dass reaktiv zu einem Angriff im Zentralnervenssystem die Aktivität in anderen entfernten Gegenden vermindert oder verstärkt wird.


Fussnoten:
(1) Forschungsgruppe von Prof. Dr. Marie-Claude Hepp-Reymond: www.neuroscience.unizh.ch/e/groups/hepp00.htm
(2) A. Curt et al., Changes of non-affected upper limb cortical representation in paraplegic patients as assessed by fMRI, Brain (2002), 125, 2567-2578



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