www.ethlife.ethz.ch    
ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuftETH Life - wissen was laeuftETH LifeDie taegliche Web-Zeitung der ETHETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuftETH Life - wissen was laeuft


Rubrik: Tagesberichte

50 Jahre Institut für Biochemie der ETH Zürich
Schulterschluss der Generationen

Published: 04.10.2006 06:00
Modified: 04.10.2006 15:10
druckbefehl
Das Institut für Biochemie der ETH feiert dieser Tage sein 50. Jubiläum. Ein Treffen der Generationen ist geplant, ein Kongress soll die Grenzen der Forschung aufzeigen und der Nachwuchs kommt auch nicht zu kurz. Ein Vertreter der alten Generation und der neuen Generation von Biochemikern im Gespräch mit ETH Life.



Interview: Peter Rüegg (mailto:peter.rueegg@cc.ethz.ch)

Herr Di Iorio, Sie haben die Geschichte Ihres Instituts nachgezeichnet. Wie kam es zu dessen Gründung?

Ernesto Di Iorio (ED): Die Bedeutung der Biochemie wurde früh erkannt. Bereits 1913 wurde an der ETH die erste Vorlesung angeboten: „Über die Chemie der natürlichen Farbstoffe“. Dieser Kurs war für Ingenieure gedacht. 1935 stellte die ETH den Privatdozenten Alfred Winterstein für das Fach „Allgemeine Biochemie und Physiologische Chemie“ ein. Seine Vorlesung „Ausgewählte Kapitel aus der Biochemie“ hatte Bestand, bis Carl Martius 1956 als erster Professor für Biochemie an die ETH kam.

Welche Rolle spielte Nobelpreisträger Leopold Ruzicka, der als Gründer des Instituts gilt?

ED: Leopold Ruzicka ist es zu verdanken, dass die Biochemie an der ETH anerkannt wurde. Mitte der 30er Jahre war er dank seinen Arbeiten über Hormone, Vitamine und Antibiotika weltberühmt. 1955 begann er, die Gründung eines Biochemie-Instituts an der ETH einzuleiten. Er überzeugte Geldgeber der pharmazeutischen Industrie in Basel und der Rockefeller Stiftung und machte Druck beim Präsidenten der ETH. Dieser war jedoch nicht überzeugt, dass es eine Professur für Biochemie brauchte. Am Ende waren es die Pharmafirmen und der Regierungsrat des Kantons Zürich, die sich für die Professur stark machten. Der Regierungsrat wollte, dass die ETH Avantgarde sein sollte.

Und, war die ETH Avantgarde?

ED: Die Universität Zürich hatte bereits ein Institut für Biochemie, das aber von der medizinischen Seite geprägt war. Ruzicka war clever und machte klar, dass das neue Institut für dynamische Biochemie, wie er es nannte, etwas Anderes war als die physiologische Biochemie der Uni. Er erhielt schliesslich 1.6 Mio. Franken von Ciba Geigy, Hoffmann-La Roche und Sandoz sowie 100'000 Franken von der Rockefeller-Stiftung. Das war genug, um das Institut zu gründen. Ruzicka bestimmte auch mit, wer als Professor angestellt werden sollte und hatte bereits zwei Leute auserkoren. Doch diese akzeptierten die angebotene Position nicht. Schliesslich wurde Carl Martius als erster Professor angestellt.

Mit welchen Problemen hatte das noch junge Institut zu kämpfen?

ED: Als Martius seinen Posten antrat, war das Institut Teil der organischen Chemie. Dadurch hatte er keinen Zugang zu Diplomstudenten. Erst für ein Doktorat konnten sich Chemie-Absolventen bewerben. So kämpfte Martius für die Unabhängigkeit der Biochemie von der organischen Chemie und erreichte 1962, dass das Laboratorium für Biochemie von der Chemie zu den Naturwissenschaften wechselte und er zusammen mit der Mikrobiologie einen Lehrgang ausarbeiten konnte. Danach nahm die Zahl der Studierenden exponentiell zu. Bald brauchte es eine zweite Professur, schliesslich eine dritte. Grössere Labors wurden nötig. Die Biochemie erhielt 1973 vier Stockwerke und Platz im Keller des CHN. Damit erreichte das Institut die heutige Grösse.

Wie gross ist das Institut denn heute?

Yves Barral (YB): Das Institut hat seine Professuren halten können. Die Institutsstruktur ist heute aber gänzlich anders als damals. Wir haben derzeit vier Professoren und zwei SNF-Professoren. In der klassischen ETH-Zählweise sind es zwar nur drei. Weil aber Ari Helenius in drei Jahren emeritiert, ist seine Position heute doppelt besetzt. Zudem gibt es bei uns zehn Gruppenleiter, die ähnliche Dinge tun wie Professoren. Dazu kommen noch zwei Dozenten.

ED: Exponentiell zugenommen hat die Zahl der Mitarbeiter. Sie hat sich seit der Gründung des Instituts versiebenfacht und liegt heute bei etwa 120 Leuten.

Was macht das Fach so attraktiv?

YB: In den letzten 50 Jahren hat die Biologie eine Revolution erlebt. Zum Beispiel mit der Entwicklung der Molekularbiologie oder mit den Entdeckungen der Doppelhelix und wie Proteine in Genen kodiert sind. An der ETH gibt es eine Tradition, dass Biologie von der Chemie her angegangen wird. An den meisten Universitäten liegt der Ursprung jedoch in Botanik, Zoologie oder Physiologie. In den 50er und 60er Jahren wurde zudem die Physik in die Biologie miteinbezogen. Davon profitierte die Biochemie an der ETH. Biochemie ist so etwas wie der gemeinsame Nenner von Traditions-Fächern, wie Biologie, Chemie oder Physik. Darum war Biochemie an der ETH so erfolgreich.

Zwei Generationen von Forschern am Institut für Biochemie: PD Ernesto di Iorio (l.) als einer der "Dienstältesten" und Institutsvorsteher Prof. Yves Barral als einer der Newcomer.

Welches waren die wichtigsten wissenschaftlichen Erfolge der Biochemie an der ETH?

ED: Carl Martius fand 85 Prozent über den Zitronensäurezyklus, einer der wichtigsten Stoffkreisläufe in der Zelle, heraus. Wichtige Forschung fand statt zum Beispiel bei der Signalübertragung, der Bioenergetik, dem Transport von Stoffen durch die Zellmembran, Absorption von Nährstoffen in den Verdauungsorganen, Proteinglykolisierung und vieles mehr.

BA: Das waren die traditionellen Erfolge in den 70er und 80er Jahren. Jetzt gibt es eine total neue Generation von Wissenschaftlern.

Zu dieser neuen Generation gehören Sie, Herr Barral …

YB: Die Biochemie steckte noch vor 10 Jahren in einer sehr klassischen Rolle. Es war eine eigenständige Wissenschaft, eine eigene Technik. Wenn man heute in ein Biologie-Labor der ETH schaut, so stützen sich die angewandten Technologien stark auf die Biochemie ab. Die Biochemie entwickelt sich in Richtung Strukturbiologie und hin zur Biochemie der ganzen Zelle. Signalübertragung, Zellarchitektur und Zellskelett sind eine neue Dimension der Biochemie. Bis zu einem gewissen Grad ist es der Anfang der Systembiologie. Diese Richtung hat dieses Institut vor neun Jahren eingeschlagen.

Wird diese Entwicklung anhalten?

YB: Sicher. Der Prozess hat erst begonnen. Wir studieren komplexe Strukturen. Das ist in den kommenden 20 Jahren eine grosse Herausforderung.

Ob Strukturbiologie, Zellbiologie oder Biochemie – alles erscheint als Eintopf. Wie grenzt sich die Biochemie von anderen Richtungen ab?

YB: Der Unterschied zwischen Biochemie und Zellbiologie oder Strukturbiologie ist vielleicht weniger, was wir erforschen sondern wie wir es erforschen. Als Biochemiker der Zelle versuchen wir, verschiedene Ansätze zu kombinieren. Unser besonderes Anliegen ist, die Moleküle und ihre Funktionen nicht aus den Augen zu verlieren. Wir wollen in der Zelle wie auch in vitro verstehen, wie die Moleküle zur Funktion beitragen. In dem Sinn sind wir Biochemiker. Wir wollen das Molekül aber nicht statisch in einem Kristall, sondern wir wollen seine Dynamik verstehen. Unser Institut wurde ja als Institut für dynamische Biochemie gegründet. Da ist es heute noch.

Trotzdem: Befürchten Sie nicht, dass jemand bei Ihnen den Rotstift ansetzt und sagt, es machen ja sowieso alle das Gleiche?

YB: Davor habe ich keine Angst. Es würde nur zeigen, dass Biochemie so verbreitet und populär geworden ist, dass sie nicht mehr in ihren eigenen vier Wänden bleiben muss.

Wie feiern Sie nun das Jubiläum?

YB: Der erste Tag ist der jungen Generation gewidmet. Heute findet der Schülertag statt, an dem die Schüler die Labors besuchen und kleine Experimente selber durchführen können. Ich hoffe, dass wir damit Berührungsängste abbauen und bei der nächsten Generation von Wissenschaftler, die die Schulkinder sind, Freude wecken können. Am Donnerstag werden wir einen wissenschaftlichen Kongress abhalten. Am Freitag findet die erste Alumni-Versammlung der Biochemie-Alumni statt. Gegenwart und Vergangenheit der Biochemie werden sich treffen, um an der Zukunft zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, dass sich die Generationen gegenseitig befruchten.

Wie gross ist das Interesse an dieser Alumni-Vereinigung?

ED: Fast 90 haben sich für die Veranstaltung angemeldet. Zudem weiss ich von einigen, die sich nicht anmelden und trotzdem kommen werden. Es werden gegen 100 dabei sein – von 217, die ich ausfindig machen konnte. Mit von der Partie ist auch der erste Doktorand von Carl Martius, also der erste Biochemie-Doktorand der ETH.

References:
•  Instituts-Website zum Jubiläum: www.bc.biol.ethz.ch/events/50th_anniversary


Copyright 2000-2002 by ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zurich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
ok
!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!