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Rubrik: Tagesberichte

Konferenz "Nato Geheimarmeen und P26"
Die dunklen Seiten des Westens

Published: 03.02.2005 06:00
Modified: 03.02.2005 01:07
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Während des Kalten Krieges bereiteten sich in allen Ländern Westeuropas Geheimarmeen auf eine mögliche Besetzung durch die Sowjetunion vor. Am Dienstag wurde eine neue ETH-Studie vorgestellt, welche aufzeigt, wie die verborgenen Gruppierungen operierten und dabei auch vor Terroranschlägen gegen die eigene Bevölkerung nicht zurückschreckten.



Von Felix Würsten (mailto:felix.wuersten@ethlife.ethz.ch)

Gut fünfzehn Jahre ist es her, seit der Kalte Krieg mit dem Fall der Berliner Mauer zu Ende ging. Die jahrzehntelange Trennung Europas in zwei feindliche Machtbereiche konnte damit endlich überwunden werden. Beide Seiten hatten sich in den Jahrzehnten zuvor bemüht, ihren Einflussbereich um jeden Preis zu kontrollieren. Dass der Osten dabei zu drastischen Mitteln griff, haben etwa die tragischen Ereignisse in Ungarn und in der Tschechoslowakei vor Augen geführt.

Im Gegensatz dazu ist bis heute kaum bekannt, wie im Westen der Zusammenhalt sichergestellt wurde. Immerhin erfuhr die Öffentlichkeit Anfang der neunziger Jahre durch Enthüllungen in Italien, Belgien und der Schweiz, dass das westliche Bündnis bei der Wahl seiner Mittel zuweilen nicht zimperlich war. Die meisten Staaten weigern sich jedoch nach wie vor, die damaligen Vorgänge aufzuklären. Etwas Licht in die dunkle Vergangenheit bringt nun eine neue Publikation (1) der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik (CSS) der ETH Zürich (2) , die am Dienstag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Direkte Verbindungen zum Pentagon

Die Nato, so erklärte der Autor der Studie, Daniele Ganser, richtete während des Kalten Krieges in allen Mitgliedsländern sogenannte Stay-Behind-Netzwerke ein. Dabei handelte es sich um Geheimorganisationen, die im Falle einer Okkupation vom Untergrund aus den Kampf gegen die sowjetischen Besatzer aufgenommen hätten. Zwischen den einzelnen nationalen Organisationen bestand eine enge Zusammenarbeit. Die Koordination wurde von zwei geheimen Unterabteilungen des Nato-Hauptquartiers "Shape" gewährleistet, welche direkt dem oberstem Nato-Befehlshaber in Europa (Saceur) unterstellt waren. Direkte Verbindungen bestanden auch zum US-Auslandsgeheimdienst CIA und zum britischen Geheimdienst MI6.

Geheime Untergrundarmeen gab es auch in den neutralen Staaten. In der Schweiz war es die Organisation P26, deren Existenz 1990 durch die Parlamentarische Untersuchungskommission PUK-EMD aufgedeckt wurde. Die P26 war nicht direkt in das Netz der Nato-Geheimarmeen eingebunden, pflegte aber enge Beziehungen zum MI6. Auch in Österreich musste die Regierung Mitte der neunziger Jahre die Existenz einer Untergrund-Organisation einräumen.

Andreotti enthüllt das Unglaubliche

Die Geheimarmeen der Nato sind ein dunkler Fleck in der Geschichte Westeuropas. Denn in zahlreichen Ländern suchten sie mit terroristischen Aktivitäten die politische Entwicklung zu beeinflussen. In Italien machte 1990 der damalige Premierminister Giulio Andreotti unter dem Druck der Ermittler die Existenz der Geheimarmee "Gladio" publik. Diese wurde vom militärischen Geheimdienst Sismi kontrolliert und arbeitete eng mit der CIA zusammen. Gladio war offenbar auch mit der Mafia, den Faschisten und der katholischen Kirche verbandelt.

Ziel war es, in Italien um jeden Preis eine Regierungsbeteiligung der Kommunisten zu verhindern. Minister dieser Partei, so die Befürchtung, könnten Geheimnisse an die Sowjetunion verraten und so die Nato von innen heraus schwächen. Gladio schreckte nicht vor feigen Terroranschlägen gegen die eigene Bevölkerung zurück. Das Volk sollte verunsichert werden, damit es den Staat um mehr Sicherheit bittet. Durch falsche Spuren und Einflussnahme auf die Justiz gelang es, die Taten dem politischen Gegner in die Schuhe zu schieben.

Auch in Frankreich, Deutschland (wo auch ehemalige SS-Offiziere involviert waren), Norwegen und Belgien verübten die Geheimarmeen Terroranschläge. In Griechenland war sie in den Militärputsch involviert, und in der Türkei unterstützte die "Counter-Guerilla" den Kampf gegen die Kurden. Nach den Enthüllungen der PUK-EMD wurde in der Schweiz der Verdacht geäussert, auch die P26 habe Anschläge verübt. Der Verdacht konnte aber nicht bestätigt werden.

Diskutierten angeregt über die verborgenen Aktivitäten der Geheimdienste: v.r.n.l.: Daniele Ganser (Autor der Studie), Prof. Andreas Wenger (Leiter CSS, ETH Zürich), Prof. Georg Kreis (Leiter Europainstitut Universität Basel), Hans Senn (Korpskommandant aD), Helmut Hubacher (alt Nationalrat), Bruno Lezzi (NZZ).

Was wussten die Politiker?

In der anschliessenden Podiumsdiskussion erzählte Korpskommandant aD Hans Senn, zwischen 1977 und 1980 Generalstabschef der Schweizer Armee, wie er in der Mitte seiner Amtszeit über die Existenz einer geheimen Spionage- und Abwehrorganisation unterrichtet wurde. Aus sicherheitspolitischen Überlegungen habe er diese Organisation toleriert. Im Zuge der Affäre Schilling/Bachmann wurde bereits 1980 bekannt, dass es in der Schweiz eine geheime Gruppierung gab. Nach Ansicht von Senn muten die späteren Untersuchungen der PUK-EMD deshalb merkwürdig an. Jeder Politiker habe wissen können, dass es in der Schweiz eine verdeckt operierende Gruppe gab. Senn findet es immer noch unerhört, dass sein Nachfolger Jörg Zumstein von Seiten der SP als "Putschgeneral" abgekanzelt wurde. An der demokratischen Gesinnung der Armeeführung könne nicht gezweifelt werden.

Alt Nationalrat Helmut Hubacher, zwischen 1975 und 1990 Präsident der SP Schweiz, widersprach Senn heftig. Man habe zwar gewusst, dass es in der Armee "Spezialdienste" gebe. Doch als Politiker habe er nie und nimmer wissen können, dass sich dahinter die Geheimarmee P26 verberge. Hubacher wies darauf hin, dass der Präsident der PUK-EMD, der konservative Appenzeller Ständerat Carlo Schmid, bei den Untersuchungen "wie ein Hund" gelitten habe. Für viele bürgerliche Politiker sei damals eine Welt zusammengebrochen.

Inkompetente Medien

Besonders störend findet Hubacher, dass die P26 nicht nur den Widerstand im Besetzungsfall organisieren sollte. Sie habe auch den Auftrag gehabt, aktiv zu werden, falls die linken Parteien im Parlament die Mehrheit erlangen. Die P26 sei eben nicht so harmlos gedacht gewesen, wie das heute von den Generälen dargestellt werde. Einig war man sich auf dem Podium, dass ein Putsch in der Schweiz allerdings kaum Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

An der demokratischen Gesinnung der Beteiligten mochte auch Bruno Lezzi, Militärexperte der NZZ und ehemaliger Mitarbeiter der Untergruppe Nachrichtendienst im EMD, nicht zweifeln. Es habe ihn 1990 aber erstaunt, wie die Affäre von den Medien aufgenommen wurde. Seinen Berufskollegen attestierte Lezzi ein bemerkenswertes Mass an fachlicher Inkompetenz. Nicht gerade professionell verhielt sich auch die Verwaltung in Bern. Statt offensiv zu kommunizieren, reagierte sie von Tag zu Tag auf die neuen Enthüllungen der Presse.

Lezzi stellt sich im Rückblick auch die Frage, ob die P26 im Ernstfall tatsächlich in der Lage gewesen wäre, den Kampf aufzunehmen. Bei seinem Besuch in der vom Krieg zerstörten tschetschenischen Hauptstadt Grosny habe er jedenfalls realisiert, dass man in der Schweiz völlig falsche Vorstellungen habe, was ein moderner Krieg wirklich bedeutet.

Footnotes:
(1 Daniele Ganser: Nato's Secret Armies. Operation Gladio and Terrorism in Western Europe. Frank Cass. London 2005. Informationen zum Projekt finden sich unter www.isn.ethz.ch/php/collections/coll_gladio.htm
(2 Homepage des CSS: www.css.ethz.ch/


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