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Rubrik: Tagesberichte

Besuch des Generalinspekteurs der Bundeswehr
Die offene Gesellschaft schützen

Published: 15.05.2007 06:00
Modified: 14.05.2007 11:09
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Keine andere Armee der Welt hat in den letzten Jahren einen derart massiven Umbau erlebt wie die deutsche Bundeswehr. Wie die Streitkräfte unseres nördlichen Nachbarlandes neu ausgerichtet werden, erklärte der ranghöchste Soldat der deutschen Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, letzten Donnerstag an der ETH.



Felix Würsten (mailto:felix.wuersten@ethlife.ethz.ch)

"Passen wir uns der verändert Weltlage an – oder warten wir ab, bis sich die Welt uns anpasst?" Diese grundsätzliche Frage nahm General Wolfgang Schneiderhan, Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr, am letzten Donnerstag als Ausgangspunkt, als er an der ETH auf Einladung der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik über die Rolle der Sicherheitskräfte im 21. Jahrhundert sprach. Für den ranghöchsten deutschen Soldaten selbst ist klar, dass eine Anpassung an den Lauf der Zeit unumgänglich ist und dass die Konzepte, die in den Zeiten des kalten Krieges erfolgreich waren, nicht mehr funktionieren. Die starre Einteilung in die Kategorien Heer, Luftwaffe und Marine etwa sei überholt, und auch die Beschränkung auf nationale Aufgaben sei nicht mehr zeitgemäss.

Wie viel sich in Europa seit dem Zusammenbruch des Ostblocks verändert hat, stellte er just an diesem Tag wieder fest, als er – zusammen mit dem ebenfalls anwesenden Chef der Schweizer Armee, Korpskommandant Christoph Keckeis – in Brüssel am Treffen der Generalstabschefs aller Länder des Nato-Programms "Partnerschaft für Frieden" teilnahm. "Ich finde es immer wieder bemerkenswert, mit welchen Leuten wir nun gemeinsam an einem Tisch sitzen", erklärte Schneiderhan.

Ein sicheres Umfeld schaffen

Die Streitkräfte seien auch im 21. Jahrhundert entscheidend, um die Sicherheit der offenen westlichen Gesellschaften zu gewährleisten. Aber sie seien dafür nicht hinreichend. Um Krisenherde und zusammenbrechende Staaten stabilisieren zu können, brauche es auch andere Akteure. Aufgabe des Militärs sei es, für diese Akteure ein sicheres Umfeld zu schaffen. "Aber die Streitkräfte können die Aufgaben dieser Akteure nicht übernehmen, denn dafür sind sie nicht ausgebildet", mahnte der General an.

In bemerkenswert pointierten Worten machte Schneiderhan klar, dass er in diesem Bereich ein Versagen der Politik ausmacht. "Es wäre gut, wenn die anderen Akteure von der Bundesregierung ebenfalls mit einem Mandat beauftragt würden", meint er. Ein grosser Teil der Schwierigkeiten, mit denen die Bundeswehr in Afghanistan kämpfe, rühre daher, dass die Ziele vor dem Einsatz nicht klar definiert und die Einsatzmöglichkeiten der anderen Akteure zuwenig gut abgeklärt worden seien. So stehen denn heute in Afghanistan den 2300 deutschen Soldaten gerade mal 40 Polizisten zur Seite – nach Auffassung von Schneiderhan ein eklatantes Missverhältnis.

Gerade diese schlechte Koordination dürfte denn auch ein Grund sein, warum der Rückhalt in der Bevölkerung für die Einsätze der Bundeswehr im Ausland nicht gerade überwältigend ist. "Wir müssen nicht nur in Afghanistan die Köpfe und Herzen der Menschen gewinnen, sondern auch in Deutschland", hielt Schneiderhan fest. "Wir müssen unserer Bevölkerung erklären, warum es solche Einsätze braucht, und das erfordert viel Geduld." Mit dem saloppen Spruch, die deutsche Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt, sei es jedenfalls nicht getan.

Massiver Umbau

Die Bundeswehr hat wie keine andere Armee der Welt in den vergangenen Jahren einen massiven Umbau erlebt, und die Reform der Streitkräfte ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Dabei, so Schneiderhan, sehe sich die militärische Führung laufend mit neuen Herausforderungen konfrontiert. "Wenn mir jemand vor zwei bis drei Jahren gesagt hätte, deutsche Soldaten würden im Kongo eingesetzt oder die deutsche Marine müsse vor der Küste des Libanons einen Auftrag erfüllen, dann hätte ich ihm wohl eine Therapie empfohlen", meinte der General. Dennoch: Auch wenn sich das Umfeld laufend wandle, brauche die Bundeswehr eine längerfristig angedachte Konzeption.

General Wolfgang Schneiderhan, Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr, setzte sich bei seinem Auftritt an der ETH für eine umfassende Sicherheitspolitik ein. (Bild BW)

In einer globalisierten Welt, hielt Schneiderhan fest, können sich Krisen und Gefahrenherde schnell ausbreiten. Sicherheit könne daher nur im globalen Massstab erreicht werden. Die Voraussetzung dazu ist eine umfassende Sicherheitspolitik, die weit über militärische Aspekte hinausgeht. Innerstaatliche Konflikte, Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, aber auch ein sich abzeichnender Kampf um lebensnotwendige Ressourcen, seien mögliche Bedrohungen. Der Westen müsse sich zudem darauf einstellen, dass sich die demographischen Verhältnisse dramatisch verändern werden. Ein Land wie der Jemen beispielsweise werde im Jahr 2050 mehr Einwohner haben als Deutschland. Das ärmste Land der arabischen Halbinsel kämpft schon heute mit einer grossen Arbeitslosigkeit sowie einem immer eklatanteren Wassermangel. Es ist offensichtlich, dass solche Verhältnisse eine enorme soziale Sprengkraft bergen.

Sich militärisch durchsetzen

Ziel der gegenwärtigen Reformen müsse es daher sein, die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr im Ausland zu erhöhen. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben sei es, in Krisenregionen als stabilisierende Kraft zu wirken. Damit solche Einsätze gelingen, müssen die Einheiten eskalationsfähig sein, denn nur so können sie sich auch militärisch durchsetzen. Neben diesen sogenannten Stabilisierungskräften braucht es auch noch Eingreifkräfte, welche im Ernstfall einen Waffenstillstand gewaltsam durchsetzen können.

Schneiderhan geht für die Bundeswehr von einem Dispositiv von 250'000 Mann aus. 35'000 davon sollen zur Eingreiftruppe gehören, 70'000 zu den Stabilisierungskräften. Der grosse Rest muss zuhause die Voraussetzungen schaffen, dass die anderen eingesetzt werden können. Die Unterscheidung in Stabilisierungs- und Eingreiftruppen sei aus verschiedenen Gründen sinnvoll. Schneiderhan ist insbesondere überzeugt, dass diejenigen, welche einen Waffenstillstand gewaltsam erzwingen müssen, nicht unbedingt geeignet sind, in der anschliessenden Stabilisierungsphase staatliche Strukturen aufzubauen. "Das erfordert alleine schon von der Mentalität her ganz andere Soldaten."


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