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Rubrik: Tagesberichte Novartis-CEO Vasella am Chemie-Symposium Europa muss sich sputen |
Published: 06.11.2001 06:00 Modified: 01.10.2002 09:52 |
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Am Symposium "Frontiers in chemistry in a global society" zur Eröffnung der ETH-Chemiebauten vom vergangenen Freitag mahnte Novartis-Chef Daniel Vasella die Staaten Europas, sich an der Dynamik der USA ein Beispiel zu nehmen. Die Regierungen hätten es in der Hand, den Pharmabereich im Wettbewerb mit den USA zu unterstützen. Von Ob Andrea Vasella, ETH-Professor für organische Chemie, dafür den Ausschlag gab, dass sein wenigstens ausserhalb der ETH noch bekannterer jüngerer Bruder Daniel, seines Zeichens CEO eines der grössten Pharmaunternehmen der Welt, zwischen zwei Interkontinentalflügen am Hönggerberg Station machte? - Wie dem auch sei: Der Novartis-Chef war der Eröffnungsredner des in Englisch abgehaltenen Symposiums "Frontiers in chemistry in a global society" zur Einweihung der Chemiegebäude. Er beeindruckte mit einem äusserst dichten - da und dort jedoch etwas hastig wirkenden - Referat, das sich ganz einem Vergleich der Pharmaforschung und -Industrien zwischen Europa und den USA widmete. - Ebenfalls gedrängt übrigens die Zuhörerschaft: um den Anlass live zu erleben, wurden zum Teil Stehplätze in Kauf genommen. Um es vorweg zu nehmen: Europa wurde von den USA in sämtlichen von Vasella angeschnittenen Bereichen auf die Plätze verwiesen. Sowohl was wissenschaftliche Förderung und Forschungsoutput als auch industrielle Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Pharmabereich betrifft - überall hätten US-Institute und -Unternehmen die Nase vorn. Dabei, so Vasella, zähle die Pharmabranche zu den Schlüsselindustrien des 20. und 21. Jahrhunderts, zumal in der Schweiz, wo fast vierzig Prozent der Entwicklungsinvestitionen heute in die chemische und pharmazeutische Industrie fliessen. Im Jahre 2030 sei mit einer Weltbevölkerung von über acht Milliarden Menschen zu rechnen – und diese Menschen würden immer älter. Die Konsequenz: die Gesundheitsausgaben und damit die Nachfrage nach Pharmaprodukten würden weltweit drastisch steigen . Schweiz: staatliche Investitionen stagnierenDiese Nachfrage, so Vasella, sei einer der Faktoren, die über Sein oder Nichtsein dieser Industrie entscheiden würden; als zweites nannte der Novartis-Chef den Begriff "Innovation". Dafür brauche es erstens Investitionen, zweitens Talente. In beiden Bereichen setzen laut Vasella die USA die Messlatte. In Amerika werde entschieden mehr in die Entwicklung neuer Pharmaprodukte investiert als in Europa; übrigens auch von staatlicher Seite - was manche im Auditorium überrascht haben mag: im Jahr 1999 flossen in den USA gesamthaft 74,5 Milliarden Dollar staatliche Mittel in die Forschung, wohingegen es in Europa 63,2 Milliarden waren. Bedenklich daran sei, dass etwa die offizielle Schweiz nicht mit dem schnellen US-Investitionswachstum mithalten könne, sondern stagniere. Und auch beim sich verschärfenden Wettbewerb um die Graduierten liegen die USA – für die ETH nichts Neues – ebenfalls vorn. Beim "Citation Index" sowieso, wobei die Schweiz, so Vasella, in einer "starken zweiten Position" liege. "Investment goes where profits are"Der dritte existentielle Faktor für die Pharmaindustrie sei die Regelungssituation. Die Unterschiede Europa-USA auf diesem Gebiet könnten, wie Vasella sagte, grösser kaum sein: In den Staaten herrsche ein marktgesteuertes Preisgefüge vor, wohingegen in Europa weitgehend auf ein zentral kontrolliertes Pricing vertraut werde. Das wirke sich wachstumshemmend aus; in den USA liegen die Medikamentenpreise denn auch im Schnitt deutlich höher als in Europa.
Entsprechend wachse der US-Pharmamarkt überproportional: im Jahr 2000 machte dieser 43 Prozent des Weltmarkts aus (Europa: 24,1 Prozent). "Investment goes where profits are", so Vasellas Fazit. Besonders bedenklich für Europa dabei: Die US-Dynamik bringe es mit sich, dass sich auch Forschungsinvestitionen europäischer Pharmafirmen zunehmend in die USA verlagern: 1995 gingen 25 Prozent der europäischen Investitionen in die USA, 1999 bereits 58 Prozent. "Bilde Menschen"Eine erdrückende "Beweislast" zugunsten Amerikas: können Regierungen da Gegensteduer geben? Laut Daniel Vasella durchaus. Zum Beispiel mittels Deregulierung von Nachfrage und Preispolitik, so der Abschaffung von Preisbewilligungen. Und den Patienten sei bei der medizinischen Versorgung mehr private Verantwortung zu übertragen. Das zweite Feld, wo Verbesserungen möglich und nötig seien, sei Ausbildung und Forschung. Hier bezeichnete Vasella namentlich die Zunahme öffentlicher und privater Unterstützung für Institutionen wie die ETH als unabdingbar. Und als drittes sei den Talenten der Weg zu ebnen: Es müssten, so Vasella, die besten Professoren und Wissenschaftler nach Europa geholt werden; akademische Freiheit und die Lust am Wettbewerb müssten gestärkt werden, und die Grenzzäune zwischen Industrie und Forschung müssten fallen. Der Novartis-Chef schloss mit einem Spruch von Tschuang-tse, einem chinesischen Philosophen des 4. Jahrhunderts v.Chr.: "Um für ein Jahr zu planen, pflanze Reis, um für ein Jahrzehnt zu planen, pflanze Bäume – um für ein Jahrhundert zu planen, bilde Menschen." Das Referat beeindruckte, warf aber auch Fragen auf: Ein Zuhörer wollte wissen, wie Vasella angesichts des Erfolgs der US-Pharmaforschung und –industrie die Tatsache werte, dass viele US-Bürger keinen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung haben. "Eine Gesellschaft misst sich daran, wie sie ihre schwächsten Glieder behandelt, und das kann nicht allein Sache der Industrie sein", erwiderte Vasella. Dass 40 Millionen Amerikaner nicht krankenversichert seien, werfe sicher ein schiefes Licht auf die Politik in den USA. - Das sei aber kein Grund, am Erfolgsrezept der US-Pharmaforschung zu zweifeln.
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