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Rubrik: Tagesberichte

Abschlussveranstaltung der UWIS-Fallstudie zur Freisetzung von Gentech-Pflanzen
Fallstudie zur Biosicherheit

Published: 08.02.2006 06:00
Modified: 08.02.2006 11:21
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Die diesjährige Fallstudie des Studiengangs Umweltnaturwissenschaften befasste sich mit der Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen. Sämtliche Arbeitsgruppen hätten bei einer erneuten Beurteilung die von den US-Behörden bewilligten Freisetzungsgesuche abgelehnt. Die Fallstudie und die Abschlussveranstaltung boten nützliche Anregungen für das kürzlich vom Bundesrat bewilligte Nationale Forschungsprogramm NFP 59 zum Thema „Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen“.



Von Jakob Lindenmeyer (www.jakob.lindenmeyer.ch/)

Letzten Freitagnachmittag verfolgten in der Semper Aula der ETH Zürich rund 100 Zuhörende die Abschlussveranstaltung der diesjährigen Fallstudie des Studiengangs Umweltnaturwissenschaften. Das Thema der vom ETH-Institut für integrative Biologie (1) organisierten Fallstudie lautete "Umwelt-Biosicherheit von gentechnisch veränderten Pflanzen - Beurteilung von Zulassungsanträgen".

Re-Evaluation bewilligter Freisetzungsgesuche

Die Aufgabe der 56 teilnehmenden Studierenden bestand darin, anhand der realen Freisetzungsanträge für transgenen herbizidresistenten GT73-Raps und insektenresistenten MON810 Bt-Mais, wie sie in den USA bewilligt wurden, die Methoden der Risikoanalyse und die Umweltauswirkungen des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen zu untersuchen. In sieben Gruppen vertieften sich die Studierenden während 13 Wochen in die Schwerpunkte Genfluss, Biodiversität, Toxinabbau im Boden, Nichtzielorganismen und die Chancen von GVO-freien Produkten.

Die "Gruppe Genfluss" analysierte beispielsweise wie sich der transgene GT73-Raps in der Schweiz mittels Pollen- und Samentransport, sowie über mögliche wilde Auskreuzungspartner unkontrolliert ausbreiten könnte. Dazu verglichen die Studierenden die Häufigkeit der verwandten Wildarten, sowie deren Überschneidung der Verbreitungsgebiete und der Blühzeiten mit denjenigen des Rapses, sowie die Fitness allfälliger Hybridpflanzen. Die "Gruppe Genfluss" kam zum Schluss, dass sich transgener Raps in der Schweiz unkontrolliert verbreiten kann und entschied, das fiktive Freisetzungsgesuch abzulehnen. Den Entscheid stützte die Gruppe einerseits auf das Gentechnikgesetz (GTG), welches in Art. 6 vorschreibt, dass GVOs nur freigesetzt werden dürfen, wenn sie sich oder ihre Eigenschaften nicht in unerwünschter Weise verbreiten. Andererseits erfolgte der Entscheid auch im Sinne des Vorsorgeprinzips, weil der Gruppe viele Aspekte des Genflusses und der Auskreuzung bis anhin nur ungenügend untersucht schienen.

Die Arbeitsgruppe "Abbauprozesse im Boden" sorgte sich um die Toxin-Akkumulation nach wiederholtem Anbau von Bt-Mais. Aufgrund unzureichender Datenlage forderte sie weitere Feldstudien. Bis zur Klärung dieser Wissenslücken sei der Freisetzungsantrag zurückzuweisen. Ähnlich tönten die Schlussfolgerungen der drei Arbeitsgruppen zu den Auswirkungen auf die Nichtzielorganismen.

Kritik an Behörden und an bewilligten Gesuchen

Allerdings wurde auch gefordert, dass die Behörden den Inhalt eines Antrags genauer definieren sollten. So könnten ungenügende Abklärungen wie diejenige im MON810-Mais-Freisetzungsgesuch vermieden werden. Dort seien nur darum keine Effekte auf Nichtziel-Organismen gefunden worden, weil nur vier Insektenarten untersucht worden seien. Darunter befand sich aber kein einziger Bodenorganismus. Zudem fehlten den Studierenden im bewilligten Gesuch die Auswirkungen aufs Ökosystem und Aussagen über Langzeitwirkungen. Unschön sei auch, dass die für den Freisetzungsantrag erstellten Studien nicht publiziert und daher nicht einsehbar seien.

Eine Ablehnung des Freisetzungsgesuchs forderte auch die "Arbeitsgruppe Biodiversität". Allerdings betonte sie, dass aufgrund der Literaturrecherche die Bewirtschaftungsmethode mit Herbizideinsatz einen stärkeren Einfluss auf die Biodiversität habe, als die Verwendung transgener Kulturpflanzen. Da die neue Freisetzungsverordnung im Entwurf vom 21. November 2005 (2) bezüglich des Genflusses in Naturschutzgebieten jedoch eine Nulltoleranz verlange, müsse eine Freisetzung abgelehnt werden.

ETH-Studierende verschaffen sich sich vor Ort einen Eindruck zum Auskreuzungspotential von Raps.

Kritische Einwände aus dem Publikum

Die an der Fallstudie beteiligten Studierenden sowie die meisten Teilnehmenden der Abschlussveranstaltung schienen sich einig, dass bezüglich aller untersuchten Schwerpunkte die Freisetzungsgesuche sowohl für den transgenen Raps als auch für den Mais abzulehnen seien. Nach jedem Vortrag meldete sich jedoch aus dem Publikum ETH-Professor Nikolaus Amrhein zu Wort. Der Pflanzenphysiologe Amrhein gilt als Entdecker der Wirkungsweise des Herbizids Glyphosat, gegen das der freizusetzende Gentech-Raps resistent ist.

Amrheins kritische Voten belebten den Diskurs. Falls die Schlussfolgerungen und Begründungen der Studierenden konsequent weiter gedacht würden, führe dies teilweise zu absurden Forderungen, wie etwa der Abschaffung der gesamten Landwirtschaft, da der Ackerbau die Biodiversität um 90 Prozent reduziere. Die Kritik am grossflächigen Glyphosat-Einsatz konterte Amrhein mit dem Hinweis, dass Glyphosat gerade bei den SBB das wesentlich problematischere Atrazin ersetzte, um die Geleise fahrbar zu halten.

Gentechfreier Weichkäse

Im Gegensatz zu allen andern wählte die „Arbeitsgruppe Koexistenz" - einen unkonventionellen Ansatz. Statt wie erwartet Gentech- mit Bio-Landwirtschaft zu vergleichen, entschieden sich die Studierenden für eine Abklärung der Chancen und Risiken der Lebensmittelproduktion ohne Gentechnik. Dazu konzentrierten sich die Studierenden auf einen Schweizer Weichkäse und analysierten dessen Erfolgsgeheimnis.

Gutes Timing

Der Zeitpunkt für die Fallstudie war gut gewählt. Nach der Annahme eines fünfjährigen Moratoriums für den Anbau von Gentech-Pflanzen im letzten Herbst (3) entschied sich der Bundesrat gegen Ende letzten Jahres, diese Zeit für die Erforschung offener Fragen auf dem Gebiet der Biosicherheit zu nutzen. Die Fallstudie Biosicherheit des D-UWIS lieferte spannende Diskussionen und erste Einblicke in eine Thematik, die durch das noch in diesem Jahr startende nationale Forschungsprogramm NFP 59 zum Thema „Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen“ (4) wohl demnächst vertiefter erforscht wird.

Ein treibender Grund für die rasche Bewilligung dieses mit 12 Millionen Franken dotierten nationalen Forschungsprogramms ist wohl derselbe, wie für die Fallstudie der ETH. Natürlich gebe es immer irgendwo noch Wissenslücken, die noch geklärt werden müssten, sagte Fallstudienleiter und ETH-Professor Peter Edwards in einem Votum. In seiner Abschlussrede zur Fallstudie betonte er dann aber: "Nach der Moratoriums-Abstimmung sollte jetzt aber vor allem die polarisierte Debatte um die Gentechnologie endlich wieder auf eine rationale Basis gebracht werden."

Footnotes:
(1 Homepage des ETH-Instituts für integrative Biologie: www.geobot.ethz.ch/
(2 Die neue Freisetzungsverordnung im Entwurf vom 21. November 2005: www.umwelt-schweiz.ch/imperia/md/content/buwalcontent/folder/05-12-22freisetzung/d-freisetzungsverordnung.pdf
(3 "ETH-Life"-Artikel zum Gentech-Moratorium: „Volk einig, Wissenschaft gespalten“: www.ethlife.ethz.ch/articles/news/GentechMorat.html
(4 Nationales Forschungsprogramm NFP 59 zum Thema „Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen“: www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/de/1483


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