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Rubrik: Tagesberichte

Vier Experten diskutieren das Phänomen Schmerz
Das schmerzt

Published: 25.06.2007 06:00
Modified: 25.06.2007 08:24
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Über Schmerz im Allgemeinen und den chronischen Schmerz im Speziellen sprachen vier Experten bei einer Veranstaltung des Collegium Helveticum und des ETH-Departements Chemie und Angewandte Biowissenschaften letzten Mittwoch an der Uni Irchel. Sie zeigten auf, dass das Phänomen wohl allen bekannt ist, aber wissenschaftlich lässt sich der chronische Schmerz noch nicht wirklich fassen.



Christoph Meier (mailto:christoph.meier@sl.ethz.ch)

Mit etwas Mitgefühl schmerzen bereits die Zahlen: 19% der Europäer leiden unter chronischem Schmerz. Das bedeutet, sie sind mindestens sechs Monate beeinträchtigt. 33% geben an starke Schmerzen zu haben, und 59% müssen die Pein mehr als zwei Jahre erdulden. Die vier Experten zweifelten kaum, dass die Zahlen stimmen. Sie kamen aber auch alle auf eine grosse Schwierigkeit zu sprechen: Der Schmerz ist ein subjektives Phänomen und entzieht sich dadurch einer vergleichenden Messung.

Was kann aber trotzdem allgemein über Schmerz gesagt werden? Auf der molekularen Ebene, so Ulrich Zeilhofer, ETH-Professor für Pharmazie, kenne man für Schmerzmittel vor allem zwei Wirkprinzipien. Das eine weise einen Mechanismus wie Morphin auf, das andere wie der Wirkstoff von Aspirin. Trotz der Fülle an Schmerzmitteln lassen sich diese fast alle entsprechend zuordnen. Bei der Schmerzmittelvergabe sind aber die zwei Gruppen nicht austauschbar, sondern es muss darauf geachtet werden, was für ein Schmerz vorliegt, beispielsweise ein akuter oder chronischer.

Die meisten Rückenschmerzen klingen einfach ab

Nicht ganz ohne Ironie merkte Heiko Sprott vom Unispital Zürich an, dass bei Rückenschmerzen eigentlich häufig keine Medikation am besten wäre. Denn bis zu 90 Prozent der so Beeinträchtigten erholen sich innerhalb von sechs Wochen von alleine. Der Mediziner machte auch darauf aufmerksam, dass der Zustand von Gelenken und Bandscheiben in der Wirbelsäule wenig Aufschluss gebe über Rückenschmerzen. Trotz grosser Abnutzung dieser Körperteile kann ein Mensch ohne Beschwerden sein. Sprotts Fazit: Schmerz kann für jeden Mensch anders sein.

Einen möglichen Grund, wieso Schmerz subjektiv ist, lieferte Georg Schönbächler vom Collegium Helveticum. Er erläuterte anhand des Placeboeffektes, dass beim Schmerz eine rein stoffliche Betrachtungsweise nicht genügt. Mögen von Lukretz bis Arthur Kornberg immer wieder Leute einen strengen Materialismus vertreten haben, so ist ein Medikament trotzdem mehr als sein Wirkstoff. Ein Patient wird nämlich auch reagieren, weil er eine bestimmte Haltung gegenüber der Medikation hat, die mit seiner individuellen Geschichte zusammen hängt. Grundsätzlich, so Schönbächler, müsse man beachten, dass es eine wesentliche Eigenschaft von Organismen sei, Zeichen zu erkennen und zu verarbeiten.

Der wichtige Einfluss von Kommunikationssystemen führt beim Menschen dazu, dass man Schmerz bei ihm nicht unabhängig vom kulturellen System betrachten sollte. Bezug nehmend auf den Titel der Veranstaltung „Zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und therapeutischen Möglichkeiten. Fordern Patienten mit chronischen Schmerzen zu viel?“ verneinte der Placeboforscher die Frage und war sogar der Ansicht, Patienten fordern zu wenig.

Die Grundlagen des chronischen Schmerzes sind noch wenig aufgeklärt, auch wenn verhältnismässig viele Personen darunter leiden. (Bild: http://medicalcenter.osu.edu)

Wenig Wissen zum chronischen Schmerz

Auch die anderen Experten plädierten dafür, dass man Schmerzpatienten sehr ernst nehmen müsse. Eli Alon von Unispital Zürich versucht seit längerem zu erreichen, dass chronischer Schmerz nicht nur als Symptom, sondern als eigenständige Krankheit betrachtet wird. Doch trotz all dieser Bedeutung, die dem chronischen Schmerz beigemessen wird, die Frage was ihm im Detail zugrunde liegt, konnte an diesem Abend niemand beantworten. Ulrich Zeilhofer befand sogar etwas salopp, es gäbe so viele Theorien wie Fachleute dazu. Der Konsens sei einfach, meinte er präziser, dass das Problem auf einer schädliche, aber fixe Veränderung im Nervensystem basiere.

Das mangelnde Wissen zum chronischen Schmerz führt dazu, dass eigentlich keine spezifischen Therapien verfügbar sind, sondern allgemeine Schmerzmittel mit doch teilweise erheblichen Nebenwirkungen eingesetzt werden müssen. In Anbetracht der Häufigkeit chronischen Schmerzes schmerzt dieses Defizit umso mehr.


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