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Rubrik: Tagesberichte

CIS und NCCR Democracy: Demokratische Interventionen
Demokratie durch Krieg?

Published: 30.06.2006 06:00
Modified: 30.06.2006 14:18
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Darf man Demokratie mit Krieg erzwingen? Der Fall Irak hat dies international zum heiss debattierten Thema gemacht. Der Berliner Demokratie-Forscher Wolfgang Merkel beleuchtete in einem Vortrag die Bedingungen, die für ihn dazu erfüllt sein müssen - und das Dilemma derjenigen, die sich zum Eingreifen verpflichtet fühlen.



Norbert Staub (mailto:norbert.staub@sl.ethz.ch)

Auch dem Referenten Wolfgang Merkel, (1) Politik-Professor in Berlin, war klar, dass er sein öffentliches Referat „gefährlich nah“ am Moment hielt, da die Fussball-Schweiz das WM-Achtelfinale bestritt. So erstaunte es nicht, dass der provokante Titel „Demokratisierung durch Krieg“ am vergangenen Montag nur eine sehr übersichtliche Zahl von Interessierten anlockte. Eingeladen hatten der Nationale Forschungs-Schwerpunkt Demokratie (domiziliert an der Uni Zürich (2) ) und das Center for Comparative and International Studies (CIS) von Uni und ETH Zürich. (3)

Kriegsmächte sind oft Demokratien

Wolfgang Merkel steht als Mitglied der SPD-Grundwertekommission nicht im Verdacht, den in den USA derzeit dominierenden Neokonservativen nahezustehen. Diese haben mit dem Einmarsch im Irak zum umstrittenen Mittel der „demokratische Intervention“ gegriffen. Er erlaubt sich jedoch zu analysieren, welche Legitimation dieser Paradigmenwechsel für sich beansprucht und wie auf der Basis der von den USA und ihren Alliierten geschaffenen Fakten weiterzuarbeiten sei. Nicht nur das aktuelle Beispiel Irak, sondern auch der Blick bis zu 200 Jahre zurück zeige, dass Demokratien keineswegs weniger kriegslüstern seien als autokratische Regimes, stellte Merkel zu Beginn klar – und korrigierte damit Kant, der im „Ewigen Frieden“ das Gegenteil behauptet hatte. Auf lange Dauer ebenso offensichtlich sei auch, dass Demokratien als Kriegsmächte weit erfolgreicher seien als Diktaturen.

Nothilfe für Schutzlose

Ist es nun erlaubt, einen Krieg zu eröffnen, um einen Regimewechsel In Richtung Demokratie zu erzwingen? Am Ende einer normativ-völkerrechtlichen Herleitung antwortete Merkel darauf mit ja, knüpfte dies aber an ganz bestimmte Bedingungen. Das 20. Jahrhundert, insbesondere der Zweite Weltkrieg, habe der internationalen Ächtung der Gewaltanwendung gegenüber Schutzlosen zum Durchbruch verholfen: „Die Interventionsgrenze ist dort, wo der Staat seine Funktion als Garant des Friedens verloren hat.“ So habe die Nato-Intervention gegen Jugoslawien im Jahr 1999 im Zeichen der entschlossenen Nothilfe (hier für die bedrohten Kosovaren) gestanden – auch auf dem Hintergrund der Erfahrung, dass die UNO in Srebrenica und Ruanda völlig versagt habe.

Sieht Krieg als ultima ratio, wenn Staaten die Rechte ihrer Bevölkerung mit Füssen treten: der Berliner Politologe Wolfgang Merkel.

Die Schaffung von Demokratie sieht Merkel nicht als ausschliessliches, sondern als zusätzliches Motiv für militärische Interventionen in Fällen, wo Staaten die Menschenrechte ihrer Bürger flagrant verletzen, ja deren Leben bedrohen. „Das 'ius ad bellum' muss zwingend mit dem 'ius post bellum' verknüpft sein“, forderte der Politologe. Das heisse: Ein Eingriff aus humanitären Gründen müsse mit der meist viel langwierigeren demokratischen Intervention ergänzt und so erst vollendet werden. Und dies wiederum bedeutet für Merkel, dass eine Siegermacht nicht, wie es der einflussreiche US-Philosoph Michael Walzer fordert, möglichst schnell wieder abziehen soll, sondern – um noch Schlimmeres zu verhindern – den Aufbau staatlicher Strukturen vorantreiben muss. Denn nur durch konstante Rechtssicherheit für die Bürger könnten künftig solche Grausamkeiten, die erst zur Intervention geführt hatten, verhindert werden.

Schmutzige Hände

Auf den aktuellen Fall Irak gemünzt plädierte der Referent deshalb für ein verstärktes Engagement demokratischer Länder. Insbesondere Europa müsse im Irak präsent sein, trotz der Dilemmata, die man sich damit aufbürde. Denn die womöglich vorgeschobene Kriegsursache, die massiven „Kollateralschäden“ in der Zvilbevölkerung und die Misshandlungen von Abu Ghraib hätten die USA als moralische Instanz diskreditiert. - In der teilweise hitzigen Diskussion im Anschluss ans Referat zeigte sich, dass der Berliner Politologe nicht auf ungeteilte Zustimmung stiess. So wurde etwa in Abrede gestellt, dass Krieg überhaupt zum Mittel der Politik taugt. Die heutige Zerrissenheit des Iraks sei zudem ein Paradebeispiel dafür, wie zerstörerisch eine so genannte demokratische Intervention für ein Land sein könne. Man bewege sich in schwierigem Gelände, räumte Merkel ein. Doch die Beseitigung eines Diktators wie Saddam Hussein, dessen Opferzahl bei der eigenen Bevölkerung Millionenhöhe erreicht habe, halte er für legitim. "Man macht sich die Hände schmutzig", sagte er, "aber sie werden noch schmutziger, wenn man sie in den Schoss legt."

Footnotes:
(1 Wolfgang Merkel Autor leitet die Abteilung Demokratieforschung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialwissenschaften und ist Professor für Politik an der Berliner Humboldt-Universität. Website: www.wz-berlin.de/
(2 () NCCR Demokratie: www.nccr-democracy.unizh.ch/
(3 Center for Comparative and International Studies: www.cis.ethz.ch


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