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Rubrik: Tagesberichte

Collegium Helveticum "Forum molekulare Wissenschaften"
Recht hinkt hinter Technik her

Published: 29.05.2007 06:00
Modified: 29.05.2007 10:33
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Die Bild gebenden Verfahren MRI und PET-Imaging erlauben es der Forschung und der Medizin, immer mehr Geheimnisse des Gehirns zu lüften. Doch die Medaille hat eine Kehrseite. Was, wenn damit kriminelle Absichten oder Neigungen erkannt werden können? Oder zumindest ob eine Person lügt oder nicht? Darauf hat die Rechtsprechung noch keine Antworten.



Peter Rüegg (mailto:peter.rueegg@cc.ethz.ch)

Bild gebende Verfahren wie funktionales MRI (fMRI) oder PET-Imaging zaubern aus der grauen Masse unter unserer Schädeldecke oftmals bunte, attraktive Bilder hervor, die jede Menge interessanter Informationen über die Vorgänge und die Anatomie enthalten. Sie zeigen, ob ein Mensch einem Tagtraum nachhängt oder sich auf eine Sache konzentriert, ob er depressiv ist oder an der Parkinson-Krankheit leidet, weil bestimmte Flecken im Hirn aktiv sind. Schluckt jemand Ecstasy, kann eine Fachperson mit PET-Imaging Hirnareale ausmachen, die von der Droge betroffen sind.

Doch geben MRI- und PET-Hirnbilder wirklich alle Geheimnisse eines Menschen preis? Genau dieser Fragen gingen vier Experten nach am Forum Molekulare Wissenschaften, welches das Collegium Helveticum und das Departement Chemie und angewandte Biowissenschaften am letzten Mittwoch auf dem Hönggerberg veranstalteten. Den wissenschaftlichen Hintergrund lieferten die ETH-Professoren Beat Meier und August Schubiger sowie Lutz Jäncke vom Lehrstuhl für Neuropsychologie der Universität Zürich. Den rechtlichen Aspekt beleuchtete Professorin Brigitte Tag vom Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität Zürich.

Ungeplante Forschung hat Erfolg

Immerhin hat es einige Jahrzehnte gedauert, ehe aus der bahnbrechenden Entdeckung, dass Wasserstoffkerne kleine Magnete sind, MRI-Geräte für den Einsatz in Medizin und Forschung entstanden sind. „Seit rund 20 Jahren liefert Magnetresonanztomographie sehr realistische Abbildungen aus dem Körper“, sagte dazu Beat Meier. Die Entwicklung der Technik sei aber nicht von Anfang an beabsichtigt gewesen, sondern naturwissenschaftliche Grundlagenforschung. Am Ende seien unzählige Puzzlesteine zusammengekommen und hätten die neuen Bild gebenden Verfahren im Alltagseinsatz erst ermöglicht, so der Professor für physikalische Chemie.

Füttert das Hirn!

Mit diesen Verfahren hat sich laut Lutz Jäncke ein neuer Heurismus gebildet. Der Uni-Professor Lutz Jäncke zitierte unter anderem eine Studie, die den genetischen Einfluss auf die Dichte der grauen Substanz untersuchte. Dabei zeigte sich, dass grosse Areale des Gehirns nicht genetisch festgelegt sind, wie zum Beispiel das Sprachzentrum. „Das Hirn wartet darauf, gefüttert zu werden. Es ist verdammt zum Lernen“, sagte Jäncke. Gemäss den Hirnbildern entwickelt sich beim Menschen der dorsale Frontallappen, eine Hirnregion, der Sitz von Aufmerksamkeit und Selbstdisziplin, erst spät im Leben von Heranwachsenden. „Das ist ein pädagogisch relevanter Hintergrund“, folgerte er. Und er fragte am Ende seines Referats, wie gläsern ein Hirn sein dürfe und ob man am Ende Neuroimaging in der Gerichtsmedizin oder der Forensik brauchen könne, um zum Beispiel kriminelle Handlungen zu erkennen.

Recht hinkt hinter Forschung her

Genau in solchen Fragen sah die Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht der Uni Zürich, Brigitte Tag, neue Risiken rechtlicher Art. „Das Recht wird meist erst dann herangezogen, wenn die Forschung schon weit fortgeschritten ist“, sagte sie. Man dürfe zum Beispiel nicht einfach PET-Imaging ohne eine medizinische Indikation machen. Es sei auch noch nicht diskutiert, wie hoch etwa die Strahlungbelastung sein dürfe, die bei MRI und PET-Bilder nötig ist.

Neunmal dasselbe Hirn mit Tumor: Oben: drei anatomische Hirnschnitte mittels Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT), darunter sechs mittels PET. Radioaktive Glukose wird vom ganzen Hirn aufgenommen (Mitte) und eignet sich daher in diesem Fall nicht, Tumorreste zu diagnostizieren. Die radioaktive Aminosäure (unten) wird hingegen vor allem von den Tumorzellen aufgenommen und zeigt daher die Tumorreste genau auf. (Bilder: A. Buck, PET Center, USZ).

Patienten etwa müssten über die Risiken aufgeklärt werden. Das verlange das Patientengesetz des Kantons Zürichs. Das Strafrecht kennt denn auch Konsequenzen bei nicht sachgerechtem Vorgehen. Trägt jemand aufgrund der Strahlungsbelastung körperliche Schäden davon, sei dies gemäss Strafrecht eine Körperverletzung. „Künftig wird das Humanforschungsgesetz gewisse Bereiche bezüglich der medizinischen Forschung regeln“, sagte Tag.

Rechtssystem umbauen?

Probleme sah die Strafrechtsprofessorin auch bei der Speicherung der Daten entstehen. Die Forschung speichere und verknüpfe Daten, die teilweise sehr sensibel sind, weil sie Rückschlüsse auf die untersuchte Person zulassen. „Diese Daten brauchen einen besonderen Schutz“, so Brigitte Tag. Auch weitere Fragen sind gemäss Tag nicht rechtlich geklärt. Was passiert, wenn man kriminelle Neigungen im Hirn sehen kann? Bisher geht das Rechtssystem von der Willensfreiheit des Menschen aus. Sollte Neuroimaging aber beweisen, dass kriminelle Handlungen im Gehirn sichtbar seien und unsere Gesellschaft dadurch vor Verbrechen schütze, müsse unser Rechtssystem umgebaut werden, fand Brigitte Tag.

MRI als Lügendetektor

Für Lutz Jäncke sind solche Ideen nicht aus der Luft gegriffen. Man sei technisch heute weiter als man es wahrhaben wolle. Mit MRI Lügen zu erkennen sei nicht abwegig. Immerhin sind mit PET Gedächtnisspuren zu erkennen, die Wissenschaftler haben zum Beispiel einen Mann entlasten können, der behauptet hatte, dass er kein Gedächtnis mehr habe. Mit Neuroimaging konnten die Wissenschaftler aufzeigen, dass der Mann tatsächlich recht hatte, denn die Untersuchung konnte keine Gedächtnisspuren im Gehirn nachweisen. Und in USA verkauft eine findige Firma namens „no lie MRI“ mit Erfolg MRI-Geräte als Lügendetektoren an Anwaltsfirmen.

Dennoch sind die Forscher noch nicht so weit, dass sie zum Beispiel die Signalverarbeitungsprozesse abbilden können. Sie bilden in erster Linie aktive Areale ab. „Wir sind noch im Stadium der Deskription“, sagt Jäncke. Man korreliere gewisse Vorgänge, eine Kausalität habe man aber bisher nicht entdeckt. Dazu brauche es eine neue umfassende Theorie des Gehirns.

References:
•  Weitere Informationen zu den Veranstaltungen: www.collegium.ethz.ch


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