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Rubrik: Tagesberichte

Ein ungewöhnliches Förderungsprogramm: "Society in Science"
An der Naht zwischen Labor und Gesellschaft

Published: 24.03.2006 06:00
Modified: 24.03.2006 14:19
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Allzu schnell sind vor allem Forschende der Biowissenschaten dem Verdacht unterworfen, das Gespür für die Sensibilitäten in der Gesellschaft auf dem Altar des kompromisslosen Erkenntnisgewinns zu opfern. Umgekehrt fehlt wissenschaftlichen Laien vielfach Interesse oder Instrumentarium, Forschung sinnvoll ins eigene Tun und Denken zu integrieren. Das vom Mäzen Branco Weiss gestiftete und an der ETH domizilierte Stipendium „Society in Science“ bietet einen spannenden Ansatz, um dieser Kluft zu begegnen.



Norbert Staub (mailto:norbert.staub@sl.ethz.ch)

„Bei den Lebenswissenschaften stellt sich heute die Frage nach der Art und Weise, welche Position die Wissenschaft zu gesellschaftlichen Problemen einnimmt, am dringendsten“, sagt Olaf Kübler, der bis November 2005 Präsident der ETH Zürich war. Themen wie Stammzellforschung, Reproduktionsmedizin oder grüne und rote Gentechnologie verleihen der Forschung – zum Teil gegen ihren Willen – quasi-öffentlichen Charakter. Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit ist einer Wissenschaft sicher, die sich nicht selten als Heilsbringerin unserer Zeit sieht. Auf der anderen Seite erwartet eine Kultur, welche die Schicksalsergebenheit längst durch die Machbarkeit ersetzt hat, von der Forschung einen guten Teil der Lösung ihrer Probleme.

Vereinigung der Denkschulen

„Vor ein paar Jahrzehnten“, so Kübler, „nahm ja die Physik noch diesen prominenten Platz ein. Nicht zufällig bestimmen doch bei Dürrenmatt die Physiker das Schicksal der Welt.“ Was Wissenschaft gesellschaftlich auslöst und wie beide Sphären interagieren, habe ihn in den letzten Jahren seines Wirkens an der ETH zunehmend beschäftigt. Er hatte zuvor lange Jahre als Physiker, genauer: als Professor für Bildwissenschaften an der ETH geforscht und gelehrt und kam dann über das Vizepräsidium Forschung der ETH Zürich zum Wissenschaftsmanagement. „Meine Erfahrung war, dass auch die hellsten Köpfe mitunter nicht davor gefeit sind, sich den Blick fürs Ganze durch einen erschreckenden Positivismus verstellen zu lassen. Ich fragte mich daher, was zu tun ist, um lineares und nicht-lineares Denken zu einem frischen Ansatz zu vereinen.“

Mission der ETH

Es ist darum kein Zufall, dass Kübler seine enorme Erfahrung als Förderer von Forschungstalenten weiterhin als wissenschaftlicher Direktor des Förderungsprogramms „Society in Science“ nutzt. Zu verdanken ist es dem Mäzen Branco Weiss. Das Programm erlaubt seit 2003 jungen, hoch talentierten Forschenden (schwerpunktmässig der Biowissenschaften), ihren Blick auf bestehende Probleme zu schärfen und zu erweitern: Etwa indem die mit diesem Stipendium generierten Beiträge den gesellschaftlich-kulturellen Kontext in die Life Sciences integrieren. (1) „Das Bedürfnis nach universaler Auskunft steigt rapide in einer Welt, in welcher man sich aufgrund technologischer Quantensprünge sehr viel näher kommt als noch vor wenigen Jahren“, sagt Kübler. “Ich habe das Gefühl, dass die international ausgerichtete ETH als Modellfall von Multikulturalität und -disziplinarität hier durchaus eine Mission zu erfüllen hat.“

Der Vater dieses Stipendiums ist eine Ausnahmeerscheinung, zumal hierzulande. Branco Weiss bemüht sich als seit vielen Jahren mit grosszügigen Spenden darum, das wissenschaftliche Projekte Gestalt annehmen. Eine seiner Schöpfungen ist das Institut für jüdische Studien an der Uni Basel, das sich bestens etabliert hat. Und bekanntlich hat er der ETH-Zukunftsstadt Science City zum ersten Neubau verholfen: das Information Science Labor wird jetzt gebaut. Weiss studierte ab 1947 an der ETH Zürich und machte 1951 ein Chemie-Ingenieur-Diplom. An der ETH war dann während Jahren Lehrbeauftragter. Einen Namen gemacht hat sich Branco Weiss als erfolgreicher Unternehmer sowie als Gründer und Förderer junger Start-ups im Technologiebereich.

Bewusstes Abenteuer

Ihn habe dasselbe Problem wie Olaf Kübler beschäftigt, erzählt Branco Weiss, nämlich: „Wie kann man heute Forschung sinnvoll fördern? Das einfachste ist, man kreiert einen neuen Preis. Aber ich wollte zu den vielen bestehenden Auszeichnungen nicht noch eine mehr hinzufügen.“ Zudem würden Preiskomitees und Stiftungen in der Regel auf sichere Werte setzen. „Dieser Konservatismus ist verständlich. Die Stiftungsräte geben ja nicht ihr eigenes Geld aus“, sagt Weiss. „Ich wollte mich aber bewusst auf ein Abenteuer einlassen.“ Und so habe man sich im kleinen Kreis, damals noch mit Helga Nowotny, die bis 2002 das Collegium Helveticum geleitet hat, darauf besonnen, dass die immer wichtigere und schwierigere Beziehung Wissenschaft-Gesellschaft dauerhaft beleuchtet werden sollte. Und zwar mit einem neuen, grosszügigen Stipendium, „einem kleinen sozialen Labor“, lacht Weiss. Er sei froh, jetzt mit Olaf Kübler einen Mann bei „Society in Science“ in der Verantwortung zu wissen, der einen untrüglichen Instinkt für wissenschaftliche Substanz besitze.

Prägen das Förderungsprogramm "Society in Science" (v.l.): Der Unternehmer und Mäzen Branco Weiss und Olaf Kübler, bis November 2005 ETH-Präsident.

Voraussetzung, um das Stipendium zu bekommen, ist zunächst höchste wissenschaftliche Kompetenz. Das genügt aber nicht. Man suche sich jene Kandidaten aus, von denen gleich viel Sensibilität und Kreativität in gesellschaftlichen Belangen zu erwarten sei wie beim Thema Wissenschaft, ergänzt Olaf Kübler. „Ja, es geht schon auch um Charakter und um die Weite des Horizonts. 'Society in Science’ will einen Beitrag leisten, um das Verständnis für unterschiedliche Wertesysteme zu schulen und zu schärfen.“ Es ist dieser doppelte Fokus, den Kübler einnimmt, wenn er seinen durch Hunderte von Professoren-Berufungen geschulten Blick auf die Dossiers wirft.

„Zauber der Begegnung“

„Society in Science“ ermöglicht jährlich bis zu fünf hoch qualifizierten Naturwissenschaftlern, sich während bis zu fünf Jahren einem Projekt zu widmen – mit rund 8'000 Franken monatlich – das ist im globalen Vergleich in dieser Sparte eine luxuriöse Ausstattung. Ihren Aufenthaltsort können die Fellows frei wählen. „Dieser Zusatz ist wichtig“, meint der Mäzen. „Da sie keine Kosten verursachen, können die Stipendiaten genau dort tätig werden, wo sie die stärkste Inspiration erwarten.“ Es kommt eine weitere, entscheidende Ingredienz hinzu: dass sich die „Society in Science“-Stipendiaten selbst als verschworene Truppe wahrnehmen. Die Mitglieder stehen ständig miteinander in Kontakt, debattieren und geben einander Anstösse. Weiss: „So etwas kann man nicht verordnen, man kann höchstens das Klima schaffen, das den Zusammenhalt begünstigt. Und ich freue mich, dass dies uns hier gelungen ist.“ Wenn er sehe, wie sich die Stipendiaten und mit ihnen die Themen entwickeln, empfinde er eine grosse Befriedigung. Weiss spricht vom „Zauber solcher Begegnungen“, der nicht aufhört, ihn zu faszinieren. Was ihn antreibe? – „Immer wieder die Suche nach dem Sinn; nicht für mich privat, sondern nach dem Sinn hinter dem Getriebe der Welt.“


Society in Science: Aktuelle Projekte

Wie sich der Ansatz von „Society in Science“ in der Forschung konkret entwickelt und etabliert hat, konnte anlässlich des jährlichen Treffens aller Stipendiaten kürzlich in Zürich verfolgt werden. Ein Blick auf die aktuellsten Stipendiaten gibt einen Eindruck von der Spannweite der Themen:

Der kanadische Bioinformatiker Dov Greenbaum etwa untersucht die virulenter werdenden Fragen des geistigen Eigentums an biologischer Information, Open-Source-Alternativen zur Patentierung von Medikamenten (besonders nicht profitablen) und nicht zuletzt den Einfluss von Kultur und Medien auf das öffentliche Verständnis der Naturwissenschaften. Die englische Pflanzenwissenschaftlerin Anne Osbourne eröffnet mit einer Initiative namens SAW (Science, Art and Writing) unkonventionelle und kreative Forschungszugänge für Menschen aller Alters- und Ausbildungsstufen. Das Projekt wurde in Schulen bereits erfolgreich getestet. Der italienische Biotechnologe Matias Pasquali interessiert sich besonders für die ethischen Implikationen der Forschung und beobachtet dazu exemplarisch die Prozesse auf die Umsetzung von wissenschaftlicher Innovation in der Landwirtschaft. Auf der Basis des Einbezugs aller Akteure (handelnden wie vermittelnden) geht er der Frage nach, ob und wie Forschungskommunikation optimiert werden kann. Und schliesslich beschäftigt sich der deutsche Biophysiker Thomas Pfeiffer mit der Dynamik und Verbreitung von wissenschaftlichem Wissen als solchem via Journale. Er analysiert, wie Forscher zu ihren Themen kommen und welche Themen es weshalb schaffen, medial multipliziert zu werden.


References:
•  Mehr zu "Society in Science" finden Sie unter: www.society-in-science.ethz.ch/

Footnotes:
(1 In der Beschreibung auf der Website des Stipendiums heisst es: “The Fellowship ... aims to bring the social and cultural dimension into research laboratories and to increase the awareness of working scientists about the expectations of society and what they can do to anticipate and meet them.”


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