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Rubrik: Tagesberichte

Vogelgrippe
Damoklesschwert H5N1

Published: 22.02.2006 06:00
Modified: 22.02.2006 14:05
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Wann wird ein tierisches Virus zu einem Risiko für den Menschen? ETH-Forscher modellieren die Populationsdynamik solcher Erreger. Im Fall der Vogelgrippe wird nur die Zeit eine Antwort geben.



Peter Rüegg (mailto:peter.rueegg@cc.ethz.ch)

Die Vogelgrippe kommt jeden Tag näher an die Schweiz. In den meisten Nachbarländern finden die Seuchenbekämpfer tote Vögel, die das Virus H5N1 dahingerafft hat. Auf der deutschen Halbinsel Rügen verhängten die Behörden gar den Notstand, um eine weitere Ausbreitung des Erregers zu stoppen. In der Schweiz gilt seit Anfang Woche wieder die Stallpflicht für frei laufende Hühner und anderes Zucht- und Ziergeflügel.

Katastrophenalarm, Stallpflicht, der Aufbau einer medizinischen Vorsorge: alles gut und richtig. Doch das Vogelgrippe-Virus H5N1 lässt viele Fragen offen. Auf das Wann, Wo und Wie die Krankheit auf den Menschen übergeht kann niemand eine Antwort geben.

Frühere Pandemien analysieren

„Vor der Vogelgrippe habe ich keine Angst“, sagt Roland Regoes aus der Gruppe für theoretische Biologie vom ETH-Institut für Integrative Biologie. Auch er kann die Fragen nicht beantworten, obwohl er sich in seiner Forschungsarbeit mit der Populationsdynamik von Infektionskrankheiten befasst. Einige wichtige Erkenntnisse lassen sich jedoch aus Forschungsarbeiten über frühere Pandemien ableiten.

Das genetische Material eines Grippe-Virus besteht aus acht Segmenten. Wenn nun ein Mensch oder ein anderer Zwischenwirt wie das Schwein gleichzeitig mit zwei verschiedenen Grippen infiziert ist, dann könnten diese je acht Stränge untereinander neu zusammengewürfelt werden und so ein Virus entstehen lassen, das mit neuen Eigenschaften auftreten würde. „Das war bei der Asiatischen Grippe von 1957 und der Hongkong-Grippe von 1968 so“, erklärt Regoes. Die gängige Lehrmeinung sei deshalb lange Zeit von dieser sogenannten Reassortierung des Virusgenoms ausgegangen. „Dazu braucht es immer eine Doppel-Infektion des Wirts mit verschiedenen Grippeviren, im aktuellen Fall also müsste ein Mensch oder ein anderer Zwischenwirt einen Vogelgrippe- und einen Saisongrippevirus gleichzeitig in sich tragen.“

Mutanten für Pandemie verantwortlich

Wissenschaftler hätten, räumt Regoes ein, einen weiteren Mechanismus entdeckt, der bisher nicht für Pandemien verantwortlich gemacht wurde und der es einem Vogelgrippe-Erreger erlaubt, rasch die Mensch-Mensch-Übertragung zu ermöglichen: Mutation. Dazu haben Forscher den Grippevirus der berüchtigten Spanischen Grippe von 1918 wieder zusammengebaut, und sie haben dessen genetischen Code genau studiert. (1) , (2) . Dabei haben sie gesehen, dass dieses Virus rund ein Dutzend Mutationen durchlaufen hat, um von einem Vogelgrippevirus zu einem für Menschen hoch virulenten Grippeerreger zu werden. Tests mit Mäusen hätten gezeigt, dass der Erreger der Spanischen Grippe zu den pathogensten Grippe-Viren aller Zeiten gehört habe, so Regoes. Eine Eigenschaft, die das Virus seiner Fähigkeit verdankte, die ganze Lunge zu infizieren, während saisonale Grippeviren nur den oberen Lungentrakt befallen.

Dunkelziffer relativiert Virulenz

Regoes bezeichnet das Virus H5N1 als sehr virulent. Der Erreger töte viele Opfer und bei Vögeln breite er sich gut aus. Ausserdem habe das Virus in Vögeln schon etliche Male mutiert. Dies erhöhe seine Chancen, sich auf Menschen besser einzustellen. Bisher ist dem Virus genau dies noch nicht gelungen. Die sporadischen Übertragungen aber hatten es in sich. Offiziellen Angaben zufolge ist die Hälfte der weltweit 120 infizierten Personen an der Infektion mit H5N1 gestorben. „Allerdings weiss man nicht, wie viele Menschen effektiv angesteckt wurden“, gibt der Forscher zu bedenken. Eine neue Studie (3) , die sich auf eine Bevölkerungsbefragung in Vietnam abstützt, geht von 800 Infizierten und 40 Opfern in diesem Land aus. Das würde die hohe Sterblichkeit um den Faktor zehn verringern.

Eine Dunkelziffer von Infizierten, die nicht erfasst wurde, deutet Virus-Forscher Roland Regoes aber eher positiv als negativ. Eine unbekannte Zahl von Kranken könne auch auf eine niedrigere Virulenz von H5N1 in Menschen hinweisen. Diese Eigenschaft werde aber durch eine einfachere Übertragung von Vogel zu Mensch, kompensiert.

Vorläufig ist Schluss mit dem Auslauf. Für die Hühner gilt seit kurzem wieder Stallpflicht. (Bild: LID)

Auch Modelle von anderen Krankheitserregern, die von Tieren auf den Menschen übergegangen sind, erlauben Rückschlüsse auf die Vogelgrippe. Solche Modelle haben Regoes und Kollegen unter anderem für HIV, SARS und Affenpocken berechnet, für die Vogelgrippe selbst (noch) nicht. (4) Diese Modelle zeigten, dass nicht jeder Erreger tierischen Ursprungs bei Menschen automatisch zur Epidemie wird.

Die Besiedelung des Menschen geschieht gemäss diesen Modellen zufällig aus einem natürlichen Reservoir des Krankheitserregers. Danach werden von einem infizierten Menschen zufällig weitere Menschen angesteckt. Kann das Pathogen nicht mutieren und sein Wirt weniger als einen weiteren Wirt anstecken, dann sterben die Krankheitserreger aus, ohne eine Epidemie zu verursachen. Eine Epidemie entsteht erst dann, wenn sich der Erreger im Wirt mit grosser Wahrscheinlichkeit weiter entwickeln kann und wenn solche Weiterentwicklungen aufgrund von Zufallsereignissen nicht wieder aussterben. Wichtig sind dabei auch Änderungen der Lebensweise des Wirtes und die Anpassungsfähigkeit des Krankheitserregers.

Bei der Immunschwäche AIDS gehen die Forscher davon aus, dass das Virus HIV immer wieder von Affen auf Menschen übertragen worden ist, sich aber nicht durchgesetzt hat. Erfolgreich wurde der Erreger erst, als sich ökologische Faktoren, in diesem Fall die Mobilität der Infizierten, markant änderte. Durch - ökologisch gesprochen - höhere Migrationsraten sei das HI-Virus effizienter übertragen worden, sagt Regoes, und habe sich in der menschlichen Population halten können. Das sei allerdings nur eine Theorie.

Grosses Viren-Reservoir vorhanden

Für die Vogelgrippe könnte das bedeuten: Je mehr Vögel mit H5N1 angesteckt sind, desto grösser ist das Reservoir für verschiedene Varianten von Vogelgrippe-Viren. Und je mehr Menschen engen Kontakt haben mit Vögeln, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Virus überspringen kann, das sich in seinem Wirt weiterentwickeln kann und schliesslich zum hoch pathogenen Killer wird.

Regoes vermutet deshalb, dass eine Pandemie allenfalls in einem Land entstehen wird, wo Leute eng mit Vögeln zusammenleben, also eine grosse Kontaktrate gegeben ist, und wo die Infrastruktur des öffentlichen Gesundheitswesens schlecht ist, so dass die Übertragungswege nicht unterbrochen werden können. „Die ungleiche Infrastrukturverteilung fördert die schnellere Ausbreitung“, ist er überzeugt. In der Schweiz müsse man sich aber keine allzu grossen Sorgen machen. Eine mögliche Pandemie breche wohl trotz Vogelgrippe-Alarm in Deutschland eher in Südostasien aus. „Wir hätten noch genügend Bedenkzeit. Trotzdem ist es gut, auf eine Katastrophe vorbereitet zu sein.“

Footnotes:
(1 Taubenberger, Jeffery K. et al. (2005): Characterization of the 1918 influenza virus polymerase genes, Nature 437
(2 Tumpey, T.M. et al. (2005): Characterization of the reconstructed 1918 Spanish influenza pandemic virus, Science 310
(3 Thorson, A. et al. (2006): Is exposure to ill or dead poultry associated with flulike illness? Arch Intern Med 166, 119-123
(4 Antia, R. et al. (2003): The role of evolution in the emergence of infectious diseases, Nature 426


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