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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 31.08.2004 06:00

Das Buch „Imaginierte Laien“
Der Laie als Vorstellung

Wissenschaftler machen sich Vorstellungen von Laien, die durch die realen Laien immer wieder in Frage gestellt werden. Zu diesem Fazit kommt das Buch „Imaginierte Laien“. Das neue Werk wurde von Helga Nowotny, Mitautorin und Direktorin des ETH-gestützten Fellowship-Programms „Society in Science“, diesen Sommer in Bern vorgestellt.

Von Christoph Meier

Die Beziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit weist viele Facetten auf. Eine bis jetzt kaum beachtete nimmt das Buch „Imaginierte Laien. Die Macht der Vorstellung in wissenschaftlichen Expertisen“ auf (1). Helga Nowotny, Direktorin des ETH-gestützten und von Branco Weiss finanzierten Fellowship-Programms „Society in Science“ (2), und ihre Mitautoren untersuchen darin anhand von vier Fallstudien, welche Rollen Laien in Expertisen einnehmen, beziehungsweise wie sie konstruiert werden.

An der Buchvernissage in Bern erläuterte die als „Mutter des Dialogs zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit“ bezeichnete Nowotny, dass zuerst gar nicht die Expertenvorstellungen über Laien Ziel ihrer Arbeit gewesen seien. Vielmehr wollte man herausfinden, wie die Interaktion zwischen Laien und Experten diese beeinflusst. Dafür plante man Fallstudien, wo Wissenschaft bei ihrer Arbeit direkt Laien berücksichtigt, sei es bei einer Umweltdienstleistungsfirma oder bei der behördlichen Regulierung genetisch veränderter Organismen. Eine erste Analyse anhand von Experteninterviews ergab dann gemäss den Buchautoren, dass Experten sich gar nicht mit realen, sondern eben mit imaginierten Laien beschäftigen. Dieser Befund hatte zur Folge, dass das Projekt neu auf dieses Thema ausgerichtet wurde.

Wie werden Laien gedacht

Entsprechend erstellten die Verfasser der Fallstudien gezielt ein Instrumentarium zur Analyse des Phänomens. Dieses wird im zweiten Kapitel des neuen Buches nach einer Einleitung erläutert. So soll beispielsweise untersucht werden, wie weit Laien ohne ihr Wissen, das sie aufgrund ihres lokalen Kontextes besitzen, vorgestellt werden, welche Interaktionsmedien eingesetzt werden, um mit den Laien in Kontakt zu kommen, oder wie weit es eine normative, soziale und epistemische Asymmetrie gibt. Das führt dann beispielsweise in einer Fallstudie zu folgender Einsicht: „Ein informierendes Objekt aus der Forschung (epistemische Asymmetrie) löst eine politische Artikulation in einer Gemeinde aus, die wiederum zu einer behördlichen Zurechtweisung führt, welche den weiteren Verlauf der Forschung einschränkt (normative Asymmetrie).

Der Hintergrund dieser Studie war ein Sanierungsprojekt eines mit Schwermetallen belasteten Grundstücks. Um die Akzeptanz der Bevölkerung für alternative Bodensanierungs-Massnahmen zu erfassen, verteilten die Experten ein Informationsdossier in der Gemeinde, um darauf aufbauend eine Umfrage zu starten. Doch was als Information gedacht war, entwickelte sich zum Politikum. Denn einige Bewohner sahen sich durch das Dossier darin bestätigt, dass der Kanton sie bis anhin nicht richtig über die Belastung informiert hatte. Als später die Experten zu einem anderen belasteten Standort wieder eine Befragung in Erwägung zogen, verbot der Kanton diese, um nicht weiteren Ärger zu bekommen.


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Beschäftigt sich mit dem Bild, das sich Wissenschaftler von Laien machen: das neue Buch "Imaginierte Laien". gross

Laien können handeln

Die eben erwähnte wie auch die anderen Fallstudien können differenziert feststellen, dass Experten Laien Rollen zuweisen, die nur Teilaspekte der realen Laien aufgreifen. So wird bei einem Projekt einer Flussbegradigung der Laie nur dahingehend imaginiert, dass er an Ausgleichszahlungen interessiert ist, oder bei der Regulation der genetisch veränderter Organismen als Konsument mit dem Wunsch zur Wahlfreiheit.

Im abschliessenden Kapitel des Buches hält Nowotny fest, dass imaginierte Laien das notwendige Produkt wissenschaftlicher Arbeitsweise sind. Sie ist aber auch der Ansicht, dass es wichtig sei, dass die Laien vermehrt als Akteure imaginiert werden, die handeln können und mit denen verhandelt werden kann. Denn die Fallstudien zeigten, wie wenig sich die Wissenschaftler bewusst sind, dass Laien nicht nur interessiert oder gleichgültig gegenüber dem Wissenschaftssystem sein können, sondern auch politisch handeln können, was durchaus Folgen für die Wissenschaft haben kann. Dabei gilt es auch zu beachten, dass die Kultur der wissenschaftlichen Autonomie einer Kultur der Rechnungslegung Platz gemacht habe.

Emanzipierte Öffentlichkeit

Doch wie soll es weitergehen? Sicher wird es auch in Zukunft den Wissensunterschied geben, der den Experten definiert. Durch Bewusstseinsveränderung und einen anhaltenden Dialog soll aber gemäss den Verfassern der “imaginierten Laien“ das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit verbessert werden. Klar scheint für Nowotny zu sein, dass Kontroversen noch keine Wissenschafts-Feindlichkeit bedeuten müssen, sondern einfach Ausdruck einer von manchen Wissenschaftlern noch nicht erkannten Emanzipation der Öffentlichkeit sind. Sollte daraus aber Wissenschafts-Feindlichkeit entstehen, dann wäre das bedenklich, da viele wichtige Zukunftsbereiche wie Ernährung, Gesundheit oder Nanotechnologie empfindlich getroffen würden.

Das Buch bietet insgesamt einen vielfältigen Einblick, wie Laien gedanklich konstruiert werden. Doch wer es liest, kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Autoren sich gelegentlich von einer Imagination leiten liessen, die dem Leser nicht gerecht wird: Zu komplex sind die Texte, als das sie immer dem erklärten Anspruch Helga Nowotnys, auch Laien anzusprechen, genügen könnten.


Fussnoten:
(1) Imaginierte Laien. Die Macht der Vorstellung in wissenschaftlichen Expertisen. Herausgegeben von: Priska Gisler, Michael Guggenheim, Alessandro Maranta und Helga Nowotny. 220 Seiten, broschiert, € 24,00 / sFr 43,00 Digitale Ausgabe (PDF) im Verlag Humanities Online (www.humanities-online.de )ISBN 3-934730-79-5
(2) Society in Science: www.society-in-science.ethz.ch/



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