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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 10.06.2003 06:00

Standard-System für Entminungsmissionen in Konfliktgebieten
ETH-Software gegen Minen

In ehemaligen Konfliktgebieten bilden Blindgänger und Millionen von im Boden lauernden Anti-Personenminen eine für die Zivilbevölkerung weiterhin tödliche Gefahr. Um deren Beseitigung zu unterstützen, wird an der ETH-Forschungsstelle für Sicherheitspolitik eine Software entwickelt. – Ein, wie es scheint, bahnbrechendes Produkt. Denn die UNO, die USA und die EU haben das „Information Management System for Mine Action“ zur bevorzugten Standardsoftware erklärt.

Von Norbert Staub

"Smart Bombs“. Oder: „Chirurgische Kriegsführung“. – Es darf nicht sein, dass der Euphemismus von den „intelligenten Waffen“ deren Einsatz weniger bedenklich macht. Aber angesichts des in Konfliktgebieten weltweit grassierenden Anti-Personenminen-Problems ist man dennoch versucht, in der Waffentechnologie zwischen „gut“ und „böse“ eine Grenze zu ziehen. Denn täglich leiden und sterben aufgrund von Minen- und Blindgängerexplosionen vor allem an Kampfhandlungen Unbeteiligte wie Frauen und Kinder.

Eine „dumme“ Waffe

Zu unterscheiden ist vielleicht eben doch zwischen „gescheit“ und „dumm“. Denn eine Mine sei „eine sehr dumme Waffe“, sagt Reto Häni, Software-Spezialist an der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der ETH. „Sie tötet und verstümmelt Menschen noch Jahre und Jahrzehnte, nachdem ein Konflikt zu Ende gegangen ist.“ Weltweit sollen gemäss einer Schätzung des US-State Departments an die 50 Millionen Minen im Boden liegen.

„Die Konfliktopfer unserer Zeit sind zum grössten Teil und in wachsendem Mass Zivilpersonen“ sagt Andreas Wenger, Leiter der Forschungsstelle und Professor für Sicherheitspolitik. „Humanitäre Entminung gewinnt unter dieser Voraussetzung laufend an Bedeutung.

Die teils übers Web zugänglichen IMSMA-Daten sind für Bevölkerung wie Demining-Spezialisten von vitaler Bedeutung. gross

Zudem ist ohne die restlose Entminung nicht an den Wiederaufbau von ehemaligen Konfliktgebieten zu denken“, so Wenger (vgl. Kasten).

Weltweit anerkanntes System

Die Plage "Anti-Personenmine" wird immerhin seit 1997 mit dem Vertrag von Ottawa international geächtet (1). Andreas Wengers und Reto Hänis Ziel ist es nun, ihr mit Hilfe von Informationstechnologie zu Leibe zu rücken. Ein hoher Anspruch – aber, so scheint jetzt, nicht zu hoch gegriffen. Denn die UNO, andere internationale Organisationen, die EU und die USA haben die von Häni und seinem heute 15-köpfgen Team entwickelte Software IMSMA („Information Management System for Mine Action“) zum Standardsystem erklärt.

IMSMA ist ein elektronisches Informations-System für die humanitäre Entminung. Mittlerweile ist es in 29 Ländern im Einsatz. Das aktuellste Einsatzgebiet heisst Irak. IMSMA ist eine Kombination von Datenbank und Geographischem Informations-System (GIS). Es erlaubt, sich schnell und effizient ein Bild über die durch Minen verursachte Bedrohungslage zu machen. Ds System wird vor Ort mit den verschiedensten Daten über Grösse und Lage bestehender Minenfelder und über herumliegende Munition gefüttert. Als Quellen dienen zum Beispiel Meldungen über Minen-Unfälle, Minenpläne der ehemaligen Konfliktparteien oder Fundberichte.

Priorisierung: das A und O

In Interviews mit der betroffenen Bevölkerung wird ausserdem ermittelt, welche Gefahr von den Minen ausgeht. Dabei ist ihre Anzahl nur ein Kriterium. „ In einer Schulanlage bedeuten bereits wenige Minen eine enorme Bedrohung. Handkehrum kann ein stark vermintes, aber unwegsames Gelände, das kaum je begangen wird, unterm Strich relativ harmlos und eine Räumung deshalb nicht vordringlich sein“, erklärt Reto Häni.


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Steuern einen wichtigen Beitrag zu den internationalen Bemühungen um Entminung bei: IMSMA-Projektleiter Reto Häni (l.) und Andreas Wenger, ETH-Professor für Sicherheitspolitik. gross

Indem es Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse der Menschen im Gefahrengebiet mit einbezieht, bietet IMSMA Mechanismen zur lokalen Priorisierung der Minengefahr, zum Beispiel einen landesspezifischen Algorithmus und die Berücksichtigung von Kriterien wie die Distanz von Minenfeldern zu Strassen, Spitälern, oder Flughäfen.

IMSMA erstellt dann anhand dieser Informationen aussagekräftige, laufend aktualisierbare Gefahrenkarten, die an Betroffene und Entminungsspezialisten verteilt werden. Auf dieser Basis müssen Entscheide, wo zuerst entmint werden soll, nicht „aus dem hohlen Bauch heraus“ gefällt werden. Die laut Reto Häni stets spärlichen Demining-Ressourcen können so gezielt eingesetzt werden.

Sisyphus-Arbeit erleichtern

Zeit ist der entscheidende Faktor bei der Entminung. Ein schneller Eindruck darüber, wo sie am dringendsten ist, kann darum Leben retten. IMSMA eröffnet hier vielversprechende Perspektiven. Können sich die Demining-Spezialisten zudem auf einen technologischen Standard stützen, bleiben umso mehr Energien für die eigentliche Räumung – eine äusserst langwierige, oft Jahre in Anspruch nehmende Sisyphus-Arbeit. „Ohne IMSMA wäre unsere Aufgabe viel schwieriger zu lösen gewesen“, erklärte John Flanagan, Leiter des UNO-Entminungzentrums in Kosovo, nach der erfolgreichen Beseitigung aller bekannten Minenfelder des Konfliktgebiets im Jahr 2001. IMSMA, dort erstmals im operativen Einsatz, habe ein zügiges Sammeln, Analysieren und Priorisieren von enormen Datenmengen ermöglicht.

Minenräumung: Schweiz redet mit

Die Schweiz hat sich im Zuge des Ottawa-Prozesses als wichtige Stimme unter jenen Staaten und NGOs entwickelt, die sich im Kampf gegen Minen engagieren. So geht die Gründung des Genfer Internationalen Humanitären Minenräumungszentrums GICHD (1998) auf eine Initiative des damaligen Bundesrats Adolf Ogi zurück. In diesem Kontext steht auch der Beschluss des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, IMSMA durch die ETH-Spezialisten entwickeln zu lassen und die Kosten zu tragen. Sie belaufen sich in diesem Jahr an der ETH Zürich auf etwas über zwei Millionen Franken. Die ETH-Forschungsstelle für Sicherheitspolitik hatte mit dem International Relations and Security Network (ISN), bereits demonstriert, wie Informationstechnologie für die Friedensförderung nutzbar gemacht werden kann und entwickelt heute das IMSMA im Auftrag des Genfer Minenräumungszentrums.(3)


Kriege nach dem Kalten Krieg

Konflikte verlaufen heute oft nicht mehr nur im quasi „geschützten“ Raum des militärischen Schlagabtauschs zwischen Staaten. „Seit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes besteht kein klares Konfliktbild mehr, Staaten, in denen Konflikte herrschen, können oft ihr Gewaltmonopol nicht aufrecht erhalten“, sagt Andreas Wenger, ETH-Professor für Sicherheitspolitik. „Entsprechend fehlt vielfach auch die klare Trennung in militärische und zivile Sphäre. Zivile Infrastrukturen – und damit Zivilisten – sind in den diffus verlaufenden, überwiegend innerstaatlichen Konflikten Teil des kriegerischen Kalküls“, meint Wenger.

So stellten sich im Irak-Konflikt die Truppen des Regimes nicht offen den anrückenden Übermacht der Koalition entgegen, sondern zogen sich in Schulen und Spitäler zurück. Die Verminung solcher Anlagen bedeutet, dass Zivilisten viel häufiger als früher zu den Hauptleidtragenden von Konflikten gehören.

Allein in den neunziger Jahren, der laut Wenger opferreichsten Dekade seit 1945, seien über 90 Prozent der mehr als fünf Millionen Opfer von Gewaltkonflikten Zivilisten gewesen. Zum Vergleich: im noch „traditionell“ geführten Ersten Weltkrieg waren es zwanzig Prozent.




Literaturhinweise:
Website der ETH-Forschungsstelle für Sicherheitspolitik: www.fsk.ethz.ch

Fussnoten:
(1) Informationen zum Ottawa-Vertrag von 1997: www.icbl.org/treaty/
(2) Website IMSMA: www.imsma.ethz.ch/. Die IMSMA-Web-Reports machen die lokal gesammelten Erkenntnisse via Internet publik: www.imsma.ethz.ch/en/news/news_detail.asp?id=34
(3) Website des International Relations and Security Network: www.isn.ethz.ch/



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